SCHREIBEN 2020

Wie und wovon wird Literatur künftig erzählen? Wie verändern die neuen Medien den Schreibprozess? Und welche Rolle wird die Literatur in der Zukunft überhaupt spielen? – Positionsbestimmungen von Marion Poschmann, Thomas Melle, Ulrike Draesner, Thomas Hettche, Marcel Beyer, Teresa Präauer, Philipp Schönthaler, Benjamin Stein, Matthias Nawrat, Daniela Seel und Gunter Geltinger.

Online seit: 29. August 2020

Von 10. bis 12. September 2014 veranstaltete die Kunststiftung NRW in Kooperation mit dem Literarischen Colloquium Berlin eine Klausurtagung mit deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in deren Rahmen über die Zukunft literarischen Schreibens diskutiert wurde. Vorgegeben waren drei Themenblöcke, die vom Veranstalter wie folgt umrissen wurden:

1. Die künftigen Themen der Literatur. Die Literatur als künftiges Thema.

Welche Themen, welche Stoffe könnten und/oder sollten für Literatur in Zukunft wesentlich werden? Und: Werden diese Inhalte sich überhaupt wesentlich von unseren heutigen unterscheiden? Werden sich immer (noch) mehr Themen aus dem Bereich technischer und medialer Entwicklungen in die Literatur einschreiben? Oder passiert womöglich das Gegenteil: eine explizite Abwendung von vermeintlichen Themen und Stoffen der Zeit und eine bewusste Konzentration auf jene Bereiche, die in anderen Orten der Öffentlichkeit nicht mehr oder zu wenig vorkommen?

Zugleich legt eine Auseinandersetzung mit Inhalten natürlich auch nahe, die Perspektive einmal zu wechseln und diese Frage auch an die Literatur selbst zu stellen: Welche Rolle wird sie künftig spielen können und spielen wollen? Inwiefern kann sie ein Thema der Zukunft sein?

Die Zukunft des Schreibens.

2. Die Werkstatt

Auf die Inhalte folgen die Schreibweisen. Wie hat sich das Schreiben in jüngster Zeit verändert und wie wird es sich künftig weiter verändern? Etwa durch neue Möglichkeiten der Recherche? Welche neuen Formen und Formate entwickeln sich aus der Auseinandersetzung mit anderen – alten und neuen – medialen Formen? Welche neuen Schreibweisen und Formate entstehen aus der Wechselwirkung mit anderen Medien? Verändern neue Kommunikationsformen des Alltags (wie SMS und Twitter) auch die literarische Sprache – und wenn ja, wie?

Neben diesen Fragen nach der Ästhetik sollen auch ganz praktische Konsequenzen der neuen Schreibwerkzeuge diskutiert werden, z.B.: Wie geht man als Autor mit Manuskripten, mit Überarbeitungen, Korrekturgängen oder Streichungen um? Verschwinden diese Arbeitsgänge im Zeitalter der Delete-Taste unwiederbringlich, oder entwickelt man neue Prinzipien der Archivierung auch dessen, was man eigentlich verworfen hat – um auch nachträglich noch den Entstehungsprozess eines Werkes nachvollziehen zu können und für andere transparent zu machen? Ediert man also auf gewisse Weise bewusst den eigenen Nachlass?

3. Die neue Öffentlichkeit

Dass ein Dasein als Autor oder Autorin mit einer gewissen Form der Inszenierung verbunden ist – gewollt oder ungewollt – kann kaum ausbleiben und konnte nie ausbleiben. Das digitale Zeitalter, die zahlreichen sozialen Netzwerke stellen hierfür nicht nur neue Möglichkeiten bereit, sondern werfen auch neue Fragen auf: Inwiefern gehört es zum Profil eines Autors, ein digitales Profil zu haben? Wie sehr setzt sich der/die digitalisierte AutorIn dadurch der Interaktion mit seinen/ihren LeserInnen schon im Vorfeld aus?

Was bedeuten die „basisdemokratischen“ Bewertungsmöglichkeiten (z.B. bei Amazon) für die Autorenpsyche? Ist Self-Publishing eine Befreiung vom Diktat der Verlage oder doch eher Fluch, weil man sich damit (noch mehr) der Willkür des Marktes ausliefert? Inwiefern werden Marketingaufgaben, die eigentlich in der Verantwortung des Verlags liegen sollten, auf die Autoren übertragen? Und falls es diese Übertragung gibt: Wer profitiert von ihr?

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AUTORENTREFFEN „SCHREIBEN 2020“

Dieser Schwerpunkt konnte dank der freundlichen Kooperation der Kunststiftung NRW und des Literarischen Colloquiums Berlin entstehen. An der von Wiebke Porombka und Christiane Heibach moderierten Tagung auf Schloss Gehrden nahmen die folgenden AutorInnen teil: Nora Bossong, Gunther Geltinger, Marion Poschmann, Thomas Pletzinger, Marcel Beyer, Thomas Hettche, Thomas Meinecke, Mathias Gatza, Daniela Seel, Ulrich Peltzer, Ulrike Draesner, Thomas Melle, Roman Ehrlich, Benjamin Stein, Teresa Präauer, Stefanie de Velasco, Katharina Schultens, Bettina Suleiman, Matthias Nawrat, Philipp Schönthaler. Elf von ihnen haben im Vorfeld oder im Anschluss an die Tagung Statements schriftlich ausgearbeitet, die auf den folgenden Seiten abgedruckt sind.

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Die folgenden Texte sind im Rahmen des Autorentreffens entstanden:

Marcel Beyer
Christian Thielemann dirigiert Bibi Blocksberg in gerechter Sprache

Ulrike Draesner
Zukunft des Schreibens

Gunther Geltinger
Versuch einer persönlichen Standortbestimmung zwischen vier Fragmenten zum Erzählen von Welt.

Thomas Hettche
Die Endlichkeit des Textes

Thomas Melle
Thesenartiges zur Agenda 2020

Matthias Nawrat
Es muss Ruhe einkehren

Marion Poschmann
Energie einer radikalen Privatsphäre

Teresa Präauer
Auf die Frage nach einer möglichen Zukunft der Literatur

Philipp Schönthaler
Für eine Modernität der Literatur im Zeitalter der Informationstechnologie

Daniela Seel
Das amortisiert sich nicht

Benjamin Stein
Nein, vielen Dank!

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Quelle: VOLLTEXT 3/2014

Online seit: 29. August 2020