Fragebogen: Wiebke Porombka

„Die Verzagtheit in der literaturkritischen Auseinandersetzung wird auf Dauer die eigene Bedeutungslosigkeit provozieren.“ – Zum Geschäft der Literaturkritik heute

Online seit: 9. April 2019

Was sehen Sie als die primäre Aufgabe der Literaturkritik heute?
Sich nicht im kulturpessimistischen Lamento einzumummeln, sondern die ästhetische und intellektuelle Freiheit, die noch immer das große Privileg der Literaturkritik ist, zu feiern und fruchtbar zu machen.

Was sind die größten Herausforderungen/Probleme für die Kritik heute?
Ein wesentliches Problem scheint mir die verbreitete Angst vor der prekären Lage der Buchkultur und des Feuilletons. Daraus resultiert eine Verzagtheit in der literaturkritischen Auseinandersetzung, die auf Dauer die eigene Bedeutungslosigkeit provozieren wird.

Spielen literaturwissenschaftliche Theorien eine Rolle für Ihre Tätigkeit?
Fatal wäre, wenn man das literaturtheoretische Studium aus meinen Texten herauslesen würde. Nichts schlimmer als Kritiker und Kritikerinnen, die ihre Rezensionen zur intellektuellen Selbstbeweihräucherung nutzen.

Wiebke Porombka © Jakob Börner
Wiebke Porombka: Literaturkritik als Universalwissenschaft des Lebens.
Foto: Jakob Börner

Welche LiteraturkritikerInnen schätzen Sie am meisten? Für welche Qualitäten?
Daniela Strigl für gedankliche Schärfe und Wagemut. Helmut Böttiger für Kenntnisreichtum und trockenen Witz. Und ich schätze mich glücklich über Kritiker und Kritikerinnen meiner Generation – wie Insa Wilke, Tobias Lehmkuhl, Jutta Person, Oliver Jungen, Katja Gasser, Anne-Dore Krohn, Ulrich Rüdenauer, Jan Wiele oder David Hugendick –, mit denen eine gleichermaßen fundierte, kontroverse wie einander und dem Gegenstand zugewandte Auseinandersetzung nicht nur möglich, sondern selbstverständlich ist.

Wie viele Bücher muss ein Kritiker gelesen haben, um kompetent urteilen zu können?
Es können kaum je genug sein. Zugleich aber macht auch eine noch so umfangreiche Lektüreliste nicht automatisch einen guten Kritiker oder eine gute Kritikerin aus. Das Vermögen, einen Text nicht nur ästhetisch und intellektuell beurteilen und symptomatisieren zu können, sondern – was ich für einen wesentlichen Bestandteil der Kritik halte – einen emphatischen Zugang zu ihm zu entwickeln (der durchaus auch eine Aversion sein kann), beruht nicht auf Erfahrung, sondern ist einem Leser, einer Leserin als (zwischen-)menschliche Kompetenz gegeben. Oder eben leider auch nicht.

Wie viele haben Sie gelesen?
Wie viele Bücher ich gelesen habe, vermag ich beim besten Willen nicht zu sagen. Aber ich arbeite täglich daran, die Bilanz zu verbessern.

Wie viele Neuerscheinungen lesen Sie pro Jahr?
Eine niedrige dreistellige Zahl wird es wohl sein.

Welche AutorInnen haben Ihnen mit 15 gefallen, welche schätzen Sie heute?
Mit 15 ging es nicht primär um Literatur, sondern um Revolution: Bakunin, die Tagebücher Dutschkes und Che Guevaras. Aber natürlich lagen neben dem Bett Jim Morrisons Gedichte. Heute schätze ich Schriftsteller und Schriftstellerinnen, wenn sie annähernd so böse, so tieftraurig und melancholisch, so menschenfreundlich und präzise beobachtend, so hochalbern und feinnervig sind wie der frühe Joseph Roth.

Was lesen Sie, das nichts mit dem Beruf zu tun hat?
Wenn man Literaturkritik als eine kleine Universalwissenschaft des Lebens begreift, was ja eine schöne Vorstellung ist, kommt man zwangsläufig zu der Antwort: nichts.

Haben Sie in Ihrer Laufbahn als Kritikerin je ein Urteil grundlegend revidieren müssen?
Ich hoffe, dass in meine Kritiken der Prozess der Meinungsbildung immer mit eingeschrieben und als subjektiver transparent ist, sodass ein grundlegendes Revidieren wohl nicht vorkommt, stattdessen aber notwendig ein Fort- und Umdenken bei neuerlicher Lektüre.

Wiebke Porombka, geboren 1977 in Bremen, arbeitet als freie Literaturkritikerin unter anderem für Die Zeit und die FAZ.

Quelle: VOLLTEXT 4/2018 – 10. Dezember 2018

Online seit: 9. April 2019