Präauer streamt: Toddlers and Tiaras

Eine Kolumne von Teresa Präauer

Online seit: 21. Januar 2018
Präauer streamt – Toddlers and Tiaras
Trending on Twitter: Makenzie vor und nach ihrer „Beauty Routine“.

Die sechsjährige Makenzie sitzt frisiert und im Glitzerkleid auf ihrem Bett, quält ihre Katze und leert sich die dritte Portion Brausepulver aus einem rot-weiß-gestreiften „Pixy Stick“ in den Mund. Je nachdem, wie ihre Laune später ist, sagt ihre ambitionierte Mutter Juana, wird sie die „Beauty Routine“ auf der Bühne gut performen oder eben vermasseln.

Makenzie, Eden, Brenna, Kylee, Taralyn, Honey Boo Boo: das sind die Namen der kleinen amerikanischen Mädchen, deren Kindheit darin besteht, sich auf „Beauty Pageants“, Schönheitswettbewerbe, aufwändig vorzubereiten und daran teilzunehmen. Gefilmt wiederum fürs Reality-TV, genauer gesagt für die Serie Toddlers & Tiaras. Makenzie ist „Trending on Twitter“, das heißt, unter den vielen Mädchen, die bereits im Säuglingsalter mit den Wettbewerben beginnen, ist sie eine, die zum Star geworden ist. „Why can I just be myself?“ ist denn auch einer von Makenzies Sätzen, die im Internet als Clip wie eine Art „Meme“ kursieren. Wieso kann ich nicht ich selbst sein? Gesagt als Vierjährige, heute nachzusehen in einer Zusammenstellung ihrer „Best One Liners“ auf YouTube.

Die Kamera verfolgt mit, wie die Mädchen sich vorbereiten auf den Tag des Wettbewerbs. Man sieht ihre Familien, ihre Katzen, ihre Häuser, die pink eingerichteten Kinderzimmer, den Schrank mit den Krönchen. Es ist immer dasselbe. Pro Sendung werden drei Mädchen vorgestellt: Sie werden daheim interviewt, die Mutter kommt zu Wort, selten der Vater. Dann geht es hinaus zum Shoppen von Kleidern und Schuhen im Wert von mehreren tausend Dollars, zum Proben der „Routine“ mit einer Trainerin oder einer Dragqueen, die selber einmal irgendetwas gewonnen hat in Missouri oder Delaware. Dann zum Friseur und zum „Spray Tan“, wo die Mädchen, Körper und Gesicht, mit Airbrushpistole bronzefarben eingesprüht werden. Aufkleben der Wimpern, Haare färben, später die „Dental Flippers“ über die Zähne und Zahnlücken ziehen: eine weiß blinkende, perfekt geordnete Zahnreihe. Dazwischen viel Gekreische, Energydrinks, Zucker und Bonbons.

Die „Beauty Routine“ auf der Bühne ist ein immer gleicher Ablauf des Auftritts des jeweiligen Mädchens: Ankündigung, Applaus, Musik wird eingespielt, das Mädchen zeigt eine Schrittfolge, posiert, lässt sich von allen Seiten begutachten. Sitzen Kleid und Frisur, zeigt sie „Personality“, ein schönes Gesicht? Immer das Gleiche: Das Mädchen legt seine Hände seitlich an die Wangen und hält den Kopf schief. Dann den ausgestreckten Zeigefinger an den Mund, ein Küsschen wird darauf gesetzt und mit dem Finger zurück ins Publikum geworfen. So oft eingeübt und doch so, hm, ungelenk manchmal, verschoben, eine Geste ohne Inhalt vielleicht.

Im Publikum sitzen Mütter, Großmütter, ein paar Väter. Die meisten sind überdimensioniert, nicht nur im Vergleich mit ihrem kleinen „Mini-Me“, und sie arbeiten oft hart, um sich die teuren Kleider für ihre Kinder zu leisten und sie in riesigen Autos von Wettbewerb zu Wettbewerb zu chauffieren. Unten stehend tanzen sie vor und mit, was ihre Töchter oben auf der Bühne tanzen sollen: „Kyleeeee!“

Meistens gibt es danach eine Pause, in der die Mädchen weinen, weil sie etwas falsch gemacht haben oder weil das Make-up in den Augen brennt, weil sie müde sind, über- oder unterzuckert, weil etwas gerissen ist oder abgebrochen, weil ein anderes Mädchen schöner ist oder eine Übung bunter als die eigene. Mutter, Visagistin, Trainerin kümmern sich darum. „Du warst großartig, ganz, ganz großartig, Eden.“

Dann beginnt der nächste Durchgang, meistens ist dieser themenspezifisch: „Lollipops and Gumdrops“ oder „Winter Beauties“ oder „A Glitzy Life of Me“ oder „Around the World“. All diese Wörter! Neues Kostüm, neue Routine. „Schieb deinen Wagen vor dir her wie eine Obdachlose in New York“, hat beispielsweise Trainer „Uncle DJ“ der kleinen Hailey geraten, und sie hat es wirklich so gemacht, wie sie es daheim im Garten geübt haben: nämlich einen mit Candies gefüllten Einkaufswagen über die Bühne geschoben wie ein kleines schwarzes Mädchen, das einen Mann spielt, der eine Diva spielt im Pailettenfummel.

Und dann das bittere oder süße Ende. Alle Mädchen müssen auf die Bühne, es werden Prinzessinnen- und Königinnentitel vergeben, einzelne müssen warten: „She pulled for a higher title“. Die Prinzessinnen und Königinnen weinen enttäuscht, alle wollen „Ultimate Grand Supreme“ werden und das rosarote Plastikspielzeughaus gewinnen und die größte Plastikkrone, so hoch, dass sie bis zur Schulter der Mutter hinaufreicht.

Dann ein Foto zur Erinnerung. Das Plastikkind mit falschen Zähnen, gespraytem Teint und rosa Lippen wirft sich in Pose, den Kopf schiefgelegt, ein Lächeln. Danach sehr viel Blur im Photoshop, Kontraste erhöhen, Farben hinaufschrauben, Glanzeffekt auf Augen und Zähne setzen. Alles läuft immer exakt genau so ab, Folge für Folge, Staffel für Staffel.

Toddlers & Tiaras ist eine der brutalsten, kitschigsten und hemmungslos-konsumgeilsten Fernsehproduktionen, die mir bekannt sind. In seiner Grenzwertigkeit interessiert es mich, es kotzt mich an oder es fasziniert mich als Teil dieser Bilderwelt, in der wir uns bewegen können. Ich meine, Toddlers & Tiaras ist da irgendwo am äußersten Rand angesiedelt, sehr an der Grenze, knapp vorm Kippen … Oder sehr mittendrin? Sehr Donald Trump in der Inszenierung, in der Farbigkeit, diese ganze Ästhetik von Körper und Frisur?! Wenn man die Zustimmung der Wählerschaft als Kriterium wertet: Ja, hier ist sie, die Mitte, gorgeous, awesome!

2008 bis 2013 lief Toddlers & Tiaras auf dem amerikanischen Fernsehsender TLC als Reality-Format, übersetzbar, um der Alliteration treu zu bleiben, in etwa als „Kleinkinder und Krönchen“. Produziert wurde die Serie, die über sechs Staffeln lief und weiterhin auf YouTube zu sehen ist, von der Produktionsfirma Authentic Entertainment, mittlerweile ein Teil von Endemol, dem angeblich zweitgrößten Fernsehproduzenten der Welt, bekannt und groß geworden durch Big Brother, das seit dem Jahr 2000 im deutschsprachigen Raum aufgezeichnet und ausgestrahlt wird.

Anderer Sender, andere Sendung: „Die ist so fake“, hat eine Teilnehmerin der aktuellen Staffel von Germany’s Next Topmodel auf Pro7 über eine zweite gesagt, „so fake“. Oder: „Du bist doch nur ein Protagonist“, lautete einer der heftigeren Vorwürfe innerhalb der letzten Staffel des Dschungelcamps auf RTL. „Fake sein“ in einem Format, das den Mitwirkenden doch Authentizität in die Realitätsfiktion hineinscriptet!

Der Geschichtswissenschafter Achim Saupe, der im Leibniz-Forschungsverbund zu „Historischer Authentizität“ arbeitet, bietet in einem Artikel auf docupedia.de einen Überblick über die Geschichte des Authentizitätsbegriffs und beobachtet aktuell wieder eine Konjunktur desselben. Übertragbar ist diese Diagnose womöglich auch auf zeitgenössische Formen der Produktion von Belletristik und deren Rezeption. „Sie haben sicher so eine Mutter/Trainerin/Dragqueen/Katze gehabt wie in Ihrem Buch“, guckt einen das Lesepublikum mit glasigen Augen sehnsuchtsvoll an. Na, klar. Und es hat auch, wenn wir schon, verdammt nochmal, von Erfahrung und Erlebnis sprechen wollen, zu Kindheit und zum eigenen Kind-gewesen-Sein offenbar keinen anderen Zugang mehr als den süß-verklebten, nachträglich im Bildbearbeitungsprogramm geblurten. Blur: das ist das, was David Hamilton früher, noch analog, mit dem Fett auf seiner Kameralinse gemacht hat. An anderer Stelle gibt es zu lesen: Ein Kind von Thomas Bernhard, Kindergeschichte von Peter Handke, Das große Heft von Ágota Kristóf, Jakob schläft von Klaus Merz, Wir Tiere von Justin Torres und so weiter.

Why can I just be myself? Diese Kolumne ist dem Serienschauen und Videos-Klicken im Internet gewidmet.

 

Teresa Präauer, Autorin und bildende Künstlerin, lässt die Wettbewerbe hinter sich.

Quelle: VOLLTEXT 2/2016 (29. Juni 2016)

Online seit: 21. Januar 2018