Ein Mann tanzt. Er tanzt im engen schwarzen T-Shirt, dasselbe in die weite schwarze Bundfaltenhose geschoben, den Gürtel taillenhoch gebunden, schwarzes Schuhwerk an den Füßen, schwarzes Haar am Kopf, bald wird es vielleicht schütterer werden, bald werden seine schwarzen Augenbrauen, unterbrochen von einzelnen weißen Härchen, buschiger wachsen, bald bricht eine neue Jahreszeit an. „Seasons change“, singt er, „seasons change“. Die Jahreszeiten wechseln einander ab, singt er, und ich, ich habe so sehr versucht, dich (dein Herz vielleicht) zu erweichen. Die Zeiten ändern sich, aber ich bin es müde, mich für dich ändern zu wollen. Weil ich auf dich gewartet habe, ich habe auf dich gewartet. Weil ich auf dich gewartet habe. Ich habe auf dich gewartet: So in etwa singt der tanzende Mann im schwarzen T-Shirt, er singt auf Englisch, und wir versuchen, diese seine Sätze zu verstehen.
Wir haben dieses Lied so oft gehört und uns genau diesen Ausschnitt so oft angesehen, jeder in seiner Stadt und in seiner Wohnung, und, während die Zeit verging, wechselten die Jahreszeiten einander ab, aus Frühling ist Sommer geworden und aus diesem Sommer ein noch warmer und milder Herbst. „As it breaks, the summer will wake / But the winter will wash what is left of the taste / As it breaks, the summer will warm / But the winter will crave what is gone“, singt der Mann im schwarzen T-Shirt. Währenddessen, denn er wartet noch: Menschen ändern sich, weißt du, aber manche ändern sich nie. Wenn Menschen sich ändern, gewinnen sie etwas, aber sie verlieren auch ein Stück. Weil ich an dir festgehalten habe, weil ich an dir drangeblieben bin, auf dich gewartet habe. Der Mann, der so singt, ist Samuel T. Herring von Future Islands. Das vorliegende Video, abzurufen via YouTube, zeigt den Auftritt in der Late Show von David Letterman im März 2014, dessen Übertragung der Band eine größere Bekanntheit beschert hat.
Und Herr Herring tanzt. In der linken Hand hält er das Mikro, die rechte Hand zählt dabei den Takt ein. Sein Oberkörper ist nach vorne gebeugt, seine Knie leicht abgewinkelt. „Seasons change“, singt er und geht bald tiefer in die Hocke, der Körper von Anfang an unter Anspannung, ein hoher Tonus, wie der eines Athleten, eines drahtigen Ringers vielleicht. Er geht höher und tiefer, steigt bei jedem zweiten Takt seitwärts oder nach vorne, geht wieder höher und wieder tiefer. Sein Gesicht ist ein Flehen, aber kein weinerliches, nein, ein kontrolliertes, und seine Augenbrauen sind zwei strichgerade Linien, die von der Mitte zu den Schläfen hin nach unten laufen. Er singt, er tanzt, er richtet sich wieder ganz auf, wie um Mut zu schöpfen, um seine Aussage zu verdeutlichen: Ich habe auf dich gewartet, ja.
„Seasons change“, wie die Jahreszeiten einander abwechseln, „eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit zum Abernten der Pflanzen, eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Niederreißen und eine Zeit zum Bauen, eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit für die Klage und eine Zeit für den Tanz; eine Zeit zum Steinewerfen und eine Zeit zum Steinesammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen, eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, eine Zeit zum Behalten und eine Zeit zum Wegwerfen, eine Zeit zum Zerreißen und eine Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden“. So, mit gelassenem Blick auf den steten Wechsel von Werden und Vergehen, steht es bei Prediger 3,2-8 (in der Einheitsübersetzung der Bibel) geschrieben, mit revolutionsfreudigem Imperativ „Turn! Turn! Turn!“ haben es in den Sixties The Byrds gesungen.
„Seasons change, / But I’ve grown tired of trying to change for you“, singt Samuel Herring. Man muss ihn gesehen haben! Dabei lässt sich, was er ausdrückt und zeigt, kaum beschreiben, denn das Spektakel, der Tanz des Körpers des Sängers, findet in den vielen kleinen konzertierten Gesten statt, im Darstellen und Zurückhalten körperlicher Explosionen. Er fasst sich dabei an die Brust (ans Herz vielleicht). Geht sofort darauf wieder tiefer, bricht fast ein, nein, hält sich aufrecht, bleibt im Stehen, Wippen, Tanzen begriffen. Fasst sich wieder an die Brust, deutet dann bei „You-hou-hou“ dreimal in den Raum, zu einem Gegenüber hin. Er sieht, verzweifelnd beinah, aber doch offen fragend und klar fokussierend, ins Publikum, ja, von der einen Seite zur anderen hin wandert sein Blick, den Mund halb geöffnet, auch dann noch, wenn sein Gesang Pause macht und nur die Musik spielt. Er deutet, gestikuliert, bricht ab, wiederholt sich, hält die Anspannung aufrecht, bis, nach etwa eineinhalb Minuten, es zu einem ersten, bewusst gesetzten, Ausbruch kommt, er mit dem Arm in die Luft schlägt, mit der Hand gegen sein unsichtbares Gegenüber boxt, dabei springt. Und seine Kraft sich entlädt, es ist die Kraft eines Ballwerfers, der sie gezielt einsetzt, im Zaum hält, schießt und sie nicht etwa verschießt. Gleich darauf richtet er die erhobene Hand gegen das Publikum, streckt und reckt Daumen, Zeige- und Mittelfinger nach oben. Dann öffnet er seine Hand zur Gänze und zeichnet mit ihr etwas nach wie eine Landschaft, einen Horizont, einen Himmel, schließt sie dann wieder zur Faust, ballt sie mit Nachdruck, federt nach, fasst sich dann wieder mit der flachen Hand an die Brust (ans Herz vielleicht). Er krümmt sich nun, schlägt sich gleich in die eigene Magengrube, nein, hämmert gegen die eigene Brust mit Daumen und Zeigefinger, die zusammen eine Spitze formen, singt, fleht, grölt, reißt den Halsausschnitt seines T-Shirts nach unten, als läge darunter eine offene Stelle (eine Herzwunde, klaffend vielleicht) verborgen. Tanzt dann, tief in die Hocke gehend, wippend, lässt den Körper am Kopf baumeln wie eine dieser Wackel- und Drückfiguren, die man als Kind einmal hatte. Deren einzelne Glieder waren an Schnüren aufgefädelt, und durch Eindrücken des Sockels, auf dem diese Figuren, Tiere, strammstanden, eine kleine Giraffe zum Beispiel, ließ man sie mit einem Mal in sich zusammenfallen, niederstürzen. Zu einem Haufen aus Perlen oder Scheibchen aus Holz wurden sie dann. Um sich unmittelbar danach gleich wieder aufzurichten, als wäre nichts vorgefallen. So tanzt er, Samuel Herring, und fällt nicht in sich zusammen, hält die Spannung, wirft sich einmal noch beinah nach hinten, kippt fast, droht rücklings auf den Boden zu rollen, deutet dies an, beherrscht sein Fallen, fängt sich wieder, schlägt sich später mit der flachen Hand wirklich fest – nicht auf oder an, sondern gegen die Brust.
Wir hören diesen Song, diesen großartigen Song, wir sehen Samuel Herring beim Tanzen zu, denn man muss das sehen und wieder sehen. Er hält Gesten für unser Sehnen bereit, während die Zeit vergeht und die Jahreszeiten einander abwechseln, aus dem Herbst ein Winter wird, auf den immer ein Frühling folgt, mein Liebling.
Seasons and Episodes. Diese Kolumne ist dem Serienschauen und Videos-Klicken im Internet gewidmet.