Karl Ove Knausgard: Der Wald und der Fluss. Über Anselm Kiefer und seine Kunst, aus dem Norwegischen von Paul Berf (Luchterhand Verlag).
Wenn zwei künstlerisch zusammenkommen, die mich interessieren, die aber beide auch für ihre Eigentümlichkeiten und Eitelkeiten bekannt sind – Karl Ove Knausgard und Anselm Kiefer –, könnte viel schiefgehen. Doch dieses Buch ist nicht weniger als großartig: Zum einen bekommt man schier unglaubliche Einblicke in das Arbeiten und die Arbeitsorte von Anselm Kiefer (ähnlich beeindruckend, aber viel distanzierter gibt es das derzeit auch im Dokumentarfilm Das Rauschen der Zeit von Wim Wenders), zum anderen erzählt Knausgard wie immer gleichzeitig von seinen eigenen Unsicherheiten, seinen Zweifeln, seinem Zögern, seinem Hadern und seinem Scheitern. Beide Künstler belauern sich unentwegt, tänzeln umeinander herum, nutzen sich gegenseitig aus, manipulieren sich und lassen einander links liegen. Und am Ende hat man einen sehr deutlichen Eindruck der beiden, von ihren Ambivalenzen und ihrer eindrucksvollen künstlerischen Schaffenskraft.
Clarice Lispector: Wofür ich mein Leben gebe. Kolumnen 1946–1977, aus dem brasilianischen Portugiesisch von Luis Ruby (Penguin Verlag).
Jeder einzelne Text von Clarice Lispector strotzt nur so vor Einfallsreichtum, Besonderheit, Kapriziosität. Wenn ich nach Lieblingsautorinnen gefragt werde, fällt mir immer sofort sie ein: Denn Lispector hat es geschafft, eine ganz eigenständige Sprache zu finden, einen Stil, den viele nachahmen, an den aber keiner herankommt. Hier sind ihre Kolumnen aus mehreren Jahrzehnten versammelt, die sie nebenher schrieb und die um Alltägliches, eigentlich Banales kreisen, sich aus wenig entwickeln, dann aber Fahrt aufnehmen und irgendwohin ins Reich der übersprühenden Phantasie abbiegen – und vor allem jederzeit unberechenbar bleiben.
Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer, aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein (Carl Hanser Verlag).
Kaum möglich, über dieses sehr schmale, aber ungeheuer intensive Buch zu sprechen. Es erzählt die autobiografische Geschichte der Autorin, 1929 in Berlin als uneheliche Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer geboren. Es ist der Lebensbericht einer viel zu wenig Geliebten, eines Mädchens, das zwischen alle Stühle gerät, viel zu große Verantwortung schultern – und sogar Auschwitz durchleben muss. Sie versucht eisern, so nüchtern wie möglich zu berichten, nicht zu verurteilen. Doch was sie erzählt, ist kaum auszuhalten, die Egozentrik und Liebesunfähigkeit der Mutter ist himmelschreiend. Das Kind überlebt das Lager – und die Mutter hat nichts Besseres zu tun, als ihre Tochter und deren Schicksal nach dem Krieg literarisch ausschlachten zu wollen. Erschütternd.
Hans Erich Nossack: Der Untergang, (Kabel Verlag)
Vor ein paar Wochen war ich in Schweden, in Uppsala und Göteborg, um zu Stig Dagermans 100. Geburtstag über seine Reportagereise Deutscher Herbst zu sprechen. Dabei war die neue schwedische Übersetzung von Hans Erich Nossack in aller Munde: Das Buch wird dort gerade bewundernd als einzigartiges Zeitdokument gelesen, als Möglichkeit der Darstellung des Unfassbaren. Grund genug, diesen Text auf Deutsch neu zu lesen, den W. G. Sebald als große Ausnahme der deutschen Nachkriegsliteratur ansah. Und es ist in der Tat ein Ausnahmetext: Nossack tastet sich literarisch an das höllische Inferno heran, an die Zerstörung Hamburgs im Luftkrieg, die er selbst zufällig in der umliegenden Heide überlebt hat. Tastend, sich zögernd und langsam an die eigentlich unaussprechliche Apokalypse heranschreibend. Es ist ein Text existenzieller Trauer, 1943 unter dem unmittelbaren Eindruck der Geschehnisse geschrieben, der das Erlebte ausdrückt und protokolliert und es noch nicht endgültig einzuordnen weiß.
Jan Peter Bremer: Nachhausekommen, (Berlin Verlag)
Noch ein Buch ohne großen Erzählbogen, ohne ausgefeilte Handlungsstränge. Jan Peter Bremer ist der Meister der kleinen Form, des vermeintlich Unspektakulären, der Robert-Walser-haften Verkleinerung. Hier erzählt er sein eigenes Leben. Das Aufwachsen als Kind im Wendland als Sohn eines übermächtigen Großkünstlers der Bundesrepublik, geplagt von Unsicherheiten, von Unbeholfenheit und von unfreiwilliger Komik. Der Junge will nirgendwo richtig hineinpassen, ist oft einsam, auf der Suche nach Zuneigung, sein Horizont ist zu weit für die Provinz, aber zu verquer und verdreht, um über den Dingen stehen zu können. Auf seltsame Weise rührt mich die Hauptfigur tief an – die Zuneigung, um die er im Roman kämpft, erhält er von mir als Leser unbedingt. Ein schönes Buch, das sehr viel weniger harmlos ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag.