Das Klopfen und Hämmern macht sie wahnsinnig. Simone hat sich in ihr Zimmer eingesperrt und versucht, den Lärm mit Musik zu übertönen. Handwerker. Wasserrohrbruch. Noch mehr Dreck. Die ungelesene Nachricht blinkt. Egal was er zu sagen hat, sie antwortet nicht auf die Nachricht des Ministers. Gestern hat sie schon alles gesagt: Steck dir deine Nelken von 1976 in deinen reaktionären Arsch.
So nebenbei hat er es fallen lassen, der Herr Finanzminister, den es doch fachlich gar nichts angeht. Aber was soll er denn tun, wenn die Redakteurin in der Pressestunde dann doch nachhakt beim Familienrechtlichen. Da bin ich natürlich ganz auf Parteilinie, hat er gesagt, ganz ohne Genierer.
Was hat sie denn erwartet. Der private Minister lässt abtreiben, der dienstliche ist ganz auf Parteilinie. Da hat er aber ein stattliches Stück Seele verkauft. Das wächst nicht nach.
Vielleicht mag er sie gar nicht mehr. Und sie schätzt dieses Band zwischen ihnen völlig falsch ein. Wie sie immer schon Freundschaften und Liebesbeziehungen zu Männern zu optimistisch eingeschätzt hat. Der Minister hat sich ziemlich breit gemacht im Sohn des Milchbarons. Der Patriarch hat sich durchgesetzt. Und diese Freundschaft, die Zärtlichkeit – vielleicht studiert er sie ja nur. Weil sie Teil des Grollens ist, das mal lauter, aber auch wieder leiser wird. So viele linke Feministinnen, die parteiunabhängig denken, leben und verdienen, gibt es nicht in seiner Umgebung. Sie kann ihm das Grollen übersetzen. Der Minister ist ja sonst nur von hohen Töchtern unterschiedlicher Reifestufen umgeben. Von dezent gelifteten, schlank gebliebenen Begleitpersonen, die loyal sind, tief in die bis zum Anschlag gefärbte Haarwurzel. Von jungen Parteisoldatinnen, die sich lernbegierig anbiedern. Frauen, die vom Patriarchat immer, auch in Krisenzeiten, mitgemeint, mitgenommen, mitgefüttert wurden. Die in ihren hellen Vorstadtvillen und Parteizentralen satt verwahrt sind. Und vor allem: zufrieden.
Die nicht so zufriedenen Frauen sind nach den letzten Rezessionen vielleicht auch nicht feministischer, jedenfalls aber mehr geworden. Hofft Simone zumindest. Die Armut nach der Pandemie, die kriegsbedingte Teuerungswelle hat viele Menschen ausgehebelt. Manche wurden ausgehungert, manche nur entpolitisiert, aber viele wurden zornig, so zornig, dass sie übergeschnappt oder übergekocht sind. Zornig genug? Populismus und Kapitalismus gingen ganz schön verbeult aus dem letzten Jahrzehnt hervor, aber es geht schon wieder bergauf. Die Grünen verbocken es wieder mal. Und der Sozialismus hat zu wenig Konjunktur, um dem etwas entgegenzusetzen. Was sie so aus den Wahlprogrammen herausliest, hat er auch diesmal leider wieder auf die Frauen vergessen. Das muss man erst mal schaffen. In ganz Mitteleuropa haben sich Frauen während und nach den Krisen mit ihren Kindern um Essen anstellen müssen, und einige sind obdachlos geworden. Und der Sozialismus hat es nicht zusammengebracht, daraus Kapital zu schlagen. So etwas wird nicht so schnell verziehen. Die unzufriedenen Frauen sind ein kleines Muttermal, allerdings eines, das den Dermatologen die Stirn runzeln lässt. Der Minister ist erfahren genug, um wachsam zu bleiben und genau hinzusehen. Außerdem ist der Minister ein sexueller Vielfraß. Egal wie viel Macht er hat, er möchte sie auch noch sexuell gespiegelt haben. Das Alphamännchen braucht seine Beta-, Gamma- und Deltaweibchen, er muss immer wieder aufreiten, einer Urangst gehorchend, sollte sich ein Nachfolger nähern.
Und dann noch die Homestory, auf Hochglanz. Ganz klar, der sitzt schon mit der halben Arschbacke auf dem Ministerstuhl der nächsten Regierung. Egal, welches Ministerium. Die gratis Wahlwerbung ist er seiner Partei schuldig. Wie er sich mit seiner ganzen Sippe abbilden hat lassen. Im Kreise seiner Lendenfrüchte. Wie hermetisch diese bürgerlichen Frauen ihre Kinder gegen den Fortschritt abschirmen. Und wie unter ihrer Patronanz das System auch in der nächsten Generation gnadenlos funktioniert. Die Schwiegersöhne sind ein bisschen fürsorglich geworden, schieben Kinderwägen, pürieren Zucchini und deklinieren Vokabeln mit dem Nachwuchs. Vor der Kamera. Aber fürsorgliche Männer gehen nie in die Politik. Je mächtiger und bedeutsamer die berufliche Funktion, desto weniger Familienzeit.
Sie weiß, wie es beim Minister daheim läuft. Sie hat naive Fragen gestellt und entlarvende Antworten bekommen. Je privater die Fragen wurden, desto knapper fielen die Antworten aus; oft, weil der Minister die Antworten einfach nicht wusste.
Wie oft kommt eure Putzfrau? Wer wechselt die Glühbirnen in der Villa? Wo kauft ihr euer Fleisch ein? Wann ist deine Frau in den Wechsel gekommen? Nimmt sie Hormonersatzprodukte?
Was du für Fragen stellst, sagte er dann.
So richtig ernst kann er sie trotz aller Gespräche nicht nehmen. Er hält den Feminismus für bedingt gefährlich. Er ist ja auch nicht ernst zu nehmend, so, wie er sich mit einer schlafwandlerischen Sicherheit in der dritten, vierten Reihe der Tagesaktualität bewegt und sich damit abgefunden hat, am Frauentag in der ersten Reihe posieren zu dürfen. Wie der Minister sie gefragt hat, wann sie endlich lernen würde, sich für TV-Diskussionen ein passendes Gewand zuzulegen. So ein Hosenanzug steht dir sicher, sagte er. In dem kannst du viel besser deine stattlichen Eier zeigen. Wenn wir Röcke und Kostüme tragen müssten, könnten wir unmöglich dieses Land regieren.
Sie blättert sich durch das Magazin. Dieses Haus. Diese Hortensien, die wie ein Krebsgeschwür um die Mauern der stattlichen Villa wuchern. Sie könnte in das Heft hineinkotzen, wenn sie schon etwas gegessen hätte. Aber die Küche ist Sperrzone. In ihr stinkt und lärmt der Handwerker.
Der Lärm macht sie wahnsinnig. Simone versucht, wegzuhören. Die Geräusche klingen willkürlich. Als würde der Handwerker über die Ideologie dieser WG Bescheid wissen und absichtlich Krach machen. Vielleicht hat er Big Sista gesehen. Unwahrscheinlich. Er ist doch nur ein Installateur, der ein bisschen Mauer wegstemmt, um einen Wasserrohrbruch zu reparieren, beruhigt sie sich. Schade, dass er nicht hier ist, um endlich die neue Heizung zu installieren. Oder die Fenster auszutauschen. Oder eine neue Küche einzubauen, mit einem riesigen Kühlschrank, der sich von selbst füllt.
Dass die Frauen so viel diskutieren, könnte ja ein gutes Zeichen sein. Flora ist die Brandstifterin. Immer ist sie die Erste, der es zu ungeputzt, zu vollgeräumt, zu unorganisiert, zu ungelüftet ist. Immer nörgelt sie an Maren, Simone und Eleonora herum. Weil sie das Gendersternchen nicht aussprechen. Weil sie sich kritisch zu dem hippen Diskurs über Gender und Sexarbeit äußern. Flora ist eine woke Sternchenfeministin, das ist ihr nicht klar gewesen.
Die letzte Big-Sista-Folge hat die Stimmung nicht verbessert. Der Gast ist eine Gästin gewesen, eine Transfrau, eine Sexarbeiterin. Ray. Eine dieser glücklichen, freiwilligen Sexarbeiter*innen, die alles legalisiert wissen wollen und keine Polizei, keine Kontrollen, keine Tabuisierung. Sie haben einander höflich begrüßt, Simone hat sie unter dem grellen Scheinwerferlicht in die Küche begleitet, sie haben sich gesetzt, Eleonora hat ihnen Minestrone, Wein und Kartoffelpuffer mit Krautsalat kredenzt. Ray verweigerte die Maske, ein Make-up-Artist hat sich schon um mich gekümmert, sagte sie. Sie trug hautenge Jeans, hohe Stöckelschuhe und eine gestreifte Bluse, aus der der halbe Busen raushing. Die Redaktion hatte eine glückliche, eloquente Bio-Hure ausgesucht, die für alle sprechen soll. Eine Zeitlang ging es gut. Draußen wurde es dunkel, sie sprachen über Frauenpolitik und Johanna Dohnal; Simone hatte das Gefühl, sich tiefer und tiefer in eine trügerische Idylle zu reden, die sie nicht verlassen wollte. Was sie aber müssen würde, wenn es um das Thema ging.
Dann fragte der Moderator, ob hier nicht verschiedene Auffassungen von Feminismus aufeinanderprallen würden. Müssten. Haben brav ihre Aufgaben gemacht, das Bürschchen und seine Redaktionen. Haben sich im Internet schlau gemacht und sind in die tiefsten Gräben hinabgestiegen, die der Feminismus aufzuweisen hat. Dort, wo es am lautesten plärrt, am heißesten wütet zwischen den Frauen.
Ja, da gibt es große weltanschauliche Differenzen, hat Simone zugegeben.
Nun, für Sie ist es Weltanschauung, für mich Existenzgrundlage, sagte Ray und legte das Besteck zur Seite.
Auch für eine Zwangsprostituierte aus Nigeria ist es Existenzgrundlage, hat Simone korrigiert.
Ah, das kolonialistische Denkprinzip, hat Ray geätzt. Die arme Afrikanerin, die unseren Rat dazu braucht, was sie mit ihrem Körper macht.
Simone verdrehte die Augen. Entschuldige bitte. Ich konkretisiere: die nigerianische, rumänische, bulgarische und gern auch österreichische Zwangsprostituierte, die sich ungeachtet ihrer Herkunft aus einer Notlage heraus zwangsprostituiert und nicht eloquent oder anderweitig selbstermächtigt genug ist, um sich aus der Situation zu befreien, weil sie eingesperrt ist, keinen Pass hat oder halbtot vergewaltigt und geprügelt wird, wenn sie nicht spurt.
Ach, das Märchen von der armen Hure, seufzte Ray.
Maren eilte Simone zu Hilfe. Wenn es doch nur ein Märchen wäre.
Das ist nicht Sexarbeit, ereiferte sich Ray. Das ist sexuelle Gewalt.
Von der Umbenennung kann sich die Zwangsprostituierte aber auch nichts kaufen, sagte Simone.
Ray schüttelte den Kopf und legte theatralisch die Arme auf den Tisch.
Ihr steht nicht auf der Straße. Ihr redet nicht mit den Sexarbeiter*innen. Ihr habt keine Ahnung.
Hier sind wir also, dachte Simone: die Betonschicht. Wahrheit gegen Wahrheit.
Das stimmt, sagte Simone. Aber redest du mit den Zwangsprostituierten? Reden die? Dürfen die reden?
Ich verstehe nicht, wie ihr so unsolidarisch sein könnt, sagte Ray bitter.
Wer ist wir?, hat Simone gefragt.
Ihr Altfeministinnen. Ihr Emma-Feministinnen. So viele SWERFs und TERFs1 unter euch. Es ist traurig.
Der Moderator hat schnell eingeworfen: Was ist eine SWERF, was ist eine TERF?
Damit die Zuseher und Zuseherinnen sich ein Bild machen konnten, was außerhalb ihrer Lebenswirklichkeit an Begriffen herumfliegt. Brav sagte er das Glossar auf.
Bin ich wirklich radikal, wenn ich die Ausbeutung von Frauenkörpern, und es sind mehrheitlich Frauen, die da konsumiert werden …
Der Körper wird nicht verkauft.
Deiner nicht, sagte Simone. Der von anderen vielleicht schon. Aber es gibt ihn leider nicht, den freiwilligen Huren-Sticker. So wie mit dem Bio-Gütesiegel. Wie gut es dem Huhn geht, entscheidet letztendlich nicht das Huhn, sondern der Konsument. Also, wo ist das Selbstermächtigungslabel. Wie unterscheidet der Freier zwischen zwangsprostituierter und selbstermächtigter Sexarbeiter*in?
Das ist das Problem mit euch Second-Wave-Feministinnen, sagte Ray gallig. Für euch sind alle Sexarbeiter*innen arme Hendeln aus Massentierhaltung. Mit dem Vergleich hast du dich jetzt entlarvt.
Simone schüttelte energisch den Kopf. Lass dich doch mal auf den Vergleich ein, deinen Schwestern zuliebe. Wenn der Konsument ein glückliches Huhn will, muss er ein teureres Bio-Huhn kaufen. Im Restaurant oder am Grillhendl-Stand wird’s schon schwieriger. Ist es nicht so am Straßenstrich? Und warum muss ich mir darüber Gedanken machen? Warum ist das kein Freier-Thema? Warum interessiert es die Freier nicht, Druck auszuüben auf die, die sich nicht an die Regeln halten?
Ray war aufgebracht und fuchtelte mit den Händen. Ist das dein Ernst?, rief sie. Bleiben wir jetzt wirklich bei den Brathühnern?
Sie lachte jetzt und grimassierte in die Kamera. What the fuck, formten ihre schönen, glänzenden Lippen.
Ach komm, entgegnete Simone entnervt. Ich habe nur das Patriarchat entlarvt. Der Vergleich ist aus so mancher Freier-Sicht völlig legitim! Der schert sich um die Freiwilligkeit seiner Hure genauso wenig wie um das Wohlbefinden seines Grillhendls. Das ist ja das Empörende am Kapitalismus. Der ist auch das Verbindende: Das Hendl aus Massentierhaltung und die Zwangsprostituierte sind beide billiger als ihre humane, würdevolle Alternative. Der Kapitalismus freilich scheißt auf die Würde der Ware. Das ändert sich leider auch nicht, wenn glückliche Sexarbeiter*innen erzählen, wie super ihre Arbeit ist. Wie normal. Genau deswegen ist Sexarbeit nicht normal, sondern eben sehr speziell.
Vor allem ist sie tabuisiert und kriminalisiert, sagte Ray jetzt patzig. Eine Enttabuisierung und Entkriminalisierung der Sexarbeit würde uns mehr helfen als die Einmischung von Abolitionistinnen wie dir.
Dir würde es helfen, erwiderte Simone. Du bist eloquent und unabhängig. Aber wie ist es mit denen, die nicht zu Wort kommen? Weil sie nicht reden dürfen? Die Sprache nicht können? Was würden die mir erzählen?
Schon wieder entmündigst du uns, sagte Ray patzig.
Wir denken aber nicht alle so, mischte sich Flora ein. Ich persönlich bin gar nicht auf der Emma-Linie.
Simone sah sie überrascht an.
Schau mich nicht so an. Ich bin Juristin, was erwartest du von mir? Die Polizeikontrollen in diesem Land sind völlig unzeitgemäß. Und das nordische Modell drängt die Sexarbeiter*innen in den Untergrund. Ist es nicht so?
Seitdem wird Simone geroastet. Und gepriesen. Danke, Big Sista. Sie hätte mit Ray über ungleiche Bezahlung reden können oder über Abtreibung. Nein, anstatt über mögliche Solidarität zu sprechen, ist Simone in die Kluft hinabgestiegen und hat mitgeplärrt. Sie hasst sich dafür. Falsch. Sie hasst die Redaktion dafür. Sie überlegt aufzuhören. Sie überlegt, das öffentlich zu sagen, sich zu distanzieren. Aber sie hat sich den Vertrag, den sie unterschrieben hat, angesehen. Ohne Pönale kommt sie da nicht raus, hat Flora gesagt. Ein Abendessen muss noch sein.
Flora und sie haben danach noch diskutiert. Du ziehst uns noch alle durch denselben Kakao, hat sie gesagt. Sie hat sich schrecklich gefühlt und tut es noch. Nicht nur wegen der Show.
Ich will nicht chillen, Sistas, hat Flora unter Marens oder Eleonoras Friedensaufruf Chillt, Sistas auf die Tafel geschrieben. Ich will Luft kriegen, Sista. Auf der Tafel sieht dieser Dialog fast lustig aus. Als wären es nur Kleinigkeiten, die mit einem Augenzwinkern weggeblinzelt werden können. Flora will mehr putzen als alle anderen. Sie will den heimlichen Hasen, der nicht mehr heimlich ist, ins Tierheim bringen. Seine Haare, seine Kötel. Die verschiedenen Auffassungen von Wohlbefinden und Sicherheit sind eben doch zu verschieden, auch wenn nur Frauen da sind. Gerade weil nur Frauen da sind. So wie in allen Familien wird gestritten, weil jede und jeder eine ein bisschen andere Auffassung von persönlichen Grundbedürfnissen hat. Vom Essen. Vom Schlafen. Vom Lieben. Vom Geldausgeben. Vom Geldverdienen. Vom Haustierhalten. Vom Putzen. Davon, wie lange ein Mensch auf einem Klo sitzen darf und wie genau es danach auszusehen und zu riechen hat, und womit sich ausgewischt wird. Die Kleinfamilien kriegen das auf die Reihe, weil sie es seit Generationen üben. Und müssen. Weil sie zusammengeschweißt sind. Nicht nur durch Liebe. Die gegenseitige finanzielle Abhängigkeit ist ein bewährtes Bindemittel, das die Gesellschaft über die Kleinfamilienstruktur zusammenhält. Das, die Moral und die Liebe, die Mutti immer noch hervorwürgen kann, wenn sie doch das Klo putzt, in dem die Kinder ihre Kackspuren hinterlassen. Weil es niemand anderer macht. Und wenn sie schon mal dabei ist, dann kann sie die Pisse von Vati, der sich beim Pinkeln nicht hinsetzen will, auch schnell wegwischen. Man will ja nicht ständig kämpfen und schimpfen. Alles Dasein wurzelt in der Liebe, da ist man sich weltweit einig.
Von Maren kam der Vorschlag, das Putzen auszulagern. Ja, am liebsten würden wir doch alle in unseren eigenen Häusern wohnen und uns bedienen lassen. Dann gibt’s keinen Streit mehr. Wer es sich leisten kann, tut das auch. An den Reichen kann man sehr gut sehen, wohin der Trend ginge, wenn er könnte. Die Reichen wohnen nicht in WGs oder Wohnhäusern, sie haben gern Platz und Grünland um sich, und Personal, das die Drecksarbeit für sie erledigt und sich nach der Arbeit in seine Ritzen verzieht. Sie haben riesige Häuser, Köchinnen und Putzkolonnen, Erzieherinnen und sogar Trainer, die sie zum Sport nötigen, aber nicht beim Leben stören.
Simone braucht Tee. Eleonora ist nicht zu Hause, sie muss sich ihren Tee selbst machen. Simone überlegt, ob sie sich etwas anziehen soll, aber dann schlüpft sie nur in ihren türkisen Königinnen-Kimono mit den goldenen Ornamenten. In der Küche packt der Handwerker gerade sein Werkzeug zusammen, ihr den breiten Rücken zudrehend. Sie stellt sich in die Türe, verschränkt die Arme, er dreht den Kopf zu ihr. Etwas Verächtliches ist in seinen Bewegungen, eine Respektlosigkeit, die sie in ihren eigenen Wänden nicht so oft erlebt. Er sieht durch sie hindurch, sie ist nur eine alte Frau mit einem Wasserrohrgebrechen, eine von vielen, austauschbar, lästig, aber sie hat eine Auftragsnummer und irgendwie hat das etwas mit seinem Gehalt zu tun. Du Trottel, denkt sie. An der Wand prangt ein Loch, die geflickte Leitung liegt darin brach, das weggestemmte Material ist dürftig zusammengekehrt worden.
Ich bin fertig, sagt er.
Sieht aber nicht fertig aus, sagt Simone.
Verputzt muss noch werden, sagt er, aber erst, wenn es trocken ist.
Ich weiß schon, sagt Simone, ist nicht mein erster Wasserrohrbruch.
Sein Werkzeug hat er schon gepackt, jetzt legt er ihr noch einen Zettel zum Gegenzeichnen hin, sieht sie immer noch nicht an. Sie kann nicht lesen, was sie unterschreibt, es ist irgendein Geschmiere, das alles Mögliche heißen kann.
Den Boden wischen Sie nicht auf?
Er schüttelt den Kopf.
Das ist aber schade, sagt sie. Probieren wird man es ja noch dürfen, oder?
Er hebt die Brauen. Jetzt ist sie gleich ein bisschen besser sichtbar. Lästig muss man sein, widerborstig, anmaßend, denkt sie, während sie unterschreibt. Junger, männlicher Handwerker, alte, pensionierte Lehrerin im Morgenmantel, ganz klar, wer in der Gesellschaft höheres Ansehen genießt, da kann sie noch so akademisch und Kundin sein, Achtung hat er für sie nur, wenn sie zum Problem wird.
Sie nickt ihm zu und zeigt ihm den Weg zur Türe nicht, stattdessen geht sie kommentarlos zum Fenster und lüftet. Die Tür fällt ins Schloss, sie sieht das Chaos, beschließt, den Boden zu wischen, um Streit zu vermeiden. Das Putzzeug wurde lieblos in die Abstellkammer gestellt, sieht nach Maren aus. Der Geruch von Hasenurin hängt auch im Putzfetzen. In der Kammer. Sie wischt erst unter der verwundeten Mauer, dann unter dem Tisch, vor dem Kühlschrank. In der Nische zwischen Kühlschrank und Wand Hasenkötel, jetzt erst sieht und riecht sie die Urinflecken. Dann macht sie weiter, im Vorzimmer. Hasenscheiße hinter dem Vorhang, unter dem Schuhkasten, dort beim Schirmständer. Wie oft und wann ist dieser Hase frei in der Wohnung herumgelaufen?
Maren, knurrt Simone. Wo bist du? Vögel füttern im Park? Suppe kochen für Obdachlose? Deutsch lernen mit Flüchtlingen? Was ist mit deiner Liebe zu uns? Nach dem Aufwaschen zögert Simone nur kurz, bevor sie Marens Zimmer betritt. Auf dem Boden hinter dem Bett steht der kleine Käfig, in dem das graue Häschen hektisch klopfend zurückzuckt. Ein paar zernagte Karottenstückchen liegen herum, vermischt mit Kot. Sie hasst diesen Hasen. Ist das überhaupt ein Hase? Eher ist es ein Kaninchen. Der Käfig ist sicher zu klein. Dass es so schwer ist, so wenige Regeln einzuhalten. Simone riecht den Tiergeruch, öffnet wütend das Fenster in Marens Zimmer. Wenn es kalt wäre, würde es erfrieren. Aber es ist Frühling, es ist warm. Sie kniet sich vor das Tier, hebt den Käfig auf den Schreibtisch, es läuft aufgeregt herum, dann presst es sich ins Eck des Käfigs, seine Barthaare zittern, die großen, schwarzen Augen taxieren sie panisch. Ein Luftzug aus der Küche nimmt Fahrt auf, will mit den alten, morschen Fenstern klappern, aber Simone hält dagegen und bleibt noch kurz im Luftstrom stehen, bevor sie es verschließt, sich eilig anzieht, eine Decke über den Käfig wirft und mit dem Hasen die Wohnung verlässt, bevor Maren zurückkommt.
Auszug aus dem Roman Einzeller, Kapitel 13, gekürzte Wiedergabe. Erscheint am 6.3.2023 bei Kremayr & Scheriau.
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