Uwe Schütte: Bedingt brauchbar

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Ein Streifzug durch neuere germanistische Kompendien.
Umfang: 5 Seiten / 22.880 Zeichen
Format: PDF
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Beschreibung

Anfang dieses Jahres war es wieder einmal soweit: Eine im Spiegel publizierte Generalanklage gegen die Germanistik sorgte für sofortige Empörung in der Disziplin, gefolgt von einer vorübergehenden Diskussion samt Gegenstellungnahmen üblicher Verdächtiger. Natürlich sei die Germanistik unverzichtbar, so gaben Junior- wie Seniorprofessoren zu Protokoll, die Studierenden dürfe man – als Kinder ihrer medienüberfluteten Zeit – nicht für die Unkenntnis zentraler Autoren oder unverzichtbarer Bücher kritisieren, wie auch die Bereitschaft der Literaturwissenschaftler, sich Bereichen jenseits ihrer Kernaufgabe der Textanalyse zu widmen, doch Belobigung verdiene, war da etwa zu lesen.

Vielleicht hätte man lieber per unbezahlter Pflichtlehre ausgebeutete Privatdozenten befragt, die jahrelang mit schwindender Hoffnung auf eine Professur dem Abstieg in den Status eines überqualifizierten und damit schwervermittelbaren Langzeitarbeitslosen entgegensehen. Deren Blick auf ihre Profession wäre ein zweifellos interessanterer gewesen, denn er hätte ein anderes Bild dieses Massenfachs ergeben, das massenhaft in prekäre Verhältnisse entlassene Praktikanten und Kurzzeit-Projektangestellte mit Doktortitel produziert. In Anlehnung an Thomas Bernhards Klage, dass es in Österreich bald schon mehr Ober mit Professorentitel als ohne gäbe, darf man angesichts des Eifers, mit dem in saftig dotierten Sonderforschungsbereichen dutzendfach promovierte Germanisten produziert werden, davon ausgehen, dass es bald mehr Arbeitslose mit Doktortitel gibt als ohne.

Periodischer Selbstzweifel
Zu kritisieren an der Germanistik gibt es also einiges. Wenigstens ist sich die Disziplin dieses Umstands selber bewusst. Schon vor vielen Jahren hatte Karl Heinz Bohrer lakonisch konstatiert: „Die Geisteswissenschaften befällt seit längerem schon periodisch ein Anfall von Selbstzweifel.“ Zur Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Germanistik gehört aber nicht nur ihre soziale Verantwortung, sondern ebenso der Aspekt der Brauchbarkeit ihrer Produkte über den engeren Fachkreis hinaus. Was die in den Doktorandenschmieden entstehenden Promotionsschriften betrifft, so ist mindestens seit den letzten zehn Jahren ein stetiger quantitativer Anstieg in Zahl wie Länge zu verzeichnen ohne korrespondierende qualitative Verbesserung. Manche jüngere und jüngste Promotionsschriften – auf Nennung konkreter Beispiele sei hier bewusst verzichtet – sind nachgerade unlesbar. Doch wie steht es um germanistische Publikationen, in denen es gerade um eine breite Verständlichkeit gehen sollte, da die entsprechenden Werke wie Handbücher, Einführungen und Überblicksdarstellungen primär für Studienanfänger geschrieben werden, zugleich aber auf ein Marktsegment jenseits der Proseminare schielen.

[…]

 

Im Artikel besprochene Bücher:

Bengt Algot Sørensen (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 2: Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 4. Auflage. C.H. Beck, München 2016. 512 Seiten, € 17,95 (D) / € 18,50 (A).
Michael Niehaus / Claudia Öhlschläger (Hg.): W. G. Sebald-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart 2017.
335 Seiten, € 89,95 (D) / € 92,47 (A).
Dieter Lamping (Hg.): Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte. 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 2016. 506 Seiten,
€ 99,95 (D) / € 102,75 (A).
Leonhard Herrmann / Silke Horstkotte: Gegenwartsliteratur. Eine Einführung. Metzler, Stuttgart 2016. 232 Seiten, € 24,95 (D) / € 24,95 (A).

Uwe Schütte ist Dozent für German Studies an der Aston University, Birmingham. Zuletzt erschienen u. a. die umfangreiche Studie Interventionen. Literaturkritik als Widerspruch bei W. G. Sebald (Edition text & kritik, München 2014), Über W. G. Sebald. Beiträge zu einem neuen Bild des Autors (Hg., De Gruyter, Berlin 2016) und der Band GODSTAR – Der verquere Weg des Genesis P-Orridge (Der Konterfei).