Thomas Lang: Das Leichentuch der Literatur

1,00

Über Karl Ove Knausgårds literarische Anpassungsleistung in seinem sechsbändigen Roman Min kamp.
Umfang: 8 Seiten / 34.500 Zeichen
Format: PDF
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Beschreibung

Im Jahr 2011 sah ich in einem Laden ein Buch mit dem Titel Sterben. Von seinem Autor hatte ich noch nie gehört, aber der Titel und der Umschlag sprachen mich an, so ein schönes Türkis aus der Abteilung Bergsee war das. Fjord, hätte ich schreiben sollen. Ein Norweger – kannte ich einen außer Ibsen und Hamsun? Jon Fosse, aber den hatte ich weder gelesen noch eines seiner Stücke im Theater gesehen. Ich kaufte das Buch und las darin – befremdet. Es zog nicht richtig oder ich spürte nicht, wohin der Text wollte. An einer Stelle, nicht sehr tief im Buch, ging es viele Seiten lang darum, dass ein Jugendlicher in den 1980er-Jahren auf eine Silvester-Party gehen wollte. Das musste oder sollte ohne Wissen der Familie geschehen, außerdem musste der Junge Bier besorgen beziehungsweise, da er selbst keines kaufen durfte, organisieren. Mitten in dieser Schilderung gab ich auf. Da erzählte jemand bloß meine Geschichte, plus Norwegen. Sollte ich lesen, was ich ohnehin schon wusste?

Das war lange, bevor Knausgård zum Hype wurde. Erst 2015, als ich mir sagen musste, dass ich womöglich etwas verpasst hatte – denn plötzlich liebten oder hassten alle Knausgård, machte ich einen neuen Versuch. Diesmal klappte es, vielleicht auch, weil ich endlich mal hundertfünfzig Seiten an einem Tag schaffte. Ich war drin und ich nahm mir vor, nach und nach alle sechs Bände zu lesen. Lieben im Herbst 2015, Spielen und Leben im Herbst 2016, Kämpfen im Frühling 2017. Dazwischen las ich noch den Engel-Roman Alles hat seine Zeit und den ein oder anderen Essay. Knapp dreitausendsechshundert Seiten, rechne ich den Engel-Roman dazu, sind es viertausendzweihundert. Danach kann ich schwerlich behaupten, ich hätte mich gelangweilt.

Der Gegenstand all dieser Seiten ist kurz gesagt Karl Ove Knausgård (KOK), ein 1968 geborener Mann aus dem nördlichen Europa, der in einer Kleinfamilie aufwuchs, die ihre Macken hatte, und der beschloss, Schriftsteller zu werden. Der heiratete und drei Kinder zeugte, um die er sich kümmerte, ohne ein Vorbild dafür zu haben. Der Gegenstand dieses Romans ist mit anderen Worten mein eigenes Leben. Plus Norwegen. Hat das es so interessant für mich gemacht?

[…]

 

Thomas Lang, Jahrgang 1967, lebt als Schriftsteller in München. Zuletzt erschienen die Erzählung Jim (C.H. Beck, 2012) und der Roman Immer nach Hause (Berlin Verlag, 2016).