Beschreibung
Spät im Dezember 2012 saß ich eines Nachmittags, als draußen schon die ersten Silvesterraketen Löcher in das alte, bald überwundene Jahr rissen, an meinem Schreibtisch und war davon überzeugt, das zweifellos bedeutendste englischsprachige Buch des frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts gelesen zu haben.
Mit vollkommener Klarheit sehe ich diesen Tag noch vor mir, den Morgen über hatte das Geknall von Böllern die Stadt in eine bedrohliche und zugleich lächerliche Stimmung versetzt, wie Krieg im Traum, der ständig zwischen ungefährlich und gefährlich schwankt, zwischen Kampfzone und Jahrmarkt, und einmal, als ich vonder sich vor allem auf den letzten zehn bis zwanzig Seiten des Buches bis ins Unerträgliche steigernden Intensität der Erzählung den Blick ausruhen musste, beobachtete ich vom Schreibtisch aus eine große, zweifellos zu den teureren Sorten gehörende Feuerwerksrakete, die aus einem Nachbargarten in den Himmel zischte und zerplatzte. Allerdings konnte man die prächtige Explosion gegen den zu dieser Stunde noch blendend weißen Winterhimmel nur erahnen, wodurch sie seltsam innerlich stattfand, als würde sie dem Bewusstsein mit einer Spritze injiziert.
Es hatte Monate gedauert, das Buch zu lesen, und an einigen Stellen, besonders im ersten Drittel, wollte ich schon aufgeben, legte es mehrmals für zwei, drei Wochen auf die Seite, aber kehrte doch immer wieder zurück. Through the Valley of the Nest of Spiders des Amerikaners Samuel R. Delany, der mit gutem Recht als einer der ungewöhnlichsten Schriftsteller der Welt bezeichnet werden darf. Dieser Roman, sein krönendes Alterswerk – Delany ist heute einundsiebzig – kann tatsächlich mit nichts verglichen werden, was sonst im Bezirk der Weltliteratur existiert.
Anfang der 60er-Jahre fing Delany (damals zarte neunzehn Jahre alt und frisch verheiratet mit der Dichterin Marilyn Hacker) an, Science-Fiction-Romane zu schreiben und zu publizieren. Die Ehe stand unter einem seltsamen Stern, beide Partner waren offen homosexuell und hatten wechselnde Partner, versuchten aber dennoch, zur gleichen Zeit als traditionelle Ehegatten zu leben, ein Experiment, das einige Jahre funktionierte, aber dann von beiden in guter Freundschaft abgebrochen wurde.
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