Alexander Kluge: Durchlässigkeit. Ursprünglich positive Bedeutung des Wortes „vergeblich“

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Alexander Kluges Kolumne „Texte und Materialien aus den sieben Körben“.
Länge: 8 Seiten / 31.730 Zeichen
Format: PDF
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Kategorie:

Beschreibung

UNSCHÄRFE

DAS ABSOLUTE NICHTS

IST DAS TELESKOP ODER DIE TRÄNE DIE BESSERE VERSTÄRKUNG DES AUGES?

UNSER MUTTERGESTIRN IST EINE KÜHLE SONNE

RHABARBERBLATT BEI OSCHERSLEBEN

LICHT TRIFFT AUF GLAS UND SPRICHT MITEINANDER OHNE MENSCHLICHE BOTEN

 

Oxford Dictionary Unabridged

FUTILITARIAN: man or woman believing that human hopes are vain and human strivings unjustified; a person who holds this belief
Gegenpol: UTILITARIAN
FUTILITY = Vergeblichkeit. „Along the series of futilities preceded the rebels defeat.“
FUTILE: incapable of producing any result; ineffective; useless; „attempting to force-feed the sick horse a futile effort“; „a head staffed with silly futile ideas“; „that which flows easily is vain“

 

Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Band 25, V-Verzwunzen:

VERGEBLICH: adj. und adv. erfolglos. „die bedeutung ist ‚so beschaffen, dasz man es hingeben kann‘.“ JACOB UND WILHELM GRIMM WEISEN DARAUF HIN, DASS IN ÄLTERER ZEIT „VERGEBLICH“ IN POSITIVEM SINNE VERWENDET WURDE. DAS WORT HABE ZWEI VERSCHIEDENE BEDEUTUNGEN GEHABT. Eine davon entsprach: „zur Gabe geeignet“. Etwas, was man gern gibt, weil es einen Wert hat. „angenehm, erfreulich.“ „wahrscheinlich hatte ein herz voll vergeblicher Liebe die schöne schwärmerin unter die erde gezogen“ (Jean Paul). Hier ist das Wort „vergeblich“ wie unausschöpflich, generös, „verschwenderisch gebend ohne auf gegenleistung zu warten“ verwendet.
Erst später, so Jacob und Wilhelm Grimm, nimmt das Adjektiv und Adverb die Bedeutung von „erfolglos“ an.
VERGEBENS, adv.: umsonst. Genetiv des Partizips von VERGEBEN. Frustra, ohne Vergeltung, ohne Bezahlung.

„Ein guter gott hat nicht vergebens
gestreuet freuden ohne zahl
auf die bedorrte bahn des lebens“

„Vergebens mühen sich die Lieder,
vergebens quälen sie den Stein“ (Schiller)

„Drum siegeln sie des Grabes Thür
Und legen starke Wache für
Umsonst und gar vergebens!
„Ein schaffer und anschicker hat sein wonung … vergebens und … on zinse“

„Freut euch des Lebens
Solang das Lämpchen glüht
Alles vergebens“

„Da hast Du mir vergebens
Geschenket mildiglich
Das wehrte Brod des Lebens“

 

Ein Schnitt wie ein Nichts

Mit dem kurzen Schwert trifft der Samurai den Gegner unterhalb der Panzerung in die Eingeweide. Dort sitzt die Lebenskraft. Dann zerschneidet er mit dem Langschwert den geschwächten Feind. Die Klinge ist so scharf, daß sie nur je für einen Hieb taugt. Alle Übungen konzentrieren sich auf diesen einen Hieb. Das Langschwert ist eine Standeswaffe.
Trifft die Schneide auf einen Menschenkörper, verschwindet sie unmerklich in der Haut und den Knochen. In der Praxis hat der Gegner oft gar nicht bemerkt, daß er schon durchschnitten war. Die beiden Hälften blieben für einige Augenblicke zusammen und auch das Blut floß gewohnheitsmäßig durch die getrennten Adern.

[…]

 

 

Alexander Kluge, 1932 in Halberstadt geboren, lebt als Schriftsteller und Filmemacher in München. Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Film- und Literaturpreisen ausgezeichnet. Zuletzt veröffentlichte er bei Suhrkamp die Bände Nachricht von ruhigen Momenten (2013), 30. April 1945 (2014), Kongs große Stunde (2015) und Die Kunst, Unterschiede zu machen (2016). Demnächst erscheint: Georg Baselitz, Alexander Kluge: Weltverändernder Zorn – Nachricht von den Gegenfüßlern (Suhrkamp).