Literatourismus

Von Cornelia Travnicek.
Vielleicht würde uns noch ein Fahrer finden. Es war ein kleiner Flughafen und wir waren immerhin die einzigen beiden Weißen, die um diese Uhrzeit angekommen waren.

Online seit: 30. April 2019
Cornelia Travnicek © Helmut Lackinger
Cornelia Travnicek: Natürlich hatte ich nicht „Nein“ gesagt, als mich die Kollegen gefragt hatten, ob ich mit zu diesem Festival nach Indien kommen würde, weil ich noch nie „Nein“ gesagt habe, wenn mich jemand ins Ausland einladen wollte.
Foto: Helmut Lackinger

Manchmal, da fragt man sich am Morgen, wie das ein oder andere Problem im nicht vorhandenen Licht der Nacht überhaupt so riesige Schatten hat werfen können.

Es ist 08:30 Uhr in Ostindien. Ich sitze in der Lobby eines Hotels und halte mich mit der linken Hand an einer Literflasche Wasser und mit der rechten an meinem Smartphone fest. Das ist alles, was ich habe. Mein Gepäck ist im Kofferraum eines Wagens, in dem meine Freundin sitzt, mit ihrem Touristenführer auf dem Weg zu mehreren Sehenswürdigkeiten in der nicht ganz so nahen Umgebung. Es ist das erste Mal, dass ich mit Begleitung auf einem Literaturfestival bin.

Komm mit nach Indien, hatte ich gesagt, bei solchen Festivals kümmert man sich immer ausgezeichnet um die Gäste, hatte ich gesagt …

Die Kurzbiografien mancher Kollegen und Kolleginnen haben Einträge wie „Lesungen in“ und dann werden verschiedene Länder aufgezählt. Ausgenommen Österreich schaffe ich mittlerweile fünfzehn – ohne die Staaten zu zählen, in denen ich rein zu Filmvorführungen oder Übersetzungsworkshops war. Dabei habe ich schon so einiges bewohnt: Vom heruntergekommenen sozialistischen Prestigehotel in der südosteuropäischen Provinz bis zum Gästezimmer eines polyamorösen schwulen Quadrupels in New Mexico. Dieses Jahr kommen drei neue Länder dazu, zwei wiederholen sich. Aktuell also: Indien. Flugkosten und Visum: Freundlicherweise übernommen vom P.E.N. Österreich. Aufenthalt und Verpflegung: Während der Dauer des Festivals auf Kosten der Veranstalter.

In neunzig Minuten soll das drei ganze Tage dauernde internationale Festival mit gut fünfzig teilnehmenden Autorinnen und Autoren – hauptsächlich Inder und Inderinnen – mit der Verleihung eines Poesiepreises eröffnet werden. Außer den anderen drei Leuten aus Österreich sind noch weitere internationale Gäste auf der Rednerliste: zwei aus den Niederlanden und einer aus Slowenien. Ich habe noch keinen davon gesehen.

Gestern in der Nacht hat einer der Männer, die irgendwie etwas mit der Organisation des Festivals zu tun haben (oder auch nicht), gemeint, es würde mich morgens jemand abholen. Hier. Wann, wollte ich wissen. Dazu wird sich noch jemand bei dir melden, war die Antwort. Und ich habe es geglaubt. Bis mich ein Auto abholt, werden ab diesem Zeitpunkt noch genau drei Stunden vergehen, ich werde über zehn Anrufe machen, wo nur beim allerersten jemand abheben wird, ich werde an verschiedene Menschen SMS schreiben und Facebook-Nachrichten, ich werde mein Handy zwischendurch am Strom anstecken und ich werde alle fünfzehn Minuten meine Freundin auf dem Laufenden halten: Immer noch nichts.

Sommerlageratmosphäre

Mit dreiundzwanzig war ich das erste Mal auf einem Literaturfestival im Ausland. Damals fand ich, eigentlich gerade erst diesem Alter entwachsen, die bei jener Veranstaltung aufkommende Sommerlageratmosphäre zuerst etwas befremdlich: In einem Bus stundenlang über Land kutschiert werden, sich in manchen Nächten ein Zimmer mit einer Fremden teilen, unter Gruppenzwang am Abend nach den Lesungen unbedingt noch irgendwie Party machen, versehentlich die Zimmerkollegin beim Sex mit ihrem jüngeren Flirt überraschen. Aber wenn man am Ende nach dem letzten Schnaps doch mitgetanzt und sich mit irgendjemandem um drei Uhr morgens ohne Besteck ein fettiges Nahrungsmittel aus einem ebenso fettigen Einschlagpapier geteilt und dabei Komplimente zur Lesung am Abend angenommen hat, und sich nicht mehr über die „Weißt du noch, damals in“ und die „Kommst du nächstes Jahr dann nach“ wundert, die zwischen den anderen nur so hin- und herfliegen, ist man auch schon ganz dabei, ist man selbst schon Teil der Sache.

Vor genau elf Stunden, also gegen halb zehn Uhr abends, waren wir am Flughafen angekommen und hatten gewartet. Genau einen Schritt hatten wir aus dem Ausgang getan, mit unseren Blicken die gedruckten Namen auf den Schildern in den Händen der Fahrer abgetastet, gehofft, dass vielleicht einer der Blumensträuße, die da auf Ankommende warteten, an uns adressiert wäre – aber, ach, alle Blumensträuße und ihre alten und neuen Besitzer fanden sich und verschwanden, und die Fahrer, die blieben, starrten uns zwar interessiert an, aber es waren eben nicht unsere Namen da auf ihren Pappschildern. Wir standen im künstlichen Licht, um uns Dunkelheit. Winters geht auch in Indien um sechs Uhr die Sonne unter.

I or one of my directors will be present there during your arrival. Besides that, I would mail you the vehicle number as well as the details about the driver well in advance. I shall personally monitor your arrival. Your safe and delightful stay is our motto.

Das war als Antwort auf meine mehrmaligen Nachfragen per E-Mail bezüglich essenzieller Informationen im Vorfeld des Festivals gekommen. Die Nachrichten, die darin versprochen worden waren, jedoch nie. Der Umstand, dass ich sie nie erhalten hatte, wurde mir dort, wartend am Flughafenausgang, schlagartig bewusst. Wir hatten keine Adressen, wir hatten keine Telefonnummern. Wir wussten nicht wohin. Wir wussten nicht mit wem. Wir wussten im Grunde gar nichts. Vielleicht würde uns noch ein Fahrer finden. Es war ein kleiner Flughafen und wir waren immerhin die einzigen beiden Weißen, die um diese Uhrzeit angekommen waren. Die einzigen Frauen, die noch hier herumstanden. Wir fanden, wir wären nicht so schwer zu übersehen. Vielleicht würde aber auch kein Fahrer mehr auftauchen.

Natürlich hatte ich nicht „Nein“ gesagt, als mich die Kollegen gefragt hatten, ob ich mit zu diesem Festival nach Indien kommen würde, weil ich noch nie „Nein“ gesagt habe, wenn mich jemand ins Ausland einladen wollte.

Wir warteten mehr als eine halbe Stunde. Alle fünf Minuten versicherte ich meiner Freundin, dass so etwas noch nie, aber wirklich noch nie, vorgekommen war. Irgendwie fühlte ich mich schuldig. Am Ende dieser dreißig Minuten fingen wir an, darüber zu scherzen, dass wir uns einfach im nächsten schönen Hotel ein Zimmer nehmen würden und das den Veranstaltern weiterverrechnen, wenn nicht bald jemand käme. In den Spaß mischte sich leise Verzweiflung. Da erinnerte ich mich plötzlich, dass ich die österreichische Telefonnummer einer anderen Teilnehmerin hatte, weil diese im Vorfeld für die Übersetzung meiner Gedichte zuständig gewesen war. Ich schrieb ihr eine SMS.

Etwas zum Erzählen

Etwa zehn Minuten später saßen wir schließlich in einem Auto. Hurra. No hard feelings. Kann ja mal vorkommen. Haha. Eine Anekdote, etwas zum Erzählen. Ein junger Mann indischer Herkunft, der sich uns gegenüber als Festivalteilnehmer geoutet hatte, fuhr am Beifahrersitz mit. Er meinte zwar, er wüsste nicht, wie er zu der zweifelhaften Ehre käme jetzt organisatorische Tätigkeiten zu übernehmen, aber das verdoppelte unsere spontanen Dankbarkeitsgefühle ihm gegenüber nur. Ich ließ mir seine Telefonnummer geben. Nur zur Sicherheit.

Wir kamen nach längerer Fahrt in einem Hotel an, wir gaben unsere Dokumente ab, wir füllten Formulare aus, wir ließen unser Gepäck wegbringen. Dann fragte ich, mit einem Blick auf die drei gar geschäftigen Herren hinter der Rezeption: Wissen die auch sicher, dass wir zu diesem Literaturfestival gehören? Davon hatte vom Hotelpersonal bisher nämlich noch niemand ein Wort verloren. Ich bereue diese Frage. Diese Frage war es nämlich, welche die folgenden Ereignisse auslöste, und im Nachhinein wünsche ich mir, ich würde mir manchmal nicht Sorgen machen, solche, wie z.B. dass es am Ende Probleme mit der Kostenübernahme geben könnte, wenn wir falsch eingebucht worden wären. Diese Frage jedenfalls löste eine Diskussion unter allen anwesenden Männern aus, die in der Erkenntnis endete, dass unser Name hier nicht auf einer gewissen Liste stand, oder die Liste nicht so lang war, wie sie sein sollte, wir jedenfalls hier ganz und gar nicht eingeplant waren. Indische Telefongespräche später folgte eine Erklärung: Es gäbe mehrere Hotels, in denen Festivalgäste untergebracht waren, das hier wäre schlicht das falsche. Wir forderten unser Gepäck zurück, packten unsere Dokumente weg, ließen von den Formularen ab und gingen rückwärts wieder aus dem Hotel. Rewind.

Spiegelkabinett der Paranoia

Manchmal, da glaubt man, die eigene Müdigkeit hätte alles überzeichnet, verzerrt – Erinnerungen aus einem Spiegelkabinett der Paranoia.
Im Auto waren wir dankbar für die erneute Begleitung des jungen Mannes, der nach eigener Aussage auch nicht so genau wusste, in welchem Hotel er nun wohnen würde. Na, darüber konnte man ja beinahe lachen. Ein bisschen Chaos in Ostindien. Und wenn schon. Soll Schlimmeres passieren. Wir ließen uns durch die Nacht chauffieren.

Und dann war da eine Einfahrt, ein eckiges, graues Gebäude und die Aufschrift: Hostel. Meine Freundin und ich schluckten. Der junge Mann versicherte uns, die gut sichtbare Regierungsflagge beruhige ihn, was die Qualität dieses Nächtigungsbetriebes anginge. Das Auto spuckte uns aus. Unsere Rollkoffer folgten uns widerwillig in eine Lobby, die aussah wie der Wartebereich eines Busbahnhofs. Eines sehr kleinen Busbahnhofs. Die Rezeption samt ihres Angestellten hatte den Charme eines Gefängnis-Empfangs. Wir versicherten uns, dass diesmal nicht unser Name auf irgendwelchen Listen fehlte und begannen das Prozedere des Check-ins. Am Ende fragte ich nach Frühstück. Eine mittellange Diskussion später stand fest: Es war sehr unsicher, ob es hier Frühstück gab. Meine Einschätzung war: Eher nicht. Mir wurde erklärt, jemand würde für mich Frühstück zum Veranstaltungsort mitbringen. Was ist mit meiner Freundin, fragte ich, die hat doch für morgen einen Ausflug gebucht, wie kommt die an Frühstück? Neue Diskussion, mit der Versicherung: Frühstück würde dann eben hier auftauchen. Rechtzeitig. Ich hatte da so meine Zweifel. Es war spät geworden.

Wir schleppten unsere Koffer hinter dem Angestellten selbst in den zweiten Stock hinauf.

Das gesamte Gebäude war hart. Beton. Fliesen. Stein. Metall. Kein Holz, kein Stoff, kein Teppich. Unser Zimmer bestand aus drei Räumen: Winziges Vorzimmer mit schmutziger schwarzer Leder-Sitzgarnitur, Schlafzimmer mit Metallbettgestell, Badezimmer. Gelbliche Wände. Am Balkon des Zimmers gegenüber trocknete Wäsche auf einer Leine. Wir sanken auf unsere Koffer und sahen uns um. Auf der Matratze war kein Leintuch. Im Doppelbett lagen zwei Polsterbezüge, ein Deckenbezug und zwei fleckige Polster. Im Bad waren keine Handtücher. Der Kühlschrank war leer, am Tisch standen zwei wiederbefüllbare Wasserflaschen – Wasser unbekannter indischer Herkunft. Meine Freundin und ich sahen uns an.

Komm mit nach Indien, hatte ich gesagt, bei solchen Festivals wird man immer ganz nett untergebracht, hatte ich gesagt …

Ich dachte zurück an das Lyrikfestival auf der tibetischen Hochebene und wie wir dort an jedem Ort mit einem neuen Festessen empfangen worden waren. Ich erinnerte mich an das Treffen der Literaturübersetzer aus dem Chinesischen, bei dem wir diesen wundersam netten Liederabend im lokalen Opernhaus verbracht hatten. Meine Gedanken wanderten zu dem netten Abend in der serbischen Pampa, wo es nichts Schöneres gab, als unter einem Baum auf einer Holzbank zu sitzen und mit Kollegen und Kolleginnen aus fünfzehn verschiedenen Ländern auf ein und dieselbe Kuh zu starren. Ich sah mich noch einmal um, überlegte, in welcher Ecke des dreckigen, nicht bezogenen Bettes wir uns voll bekleidet und mit trocken aufgesprungenen Lippen zusammenkauern würden, ungeduscht, und warten, dass diese Nacht endlich vorüberginge. Hier können wir nicht bleiben, sagte ich.

Schuldgefühle

Meine Freundin hatte in der Zwischenzeit den einen Deckenbezug, der nun verlegen Brandflecken präsentierte, auf ihre Seite der nackten Matratze ausgebreitet, und einen der Polster im dazugehörigen abgenutzten Stoffrechteck versteckt, aber auch mit diesen Verbesserungen sah sie nicht glücklich aus. Das Gefühl der Schuld verfestigte sich in mir.

Ich versuchte, jemanden vom Organisationsteam anzurufen. Der Telefonempfang im Zimmer war so schlecht, ich musste dazu in die Lobby gehen. Ich fand den Rezeptionisten. Towels? fragte ich, und Bed Sheet? und Water? – er verstand kein Wort. Closed, sagte er und meinte die Lobby. Niemand, den ich anrief, hob ab. Ich schrieb Textnachrichten an die Kollegin aus Österreich und an den jungen Mann aus dem Auto. Die Nachrichten gingen erst nach einigen Minuten durch. Die Kollegin, die wahrscheinlich bereits im Bett lag, leitete unsere Bedenken bezüglich des Zimmers an den Direktor der Veranstaltung weiter. Wir suchten einstweilen im Internet nach Hotels mit 24-Stunden-Rezeption. Niemand meldete sich.

Nicht schlau genug

Wieder einmal eine halbe Stunde später standen wir mit unseren Rollkoffern am Straßenrand und warteten darauf, dass das von uns bestellte Uber käme, um uns zu einem anderen, von uns gebuchten Hotel zu bringen. Die junge Frau vom Organisationsteam rief mich an. Ob wir das Hostel verlassen hätten? Ob ich am nächsten Tag dann morgens um 08:45 Uhr zum Hostel kommen könnte, um an diesem Treffpunkt in den Shuttlebus zu steigen? Ich lächelte milde, als ich sie wissen ließ, das wäre natürlich überhaupt kein Problem. Es wurde Mitternacht. Wir sahen dem Uber auf der Karte zu, wie es sich in unsere Richtung bewegte und wieder abdrehte. Drei Mal.

Manchmal, da hat man das Gefühl, die Dinge, die man am Vortag erlebt hat, wären eigentlich schon zum Lachen gewesen und weniger zum Heulen.
Wir standen dort für etwa zwanzig Minuten. Dann bremsten sich vor uns zwei Autos ein, aus denen eine Handvoll Männer sprangen, unter anderem der Direktor des Festivals. Es gab eine Diskussion, warum wir hier auf der Straße standen, weil das doch, gerade für junge Frauen, ziemlich gefährlich wäre. Das milde Lächeln, das ich seit dem letzten Telefongespräch im Gesicht hatte, war wie festgeklebt. Nein, wir wollten nicht noch in ein anderes Hotel gebracht werden, wir hatten bereits ein eigenes gebucht und bezahlt, im Internet, mit Kreditkarte, ja. Dort absetzen würden wir uns aber gerne lassen, natürlich. Als wir endlich dort angekommen waren, ließ ich mir, um einiges schlauer geworden, versichern, dass mich jemand morgens genau von diesem Hotel abholen würde. Ich wusste nicht, dass das noch lange nicht schlau genug war.

Manchmal, da erscheint einem rückblickend die eigene Aufregung surreal und man muss sich bei der zweiten Person, die es auch erlebt hat, versichern, dass die durchaus ihre Gründe hatte.

Nun ist es also 08:30 Uhr vorbei und ich voll frischer Hoffnung. Ohne eine Vorahnung, was noch kommt. Dass ich die Eröffnung des Festivals versäumen werde, und gerade noch rechtzeitig zu meiner Lesung auf der Bühne erscheinen. Dass sich den ganzen Tag lang immer wieder die Informationen zu unserer Hotelunterbringung ändern werden, von Hotel A zu Hotel B und wieder zu Hotel A bis hin zu immer noch Hotel A, aber leider wohnt jemand anders in eurem Zimmer. Dass ich den hilfreichen jungen Teilnehmer vom ersten Abend in den Festivalmaterialien auf einem Foto mit der beigestellten Funktionsbezeichnung „Director“ finden werde, während er weiter daran festhält, eigentlich für nichts zuständig zu sein. Dass das uns neu zugewiesene Zimmer zwar kein Tageslicht, jedoch immerhin ein Leintuch haben, das Bett aber eindeutig benutzt und nicht frisch überzogen sein wird, worüber wir uns dann schon nicht mehr beschweren werden wollen. Dass am nächsten Tag jemand um elf Uhr nachts an unsere Tür klopfen und die Begleichung unserer Restaurantrechnung fordern wird, obwohl ich noch extra nachgefragt hatte, ob der Veranstalter die Verpflegung während des Festivals übernimmt. Natürlich. No worries. Und. Und. Und. Und dass wir am Ende auch noch herausfinden werden, dass es einen Tag nach dem Festival, am Tag des von uns gebuchten Rückfluges, einen organisierten Ausflug genau dahin gibt, wohin meine Freundin eben erst sehr kostspielig mit privatem Guide gefahren ist, wovon mir im Vorfeld aber niemand etwas mitgeteilt hatte, trotz meiner mehrmaligen Nachfragen bezüglich des Ablaufs.

Komm mit nach Indien, hatte ich gesagt, bei solchen Festivals gibt es immer ein wirklich interessantes kulturelles Rahmenprogramm, hatte ich gesagt …

Irgendwann werde ich auch verstehen, dass wir Österreicherinnen im Grunde nur eingeladen worden waren, weil eines unserer Delegationsmitglieder von hier gebürtig ist, und dass die Niederländer sich überhaupt über einen persönlichen Kontakt in anderer literarischer Sache quasi selbst eingeladen haben. Wie es den einen Slowenen dorthin verschlagen hat – ich werde vergessen, ihn zu fragen. Ich werde tatsächlich noch brav meine Lesung und die Podiumsdiskussion absolvieren, deren Thema mir erst vor 48 Stunden kommuniziert worden ist, ich werde Interviews für drei verschiedene Onlinemedien geben, in denen ich die Wichtigkeit des kulturellen Austauschs im Allgemeinen, der Möglichkeit auf solchen Festivals dazu im Speziellen und das Potenzial der Lyrik als universell verständliche Sprache besonders betone. Danach werde ich kündigen, sofern man das kündigen nennen kann, wenn man die aufgetragene Arbeit schon erledigt, und es sowieso nie einen Vertrag gegeben hat. Es wird mir beinahe egal sein, dass ich somit nicht nur die erste, sondern auch noch die letzte der vier Hotelübernachtungen selbst begleichen muss. Beim Packen unserer Koffer wird meine Freundin zu mir meinen, dass sie bloß hoffe, ich würde für diese ganze Angelegenheit wenigstens ordentlich bezahlt. Daraufhin werde ich ihr sagen, dass man bei solchen Festivals im Allgemeinen kein Honorar erhält. Dass man die Bezahlung in Form der Flüge, der Übernachtungen, der Essenseinladungen und des kulturellen Rahmenprogramms bekommt. Dass man der Erfahrungen wegen hinfliegt. Und wegen der Kontakte. Es könnte sich ja eine Einladung ergeben.

 

Cornelia Travnicek, geboren 1987, lebt in Niederösterreich. Sie studierte Sinologie und Informatik und arbeitet als Researcher in einem Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung. Für ihre literarischen Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschienen der Roman Junge Hunde (DVA, 2015) und der Gedichtband Parablüh (Limbus Verlag, 2017).

Quelle: VOLLTEXT 1/2018 – 26. März 2018

Online seit: 30. April 2019