Code Poetry

Eine Begriffsklärung von Cornelia Travnicek mit einem Beispiel von Clemens Setz.

Online seit: 23. Juni 2015

Literatur und Informatik, wie passt denn das zusammen?“, ist eine der Standardfragen, die mir als beruflich im technischen Bereich tätigen Autorin in Interviews oder den oft auf Lesungen folgenden Publikumsgesprächen gestellt werden. Die Antwort darauf kann vielleicht Code Poetry geben.*

Das Wort „Code“ in „Code Poetry“ hat nichts mit Verschlüsselung zu tun, obwohl verschlüsselte Gedichte auch ihren ganz eigenen Reiz haben, sondern meint in diesem Fall Programmiersprachen – bekanntere wie Java, PHP und C ebenso wie unbekanntere wie CoffeeScript und Apache Kafka. Ja, Kafka. Im Gegensatz zum oft immer noch vorherrschenden Vorurteil, dass Programmierer und Programmiererinnen nicht lesen, und Schriftsteller und Schriftstellerinnen beziehungsweise allgemein literaturinteressierte Menschen ihren Computer weiterhin nur als Schreibmaschine nutzen, gibt es schon lange eine Gruppe von Menschen, in denen sich beide Interessen überschneiden – und im Grunde ist es schon alleine gänzlich falsch hier von zwei verschiedenen Interessen zu sprechen, denn es geht doch bei beidem nur um eines: Sprache. Um Genuss daraus zu ziehen ungewöhnliche, humorvolle oder künstlerische Dinge mit einer Programmiersprache anzustellen, muss man außerdem kein Literat sein, und um gerade von den Regeln und der zwingenden Logik von Computersprache fasziniert zu sein, wiederum keine Programmiererin. Was aber ist Code Poetry?

Logik und Literatur

Code Poetry ist entweder der Versuch, sich in einer Programmiersprache poetisch auszudrücken, den Computer &&|| ihm verständliche Anweisungen als sprachlich-künstlerisches Medium zu verwenden, oder die eigene Poesie mit Versatzstücken und Regeln von Maschinensprache zu bereichern, zu strukturieren. Code Poetry kann als Gedicht am Ende ein ausführbares Programm sein oder ein vom Menschen gelesener bzw. vorgetragener lyrischer Text. Code Poetry versucht die Verschmelzung von Logik und Literatur, Metrik und Mathematik, mit im besten Fall technischer und sprachlicher Eleganz.

Versuche der Verschmelzung – Zwei Beispiele

Im Jahr 2001 haben die Schweden Kalle Hasselström und Jon Åslund SPL erfunden, das als eine der am schwersten zu erlernenden Programmiersprachen der Welt gilt. SPL steht für Shakespeare Programming Language und die Struktur der in dieser Sprache verfassten Programme entspricht dem Aufbau von Shakespears Dramen. SPL ist eine sogenannte esoterische Programmiersprache, gehört also zu jenen, die weniger dem praktischen Einsatz dienen, sondern mehr dazu unkonventionelle Ideen umzusetzen, einen Proof of Concept.

Im Oktober 2014 erschien in San Francisco bei der No Starch Press ein Buch mit dem Titel If Hemingway wrote JavaScript, das mit dem Gedanken experimentiert, wie Programmcode, geschrieben von Jane Austen oder David Foster Wallace, aussehen würde. Autor Angus Croll hat für diesen Band fiktiven Code von fünfundzwanzig Schriftstellern und Schriftstellerinnen von Weltrang – und Tupac Shakur – erfunden, der in ihrem jeweiligen Schreibstil gehalten ist. Crolls literarische Überlegungen werden jeweils den von ihm entworfenen Programmen gegenübergestellt. Sowohl „strange“ als auch „beautiful“ wurde die Publikation in Rezensionen genannt, die es schafft, sowohl Literatur als auch JavaScript-Lehrbuch für fortgeschrittene Anwender und -innen zu sein.
Manche möchten die Code Poetry nun vielleicht als nicht ernstzunehmend abtun, als Spielwiese für Geeks und gerade mal für einen nerdigen Lacher gut, aber dieses Grenzland ist noch voller unentdeckter Arten, die unsere Fantasie beflügeln und unser Verständnis von Poesie erweitern werden – weiße Flecken auf der Landkarte, wir kommen!

* Nein, ich habe nicht Informatik studiert, um eine Code Poetin zu werden. Allerdings hatte die Literatur doch sehr viel mit meiner früheren Schul- und der folgenden Studienwahl zu tun: So war eine Zeit lang Susan Calvin, Roboterpsychologin, ein für mich durchaus realistisches weibliches Vorbild, obwohl sie nur im Isaac Asimovs Science-Fiction-Universum existiert.

 

Clemens Setz

The Gentle Things I Say to My LOGO Turtlegraphics Turtle

forward 50 right 10 back 5 clean
penup forward 50 right 19
hideturtle clearscreen penup home
showturtle forward 51
setpencolor blue pendown
clean home forward 5 right 45
forward 5 right 90 forward 5
right 45 forward 5 right 90
forward 8 right 10 penup home; baby

(Logo ist eine funktionale Programmiersprache. Turtle-Grafik ist eine Anwendung, bei der man einen Stift – der in diesem Fall von einer Schildkröte „getragen“ wird – über den Bildschirm schickt, der den Anweisungen folgt und diese aufzeichnet. Setz‘ Programm stellt ein kleines Häuschen dar.)

 

Cornelia Travnicek, geboren 1987, lebt in Niederösterreich. Sie studierte Sinologie und Informatik und arbeitet als Researcher in einem Zentrum für Virtual Reality und Visualisierung. Zuletzt publizierte sie den Roman Chucks (DVA, 2012). Im Juli erscheint ihr erster Gedichtband mindestens einer der weißen wale (Verlag Berger), im September ihr neuer Roman Junge Hunde (DVA).

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Ausgabe 2/2015 erschienen.

Angus Croll: If Hemingway wrote JavaScript.
No Starch Press, San Francisco 2014.