Es gab schon bessere Zeiten für die Zukunft. Heutzutage wird sie gern mal von der Gegenwart überholt. Die Halbwertzeit literarischer Zukunftsprognosen ist drastisch zurückgegangen. Wer sich auf der Basis unseres Wissens ein Bild von den kommenden Zeiten macht, läuft leicht Gefahr, mit seinen Vorstellungen, jedenfalls den technischen, schon bei der Publikation zum alten Eisen zu gehören. Dieser Umstand, so wird häufig angenommen, hat zur Krise der Science-Fiction-Literatur beigetragen. Inzwischen nähert sie sich gern dem Fantasy-Genre an – vielleicht weil in dieser Sparte das Dogma der Wahrscheinlichkeit, das die erzählende Literatur seit Jahrhunderten prägt, noch weiter marginalisiert ist als im Bereich der SF. (Ein anderes, sehr originelles Ausweichmanöver präsentierte jüngst Haruki Murakami in 1Q84: eine mögliche, gegenüber der gewesenen leicht veränderte Vergangenheit.)
Nicht nur unsere technischen Fantasien veralten bald schneller, als wir sie festhalten können. Auch unser Wissen über das Weltall wächst rapide an. 1969 betrat zum ersten Mal ein Menschenwesen im dicken Raumanzug den Erdtrabanten (ein Schelm, wer Zweifel daran hegt). 1929 in Fritz Langs Frau im Mond waren die Menschen noch ohne Sauerstoffgerät und Schutzkleidung übers lunare Land gelaufen. Seinerzeit erschien das wissenschaftlich nicht abwegig. Der Mars, literarisch 1744 zum ersten Mal bereist, schien Fernbeobachtungen zufolge artifizielle Strukturen wie lange Kanäle und Ruinen riesiger Bauwerke aufzuweisen. Man hielt sie nur zu gern für den Beweis der Existenz von intelligentem Leben dort, wenn nicht heute, dann vor langer Zeit. Vorbei, vorbei ist es mit dieser bunt belebten Welt.
Mars
1976 landeten die Viking-Sonden auf dem Mars und zeigten ihn als trostlose Wüste. Zu unserer Zeit fährt ein futuristisch anmutendes Auto über seine Oberfläche. Curiosity ist das Schweizer Messer der Marswissenschaft, wie ein Entwickler selbst sagt. Er spektografiert, nimmt und analysiert Proben, fotografiert, zeichnet Wetterdaten auf. Auch wenn er nur einige Kilometer in einem relativ geschützten Krater zurücklegen soll, werden seine Messungen unser Bild vom roten Planeten noch wesentlich modifizieren.
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts rückte der Mars durch die Beobachtungen des Astronomen Herschel erst so recht in den Fokus der Astronomen. (Diese Information sowie die meisten über die Entwicklung der Marsliteratur entnehme ich dem 1984 bei Heyne erschienenen, lesenswerten Buch Das Jahrhundert der Marsianer von Helga Abret und Lucian Boia.) Die Fantasie der Wissenschaftler über den kleinen Planeten blühte heftig auf. Sie beschrieben nicht selten paradiesische Landschaften auf dem Mars. Die Literatur lieferte dazu extraterrestrische Wesen am Fließband. Dem französischen Medium Hélène Smith gelang es um die Wende zum 20. Jahrhundert sogar, die Sprache der Marsianer inklusive eines kompletten Alphabets aufzuzeichnen. Geholfen hat es wenig. Niemals konnten wir die Bewohner des roten Planeten kontaktieren.
Heute glauben wir gewiss, dass es eine Intelligenz auf dem Mars nicht geben kann – wiewohl die Forscher der NASA es für sehr wahrscheinlich halten, mithilfe von Curiosity auf Spuren von marsianischem Leben zu stoßen. Das ist verständlich, denn versiegende Flüsse von Geldern sind ein hartes Faktum für die Forschung. Und wer möchte der NASA ein marsähnliches Schicksal wünschen?
Dem französischen Medium Hélène Smith gelang es um die Wende zum 20. Jahrhundert, die Sprache der Marsianer inklusive eines kompletten Alphabets aufzuzeichnen.
Mit der Idee vom intelligenten Leben auf dem Mars starben die literarisch gezeugten Marsianer weitgehend aus. Doch gleich gab es ein neues Projekt: Terraforming, die Veränderung der Lebensbedingungen auf dem roten Planeten hin zu menschenverträglichen Umständen. Der berühmte Arthur C. Clarke beschäftigte sich in positiver Weise damit. Pflanzenkulturen sollen in Projekt: Morgenröte den auf dem Mars fehlenden Sauerstoff produzieren und ein Marsmond soll in eine Art Minisonne verwandelt werden, die den Planeten für tausend Jahre heizen könnte. Der deutsche Autor Franz Ludwig Neher schuf in den 1950ern eine auf Wernher von Brauns Ideen basierende Technikfantasie über eine Marslandung von Forschern, die ohne Ergebnisse, krank, erschöpft, enttäuscht von einem lebensfeindlichen Planeten zurückkehren. Die Idee von einer weiteren neuen Welt, die es zu entdecken und auszubeuten gelte, ist bei ihm passé.
Was treibt also in Zeiten der Weltraumdepression gleich zwei deutsche Autoren auf den Mars? Welche Pflanzen gedeihen heutzutage in der dünn gewordenen Atmosphäre science-fiktionaler Fantasie? Beide, Reinhard Jirgl und Georg Klein, sind
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