Präauer streamt: „The Lady In The Tutti Frutti Hat“

Später kommen Riesenbananen zum Einsatz, sie werden, stets in Formation, in die Höhe gehalten, abgesenkt, alle synchron, aufgestellt zu einem neuen Spalier.

Online seit: 20. Mai 2019

So beginnt der Traum von der Südsee, vom exotischen Leben, wo Affen in den Palmen hocken, die Jäckchen und Hut tragen, flink sind sie wie Hotelpagen, und die Palmen, von denen aus sie die Gäste registrieren, sind voll von reifen Bananen, und die Blätter der Palmen, die sind aus grünem Satin. Am Boden, im Sand, da liegen die Frauen, sie haben ein Bein angewinkelt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt, sie tragen goldene Röcke wie aus Tüll und bauchfreie Blusen mit Rüschenärmeln und je ein großes gelbes Tuch im Haar, oben geknotet nach der Art des brasilianischen Baiana-Kostüms. Da liegen sie zwischen den Palmen, ungezählt, vielleicht drei, vier Dutzend, und die erste wird gleichsam wach und springt auf, als ein Kreischen zu hören ist wie von Möwen oder von anderen Affen oder wie von einem quietschenden, knarzenden Musikinstrument. Und diese eine, die aufgesprungen ist, die läuft auch nach vorne, läuft durchs Meer, durch eine Art Zufluss vielleicht, der so wenig tief ist, dass sie davon nicht nass wird, auf eine vorgelagerte Insel zu, gleich folgen ihr die anderen, sie bewegen sich mit steifen Gliedmaßen und angespannten Muskeln. Sie bewegen sich, wie man sich nur in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts bewegt hat, geometrisch-turnerisch und mit durchgestreckten Knien, wie es im deutschsprachigen Raum auch die so bieder lebensfrohen Kessler-Zwillinge vorgeführt haben.

Diese eine, die vorgelaufen ist, sie winkt, sie winkt wie Land-in-Sicht, nein, wie Schiff-ahoi, sie winkt in die Ferne, wo sie uns erspäht hat, sie winkt mit einem Armrudern in der Luft, das die Gespanntheit ihres ganzen Körpers wellenartig erfasst. Schon haben die anderen sie erreicht, sie tragen die gleichen Kleider allesamt, sie sind eine Armee aus Frauen in bauschigen, dabei zu kurzen Kleidern, ein Wort wie ‚zurz‘ möchte man erfinden statt ‚zu kurz‘, so knapp sind sie und so wenig Zeit bleibt, um die Dinge zu beschreiben, denn es geht schon weiter, mit seitwärts rudernden Armen laufen sie, läuft die goldglänzende Frauenarmee auf langen Beinen, Beine bis in den Himmel, Beine bis zu den grünen Satintüchern der Palmblätter hinauf jedenfalls. Und nun, zuerst ungeordnet, formiert sich diese Armee, es bilden sich Reihen oder Schlangen, parallel positioniert bauen sie gleich ein Spalier, jemand wird hier freudig erwartet und bald in Empfang genommen. Die Frauen neigen sich nun gemeinsam nach rechts, sie lugen nach vorne, sie wollen was sehen. Sie winken rechts, als wären ihre Hände selbst wieder Satintücher, die einfach bloß im Wind schaukeln, und sie winkeln jeweils den linken Arm ab und stützen sich so in der Taille ab. Wir hören Musik, Musical-Melodien, von einem Orchester gespielt. Hier Frauen aufgereiht, dort Palmen aufgereiht, nahtlos und in einer Reihe ineinander übergehend, als wäre alles dasselbe: Frau und Baum.

Oh, etwas kommt auf uns zu, ein Wagen, ein Fuhrwerk, zwei Rinder sind vorgespannt, eine Erscheinung, ein ästhetisches Spektakel, flankiert von Männern in hellen Pluderhosen und gelben Piratentüchern auf dem Kopf kommt da eine Frau gefahren, sie sitzt auf einem Berg von Bananen, dem Bananenberg, und sie trägt das schönste aller Kostüme, nämlich einen schwarzen langen Rock, eine schwarze Bluse über dem Bauch geknotet, rote Früchte um den Hals gedreht als Kette und dazu einen Hut aus Bananen, aus dem auch die roten Früchte selbst wiederum zu wachsen scheinen, mehr klebend als baumelnd. Mit einem breiten Lachen fährt sie näher auf ihrem Bananenbergthron, erste Hula-Gesten führen uns von den Kostümen Südamerikas wieder in die Karibik oder dorthin, wo alles wächst, was, das suggerieren die Bilder, anders ist, bunter, seltsamer, schöner, fremder. In ein erfundenes Land, irgendwo im vermeintlich heiter-sorglosen Süden. Es sind die Vierzigerjahre in Technicolor, und es ist Carmen Miranda, die gleich zu singen beginnt, und sie trägt ihren berühmten, famosen, unverwechselbaren Tutti-Frutti-Hut auf dem Kopf: „I wonder why does ev’rybody look at me / And then begin to talk about a Christmas tree?“, wer sie ansieht, spräche gleich von Christbäumen, wundert sie sich da.

Carmen Miranda, 1909 in Portugal geboren, aufgewachsen in Brasilien und dort in den 30ern zur Carneval-Sängerin avanciert, startete ihre Broadway-Karriere 1939 und gab in den 40ern in zahlreichen Hollywoodproduktionen singend, tanzend und feixend die exotisch überhöhte Nebenrolle, die in ihren Kleidern, mit ihren Armreifen, Frisuren, Hüten, mit ihren rot geschminkten Lippen und ihren rollenden Augen den etablierten Stars, jene blonder, braver, amerikanischer, den Rang ablief. Auf Youtube findet man sie heute wieder, nachdem ihre Filmkarriere Ende der Vierzigerjahre zu Ende ging und Carmen Miranda Mitte der Fünfzigerjahre jung verstarb. Auf https://www.youtube.com/watch?v=TLsTUN1wVrc singt sie wieder mit Tutti-Frutti-Hut, ebendort zu finden ist Beneath the Tutti Frutti Hat, eine BBC-Dokumentation über Leben und Wirkung. Der Song zum Hut stammt aus dem Musicalfilm The Gang’s All Here von 1943, die grotesk-komische und einfallsreiche Studio-Choreografie besorgte Busby Berkeley, Frauen und Bananen fest im Griff, unterwegs durch das farbenprächtige Grauen dieser Exotismushölle. Im Kreis hocken sie einmal, die Tänzerinnen, und halten die Bananen Miranda unter die Nase, die mit zwei Schlegeln darauf zu spielen beginnt wie auf einer Marimba. Später kommen Riesenbananen zum Einsatz, sie werden, stets in Formation, in die Höhe gehalten, abgesenkt, alle synchron, aufgestellt zu einem neuen Spalier.

Oh und wieder oh, nun sehen wir die Szenerie von oben, Frauen liegen in Sternformation auf dem blauen Boden, Bananen kommen wie geflogen, nein, herbeigetragen, in Stauden überkopf, zahllos, sie senken sich kreisförmig nieder auf die sternförmig liegenden Frauen, wo hat man sowas je geseh’n. Öffnen, schließen, öffnen, schließen, von oben ergeben Frauen und Bananen ein sich ständig veränderndes Mandala. Chöre singen hell ah-ah. Miranda sitzt nun wieder auf ihrem Bananenberg und bewegt nur ihre Lippen und Augen, und ihre Hände tanzen, als würden auch ihre Finger selbst ein kleines Bananenballett imitieren wollen.

Wo Frauen noch Bäume sind und Männer noch Bananen tragen, dort liegt diese Landschaft, wie gemalt für das Seidenpapier, in das man Blutorangen wickelt. Am Ende der Melodie haben die Tänzerinnen ihre Schuldigkeit getan, sie laufen zurück auf ihre Satinblattpalmeninsel, auf der sie sich nun wieder schlafen legen. Nur eine wird wach bleiben in der südamerikanischen Hollywood-Südsee aus Plastik, Papier und Kolonialwaren und weitertanzen, es ist Carmen Miranda, die Dame mit dem Obsthut.

 

Teresa Präauer ist Autorin und bildende Künstlerin in Wien. Sie assistiert der Geburt der Kunst aus dem Müll des Internets. Erich-Fried-Preis 2017.

Quelle: VOLLTEXT 1/2018 – 26. März 2018

Online seit: 20. Mai 2019