Keine Gartenlaube

Gedichte von Sylvia Treudl. „Hier und Heute – 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“

Online seit: 2. September 2022
Sylvia Treudl © Peter Willensdorfer
Sylvia Treudl. Foto: Peter Willensdorfer

 

geheimnis

letzthin
nachts
als es äußerst war
: da hatte ich besuch
still
grub ein mondstrahl
seine sanfte schiene
in den garten
teich
erde
pflanzen
mattsilbern patiniert
geborgt aus den
schatullen
voll alten feiertagsbestecks
das sich langweilt
auf edlem samt
: so war das grün
beschlagen
& dann
vielleicht
: ein koboldchen
flitzt sehr
behend
die himmelsrutsche runter
um arm zerbrochnes
spielzeug
ganz liebevoll
zu kitten

& nach getanem werk
des schaukelpferd
ganzmachers
tönte der hufschlag einer
dämmerung
& eine kam
zu löschen
die lupinen

 

besuch der freundinnen

in nächten
die wir
sorgfältig jahrüber
auf blaue flaschen ziehen
& dann entkorken als
goldwasser der freundinnen
erzählen wir einander
funkelndes
eingerahmt von dekaden
himmelsbeschirmt
: und wenns blitze
regnen mag oder perlen
in die arme genommen
von freundlichen
nachtschatten
am morgen
essen wir paradeiser
dann
säumen wir den tag
mit fingerhutvorsicht
& hängen uns
pompondahlienköpfe
an die ohren
wie
vorzeitigen christbaumschmuck

nächte
sorgsam auf
blaue flaschen gezogen
tage
als ein
klang

 

er hat

er hat
stets freundlich meinem
gruß gedankt
er hat
mir den vortritt gelassen
am wagen der
mobilen bäckerin
am dorfplatz
er hat
bescheiden seine
semmeln in den korb
gelegt
er hat
immer recht blass gewirkt
er hat
allein gelebt
er hat richard
geheißen
er hat
seine dinge geordnet
er hat
(so sagen sie)
alles sehr ordentlich hergerichtet
im haus
er hat
vis-à-vis gewohnt
er hat
keine katze gehabt
die vergeblich am fenster
hätte kratzen müssen
er hat
tagelang seine post nicht
ausgehoben
er hat
wohl seine gründe gehabt

er hatte ein gewehr

 

epitaph für einen mistkran

hinter der
nachbarsmauer
ist es aus
gestorben
: das blau
: das rostlückige
dinosaurier
getier
keine schwalbenversammlung mehr
auf schrägseilzügen
keine greifkralle mehr
mist
ist mist
: aus
schrott ist
schrott
ausgemustert
wie der nachbar
wenn schluss ist
dann …
wohin hänge ich
ab jetzt
den fetten mond
lampion
papermoon
für fledermäuse
taub & leer
glotzt mich
der seidenblauhimmel an
dem die silhouettengravur abgeht
: ja, gravitätisch ist er
dagestanden
im rostbuckligen blau
& hatte charakter
der mistkran
hinter der nachbarsmauer
: er fehlt
mir

 

optimierung

in zukunft
(ab sofort also)
: weglassen
: die kuh
allein das
kuhgroße euter
bleibt im stall
kriegt
hörner montiert
(falls städter zu besuch kommen
schaut’s aus wie kuh)
hat aber kein
arschloch
: furzt also
die welt nicht zu tode
& die milch
kommt nach wie vor
ausm tetrapack
winwin
wonderful

 

tetrishimmel

unrundes rumpeln
holpern
wimmelbild
stakkatostöckel
rollengrollen
koffer stopft
die treppe zu
unmutsgeruckel
talwärts
ins eingeweide
meiner stadt
der zug
fährt ab / fährt ein
fährt durch
fährt mir ins mark
: es ist ein dröhnen
hetzen
: bin ich das wild?
nach wochen schon
entwöhnt / entfernt
ganz dislociert?
& ist sie jetzt doch
aufgegangen
ins kraut geschossen
diese saat
: ich bin ein landei
das sich nur stets
verkleidet hat
in boboville?
soll sein
: ich tauche auf
aus einem schlund
der mich belästigt
die treppe schiebt mich
himmelwärts
stairways to heaven
für die g‘scherte
und staune
auf ein firmament
das blau exakt
scharf eingepasst
in skylinekanten
tetris-stein
da steckt er fest
& wartet auf die nacht

 

Sylvia Treudl, geboren 1959 in Krems/NÖ; Studium in Wien; Promotion 1984; von 1985 bis 1997 Verlegerin im Wiener Frauenverlag, erste Veröffentlichungen von Lyrik & Prosa; 2000 gemeinsam mit Michael Stiller Gründung des Unabhängigen Literaturhauses NÖ, seither Mitbetreiberin des Hauses; Moderatorin, Rezensentin; Vorstandsmitglied der IG Autorinnen Autoren; Publikationen u.a.: BLICK.DICHTE. Gedichte – gemeinsam mit Beatrix Kramlovsky (Zeichnungen), Literaturedition NÖ 2018; PODIUM Porträt 100, ausgewählte Gedichte, mit einem Vorwort von Gerhard Ruiss; in Arbeit: Lyrikzyklus, Arbeitstitel „Stadtbetrachtung/Landbetrachtung“.

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Hier und Heute. 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur ist ein Kooperationsprojekt der IG Autorinnen Autoren mit der Stadt Wien und der Zeitschrift VOLLTEXT. 100 Wochen lang, jeden Freitag, bis zum 21. April 2023, erscheint eine neue literarische Erstveröffentlichung eines österreichischen Autors oder einer österreichischen Autorin. Initiiert wurde die Reihe 2021 von Claus Philipp, Gerhard Ruiss und Thomas Keul als Benefizaktion zur Bewältigung der Corona-Krise, seit Frühjahr 2022 wird sie als Beitrag der IG Autorinnen Autoren und der Stadt Wien in der Zeitschrift Volltext für den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 fortgesetzt. Die komplette Reihe kann unter https://volltext.net/hier-und-heute/ abgerufen werden.