„Der Mittelpunkt seines Lebens ist jetzt ein leerer Ort“

Von Stefan Katzenbach

Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Online-Seminar „Literatur- und Kulturkritik schreiben“.

Online seit: 31. Oktober 2022

Ute-Christine Krupp hat einen neuen Roman geschrieben. In Punktlandung erzählt sie von der Gefahr eines islamistischen Terroranschlags auf den deutschen Bundestag und dem Versuch des Protagonisten Freiheit und Sicherheit zu bewahren.

Auf den ersten Blick scheint das Leben von Paul Jost perfekt zu sein. Der Mitvierziger arbeitet im Bundesministerium für Innere Sicherheit und entwirft in seinem Bürojob eigentlich Aussteigerprogramme für Islamisten. Doch als ein Anschlag auf den deutschen Bundestag angekündigt wird, der im Verlauf des Romans als diffuses Bedrohungsszenario präsent ist, wird er in den Krisenstab befördert und wittert die Möglichkeit, sein berufliches Ziel zu erreichen: Mit seinem Chef Giese auf der gleichen Ebene zu arbeiten. Die neue Position birgt allerdings Konflikte: Giese steht für das Motto „Sicherheit um jeden Preis“, während Jost in seinem Handeln „Freiheit und Sicherheit“ verbinden will.

Auch Josts privates Leben ist nicht frei von Spannungen, er will aus seinem bürgerlichen Familienumfeld ausbrechen aber auch die Achtung seines Vaters gewinnen, der ihm oft vorhält: „Du zögerst zu lange, stellst zu viele Fragen.“ Die Konflikte auf familiärer Ebene haben tragikomisches Potenzial, etwa wenn Jost sich an einen Besuch bei seinen Eltern in Bonn erinnert, die ihn längst durch die Katze ersetzt haben.

Allerdings werden die Themen wie Freiheit, Sicherheit und privater wie beruflicher Erfolg, von Jost eher konventionell und klischeehaft reflektiert, als wirklich tiefgehend: „Wir lassen seit gestern Verbindungsdaten auswerten und Profile erstellen von Menschen, die vermutlich nicht vorhaben, einen Anschlag auszuführen. Sie entsprechen aber einem Raster. Und: Diese sind für mich keine Basis für Maßnahmen. Gibt es eine andere Möglichkeit?“, heißt es an einer Stelle.

Dies sind grundlegende Fragen, die durchaus legitim sind, angesichts der beruflichen Position, in der sich Paul Jost befindet, in der dargestellten Form bei mir als Leser allerdings eher den Eindruck einer Oberflächlichkeit des Protagonisten erwecken als eine kritische Reflexion dessen, was in seinem beruflichen Umfeld passiert. Das ist eine Schwäche des Romans, in ihm werden offensichtliche Dinge zu deutlich ausformuliert. Die Erzählperspektive fokussiert sich auf Jost, der in einer Art Selbstbefragung sein berufliches und privates Leben anhand der immer gleichen Themen reflektiert. Zur Zur-Schau-Stellung der augenscheinlichen Oberflächlichkeit des Protagonisten mag dies hilfreich sein, auf mich wirkt es allerdings ermüdend.

Literarisches Coming-of-Age und weiße Stellen an der Wand

In Sachen Charakterfindung und Identitätsentwicklung hat der Roman an einigen Stellen interessante Ansätze. Beispielsweise wenn seine Ex-Frau Gesine Jost vorhält, er sei, wie „alle Westler“ kein eigenständiges „Subjekt“, sondern „Projekt“ und damit das westliche Konzept der Selbstoptimierung kritisiert. Und tatsächlich ist der „Möglichkeitsmensch“ Jost nach Berlin gezogen, weil ihn „das Unfertige, Vitale“ reizte, auch der Zufall, den er privat so vermisst. „Die richtige Lebensform“ finden, das scheint das Programm zu sein, das anhand der Figur Jost durchexerziert wird. Sprachlich ist das teilweise glänzend gefasst, so heißt es über Josts Abwendung von Gesine: „Der Mittelpunkt seines Lebens ist jetzt ein leerer Ort.“ Leere scheint im Roman generell wichtig zu sein, zumindest wird dies angedeutet, schließlich hängt Jost seine Bilder in der Wohnung ab (unter anderem eines seines Vaters) und es bleiben überall nur „einfache weiße Flächen“ zurück, auf dem anschließenden Konzert lernt er dann seine neue Freundin Clarissa kennen. Weiße Flächen als Symbol eines Neuanfangs und Happy Ends? Soweit die kitschige Variante.

Oder entwirft die bereits mit mehreren Stipendien und Förderpreisen geehrte Ute-Christine Krupp hier anhand der Leere ein literarisches Verfahren und fragt, ob das angedeutete Happy End in Rom wirklich eines ist? Dies wäre ein interessanter, ambitionierter Ansatz, der allerdings wohl derart subtil daherkäme, dass er leicht übersehen werden könnte. So bleibt beim Lesen von Punktlandung ein Eindruck der Oberflächlichkeit von Inhalt und Form, der die positiven Eindrücke leider größtenteils überdeckt.

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