Das Ein-Mann-Zelt

Von Simone Hirth. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil 50

Online seit: 28. Januar 2022
Simone Hirth © A. Königsecker
Simone Hirth. Foto: A. Königsecker

Willkommen in der Tierecke!
Das ist alles noch sehr neu hier für mich. Bis vor Kurzem habe ich mich in einem ganz anderen Bereich bewegt. Sie kennen mich sicher. Daher gleich zu Beginn eine Bitte: Vergessen Sie mich! Vergessen Sie alles!

(Manchmal, nachts, wenn ich in meinem Zelt liege, und nichts zu hören ist außer dem
entfernten Rauschen der Autobahn, denke ich: Es ist vielleicht nicht der Verkehr, der
da rauscht. Es ist vielleicht ein bisher unbekannter Wind.)

Ich werde mich ab jetzt diesen niedlichen Geschöpfen widmen. Nichts mehr. Und nichts weniger. Ich werde sie Ihnen vorstellen, eins nach dem anderen, so ehrlich wie möglich. Ich möchte nicht an Ihr Herz appellieren, sondern an Ihren Verstand. Überlegen Sie gut, bevor Sie sich etwas ins Haus holen, das dann bleibt. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe erst kürzlich mein Haus verkauft. Mit allem drum und dran. Ich bin noch immer nicht alles los, was einmal mit mir darin wohnte. Einiges davon zog ungefragt mit mir in das Ein-Mann-Zelt, in dem ich jetzt lebe. Ich kann nur hoffen, dass der Winter kalt und das Leben im Zelt dann ungemütlich wird. Dann erst werde ich allein sein, allein ausharren, mich einrichten in Gram und Verderbnis, und endlich aufatmen. Zum Teufel mit der Gastfreundschaft!
Aber das ist ein anderes Thema. Und auf kalte Winter ist kein Verlass mehr. Das ist ein viel zu weites Feld. Ich gebe zu, ich habe den Bauer bestochen, damit ich mein Zelt darauf stellen kann. Der Bauer wird das Feld verkaufen, denn dessen Bewirtschaftung rentiert sich nicht mehr. Und Effi würde mit den Ohren schlackern, wenn sie wüsste, wie es zugeht, wie es zugehen kann, in anderen Ehen, in anderen Beziehungen, heutzutage, und wohin man schaut.

Willkommen in der Tierecke!
Beginnen wir mit diesem niedlichen Lämmchen. Effi hätte ihre Freude damit. Das Lämmchen ist ausgerissen. Ich sammelte es auf dem Pannenstreifen der Autobahn ein. Ich war auf dem Weg zum U-Ausschuss, Sie haben sicher davon gehört, wegen dieser unangenehmen Sache, alle wissen ja eigentlich davon, nur eben die Leute im Parlament nicht, oder nicht so genau, und deshalb gibt es jetzt einen U-Ausschuss.
Das Lämmchen stand auf dem Pannenstreifen und war im Begriff, die Fahrbahn zu betreten. Ich legte eine Vollbremsung ein. Kam ein Stück weiter auf dem Pannenstreifen zum Stehen, riss die Autotür auf, sprintete zurück und schnappte das Tier.
Erst im Auto sahen wir uns an. Und wir erkannten uns.
Wir wollten beide nicht geschlachtet werden. Wir wollten auch nicht heiraten. Und Freunde werden wollten wir auch nicht.
Wir wollten Geld. Und eine neue Unschuld.
Ich fuhr bei der nächsten Gelegenheit von der Autobahn ab und hielt an einer Wiese. Es ist eine Wiese ja heutzutage längst keine Wiese mehr, sondern meistens Privatgrund. Es war also klar: Wir konnten hier nicht lange bleiben. Schon gar nicht grasen. Wir brauchten einen Plan.
Was für ein Blödsinn, werden Sie jetzt denken. Sie haben Recht. Und das ist der Punkt. Das Lämmchen und ich, wir lachten. Weil es Blödsinn ist, und weil es keinen Plan geben kann. Und weil alle irgendwann geschlachtet werden, oder ans Heiraten
denken, oder Freundschaft schließen, oder zu weinen beginnen und zusehen, dass sie verschwinden.
Wir lachten so lange, bis wir Bauchschmerzen bekamen. In all den Jahren im Parlament habe ich niemals so viel gelacht. Beim Lachen bin ich nackt, und die Nacktheit hätte mich verraten. Nackt hat man im Parlament nichts verloren. Und lachend kann man keine Ansprache halten. Ich war immer ein ordentlicher Parlamentarier. Und Schnaps trank ich nur im Urlaub, auf Mittelmeerinseln, im freien Fall. Effi hat mich immer wieder daran erinnert, dass es nicht gut sei. Für den Kreislauf nicht, und auch nicht für den Geist. Effi sieht immer überall Geister. Sie verfällt mitunter der Esoterik. Ich nehme sie daher meistens nicht ernst. Das Lämmchen und ich, wir lachten, bis uns die Luft ausblieb. Erst dann besannen wir uns, stiegen wieder ins Auto und fuhren zu einem Outdoorgeschäft, um ein Zelt zu kaufen. Ich habe das Zelt ja bereits erwähnt. Es ist ein Ein-Mann-Zelt. Es taugt
nicht zu einer Arche. Daher muss ich das Lämmchen jetzt wieder loswerden. Genug gelacht. Es muss weitergehen. Es warten noch andere Tiere darauf, an die Reihe zu kommen.
Also: Wer kümmert sich um das Lämmchen, bevor es geschlachtet wird? Ich sage Ihnen, das wird teuer.

Moment, jetzt ruft Effi an. Effi ruft immer öfter an, seit ich draußen bin. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Sie glaubt anscheinend, mir gut zureden zu müssen. Sie behauptet neuerdings sogar, meine Schwester zu sein. Aber was soll ich mit ihrem weibischen Zuspruch. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen Frauen. Aber ich habe keine Schwester. Und ich finde Effis Gefasel von fehlender Brüderlichkeit und ungleichen Chancen nicht nur unangebracht, sondern präpotent
und lästig.
Ich will mich nicht mit Effi auseinandersetzen. Sie gehört in ihr Jahrhundert und dort soll sie bleiben. Ich will keine Schwester. Wenn ich eine Frau will, bestell ich mir eine her.
So, das wär das.

(Es ist vielleicht ein Wind und kein Verkehr, denke ich, nachts, in meinem kleinen Zelt liegend, ein ganz leiser, fast unhörbarer Wind, schwach noch, und nicht imstande, an etwas zu rütteln. Ein Wind, der erst aufkommt, der lediglich Luft holt, bevor er zukünftig blasen wird, der aber näher kommt, und, vorerst nur ganz sanft, fast unmerklich, die ersten Grashalme bewegt.)

Machen wir weiter mit dem Kätzchen. Das Kätzchen ist ein wirklich komplizierter Fall. Wenn Sie mich fragen, ist dieses Kätzchen einfach hysterisch. Es sind Kätzchen ja bekannt dafür, ein wenig, nun, nennen wir es „eigen“ zu sein. Dieses Kätzchen ist nicht nur eigen, es nervt so richtig.
Ich fand das Kätzchen maunzend vor der Eingangstür zum Gericht. Ich hatte dort an diesem Tag einen Termin, wegen dem leidigen U-Ausschuss, bei dem keiner sich mehr auskennt, jedenfalls niemand aus dem Parlament. Daher landet nun alles
diesbezüglich ständig bei Gericht. Sie kennen sich vermutlich aus, ich erspare mir also, dieses Thema auszubreiten.
Jedenfalls saß vor dem Gerichtsgebäude das struppige Kätzchen und wollte hinein, um sich scheiden zu lassen. Außerdem wollte es eine einstweilige Verfügung gegen den zukünftigen Ex-Kater beantragen. Er habe nicht gebissen, aber er habe gefaucht, maunzte das Kätzchen.
Soweit ich weiß, tun Kater das bisweilen, sagte ich.
Natürlich, sagte das Kätzchen, aber das heißt ja wohl nicht, dass ich das aushalten muss. Er hat mich angefaucht. Und nicht gerade leise. Er hat mich angesehen, als wolle er, als – ich traue es mich kaum zu sagen. Ich habe um mein Leben gebangt.
Und nur, weil keiner dieses unmäßig laute Fauchen gehört und keiner diesen Blick gesehen hat, und weil alle davon ausgehen, dass Katern das eben manchmal so passiert, stehe ich jetzt hier wie der letzte Depp.
Das Kätzchen maunzte immer lauter und höher. Wirklich unangenehme Laute gab es von sich.
Ich schnappte es mir und machte kehrt. Dieses Kätzchen musste hier weg, bevor es in seiner Hysterie das ganze Gericht aufwirbelte. Und Scheidung, also bitte, das kann doch wohl heutzutage kein so großes Problem mehr sein, dass man derart maunzen muss. Dass man mal den Falschen heiratet, weil das Heiraten einem passiert wie ein letztes Stamperl Schnaps, das man eigentlich ablehnen sollte, das weiß doch wirklich jeder in diesem Jahrhundert. Das ist noch lange kein Grund, so ein Theater zu veranstalten. Wo leben wir denn?
Ich brachte das Kätzchen zu meinem Zelt und sperrte es in meinen Schlafsack. Es maunzte stundenlang, bis es einschlief.
Sehen Sie, es schläft noch! Niedlich, nicht wahr?
Ich habe ihm das zerzauste Fell nun ein wenig gekämmt, damit es nicht allzu liederlich ausschaut. Ich habe es im Schlaf auch entfloht und entwurmt. Kein Mensch braucht Parasiten, wenn er schon ein anstrengendes Kätzchen aufnimmt. Wer also möchte das Kätzchen bei sich aufnehmen? Sie sollten jetzt schnell sein, bevor es aufwacht und weiter seine Leier von subtiler Gewalt, Unterdrückung und patriarchaler Ignoranz maunzt. Wenn Sie es dann bei sich haben, kraulen Sie es. Kraulen Sie es bis zum Gehtnichtmehr, dann wird es irgendwann, wenn Sie Glück haben, zahm sein und schnurren. Sollte sich niemand melden, ertränke ich es im Tümpel.

A propos Tümpel: Kommen wir jetzt zu einem etwas weniger niedlichen Zeitgenossen. Der Karpfen!
Der Karpfen regte sich nicht und starrte mich an. Seine Augen drehten sich langsam mit, sobald ich mich zur Seite bewegte. Zwei winzige Überwachungskameras. Ich stand am Rande des Tümpels, weil ich nachschauen wollte, ob der Stein, in den etwas bezüglich des lästigen U-Ausschusses gemeißelt stand, auch tief genug versenkt worden war. Ich konnte den Stein nicht erblicken, was bedeuten konnte, dass er wirklich und ein für alle Mal im Tümpel verschwunden war, oder aber, dass jemand
ihn gefunden und wieder mitgenommen hatte. Ich kam nicht dazu, länger über den Stein nachzudenken, weil der Karpfen nicht aufhörte, mich anzustarren. Hast du nichts zu tun, fragte ich den Karpfen.
Er schüttelte langsam und schweigend den Kopf.
Sind da keine anderen Karpfen, mit denen du dich tummeln kannst, fragte ich weiter.
Der Karpfen schüttelte den Kopf.
Ich ging einen Schritt zur Seite. Seine Kameraaugen wanderten mit, blieben auf mich gerichtet.
Also was willst du, fragte ich, zugegebenermaßen etwas nervös.
Der Karpfen schwieg.
Ich stieg ins Wasser, er rührte sich nicht. Da packte ich ihn mit beiden Armen und zog ihn heraus. Ich wollte jetzt wissen, ob er wirklich ein Fisch war oder eine gut verkleidete Drohne.
Er war definitiv ein Fisch. Kein Reißverschluss, keine Schrauben, kein Motor. Ich warf ihn zurück ins Wasser, er schwamm nicht davon. Starrte mich an. Ich ging. Ich ging zehn Schritte, dann blieb ich stehen. Den Karpfenblick im Nacken. Ich
konnte nicht weiter.
Mit seinem sturen Blick hat dieser fette Karpfen mich gekriegt. Ich hievte ihn ein zweites Mal aus dem Wasser und nahm ihn mit. Jetzt liegt er hier neben meinem Zelt in einem alten Waschzuber. Der Waschzuber ist viel zu klein für das riesige Tier, es ist
nie ganz mit Wasser bedeckt, sodass ich regelmäßig mit der Gießkanne drüber muss. Als hätte ich nichts Besseres zu tun!
Daher: Wer will diesen dämlichen Karpfen? Er ist sehr anhänglich und treu, sehr still und eben ein bisschen dumm, wie mir scheint. Aber er ist sicher ein guter Freund, wenn man einen haben will. Zur Not kann man auch mit ihm kuscheln, wenn man auf Glitschiges steht. Ich will Ihre perversen Vorlieben aber eigentlich nicht wissen, ich will nur diesen Fisch loswerden. Und ich gebe zu: Er ist mir noch immer nicht ganz geheuer. Vielleicht bin ich paranoid. Wäre kein Wunder, nach all dem Hickhack mit
dem U-Ausschuss. Aber das soll jetzt nicht Ihr Problem sein! Nehmen Sie mir diesen Karpfen ab! Sie können ihn zur Not auch essen. Mir ist er zu fett.

Jetzt ruft schon wieder Effi an. Kleinen Moment.
Nein Effi, ich will nicht wissen, was die Leute reden. Wolltest du es wissen? Du hast doch nur den Mumm nicht gehabt, ein Leben wie ich zu führen. Deiner Epoche wirklich den Rücken zu kehren. Sieh mich an, ich bin konsequent! Ich lebe jetzt ein
Leben in der Zukunft, im Einklang mit der Natur, ohne Schnickschnack. Zum Teufel mit dem Parlament. Das ist ein Haufen ahnungsloser Idioten, die wissen nicht mal, wie man Feuer macht. Das freie Leben, das ich jetzt führe, das hättest du auch haben können. Erzähl mir nichts von Chancenungleichheit und Diskriminierung. Du bist und du bleibst ein naives, verwöhntes Gör. Nie und nimmer schaffst du es ins Parlament. Bewirb dich doch an der Kunsthochschule, mal was, oder, meinetwegen, werde Polizistin oder Ingenieurin oder von was du sonst glaubst, es könnte dich gleichstellen. Aber bleib mir fern. Das Leben in einem Ein-Mann-Zelt, das hältst du nicht aus. Nie und nimmer bist du meine Schwester. Und ich will wirklich keine. Ich bin mir selbst genug.

(Es ist kitschig, denke ich, nachts, allein, ich will sowas nicht denken jetzt, denke ich, in meinem Ein-Mann-Zelt, das gehört nicht hierher. Die Autobahn bleibt die Autobahn, der Verkehr bleibt Lärm, und nichts weiter, denke ich, keine fremden Winde, keine unbekannte Luftbewegung, und wenn die Grashalme sich biegen, dann aus anderen Gründen. Schluss mit dem Gesäusel jetzt, und schlafen.)

Kommen wir zum Schluss noch zum Hündchen. Ich sage Ihnen gleich: Es ist behindert. Es fehlt ihm ein Bein. Und das war kein Unfall.
Das Hündchen gehörte einer ausländischen Präsidentschaftskandidatin. Sie war jung, hübsch, intelligent, zutiefst sozialdemokratisch und sehr beliebt. Den alten Präsidentschaftskandidaten um sie herum gefiel das vermutlich nicht besonders, aber was sollten sie machen. Kurz vor der Wahl verschwand das Hündchen der jungen Frau, an dem sie sehr hing. Das Hündchen kehrte einen Tag später in einem Schuhkarton und ohne das zweite Hinterbein zu ihr zurück. Es trug außerdem einen unfreundlichen Brief an einem goldenen Band um den Hals. Noch am selben Tag verschwand die Präsidentschaftskandidatin und tauchte nie wieder auf.
Das Hündchen ist ziemlich sicher traumatisiert vom Verlust seines Frauchens. Oder sagen wir: Es ist total gestört. Es kläfft nicht, niemals. Es ist das stillste Hündchen, das mir je untergekommen ist. Aber es weint, und zwar pausenlos. Das Fell ist ständig nass und verklebt von den Tränen, die stumm aus diesem winzigen Wesen herauskullern und nicht zu stoppen sind. Außerdem schnappt das Hündchen öfter unerwartet zu. Das heißt, es schnappt nicht nur, es beißt einem lautlos tief ins Fleisch. Sehen Sie nur, diese eitrige Fleischwunde an meinem Unterarm! Was glauben Sie, woher die stammt?!
Sie wollen wissen, wie ich zu dem Hündchen gekommen bin? Überlegen Sie es sich gut, ob Sie das wirklich wissen wollen.
Ja? Also gut: Es saß eines Morgens in einer Blutlache vor meinem Zelt. Mit dem Blut hatte jemand auf mein Zelt geschrieben: Wir wissen alles. Du bist dran.
Ich muss dazu sagen: Das Hündchen pinkelt und kackt Blut. Daher wohl die Lache. Und es pinkelt und kackt alles und vor allem sich selbst an, weil es auf seinen drei Beinchen kein Gleichgewicht hat.
Schön war diese erste Begegnung nicht. Sehen Sie, das Zelt ist noch immer nicht ganz sauber, obwohl ich es chemisch reinigen ließ.
Ich habe das Hündchen wegen der Blutexkremente und wegen des Beißens und auch wegen dem ewigen Geheule immer in einigen Metern Entfernung von meinem Zelt angeleint. Ich ertrage es nicht in meiner Nähe.
Also, wer ist bereit, es bei sich aufzunehmen? Ich schaffe es nichtmal, diese arme Kreatur zu töten. Zumal es sich ja auch um ein politisches Hündchen handelt. Ich muss jetzt sehr gut darauf Acht geben, wen ich töte und wen nicht. Ich bin leider doch noch lange nicht ganz raus. Die Tierecke ist ein schlechtes Versteck, wie ich nun festgestellt habe. Und mein Ein-Mann-Zelt eine wacklige Angelegenheit, sobald der Wind über das weite, brachliegende Feld fegt. Man müsste wohl selbst zum Tier werden, um seine Ruhe zu haben. Nur – so ein Hündchen hier, das will doch keiner sein. Bitte, hole es jemand ab!

Jetzt ist Effi doch tatsächlich gekommen. Sitzt dort beim Lämmchen und streichelt es. Liest dabei versonnen in einem Buch. Ich kann dieses elitäre Getue nicht leiden. Vermutlich ist es auch nur ein Buch über Weiberschnickschnack. Fehlt nur noch, dass
sie hier bald ihre Schaukel aufstellt. Nicht mit mir.
Wenn du das Lämmchen streichelst, musst du es auch mitnehmen und dich darum kümmern, Effi.
Wie, du weißt nicht wohin? Geh doch studieren, das darfst du doch längst. Da darfst du das Lämmchen sicher mit in den Hörsaal nehmen. Die sind doch heutzutage offen für alles. Vereinbarkeit von Familie und allem anderen und so. Oder bist du jetzt nur noch karrieregeil? So kommt es ja meistens, plötzlich sind die hilflosen kleinen Geschöpfe den Damen dann wurscht, wenn es ums Aufsteigen und Geldverdienen geht.
Das war jetzt wohl zu viel für Effilein. Weg ist sie, mitsamt dem Lämmchen. Die wird sich noch wundern.
Aber gut, die Sache mit dem Lämmchen wäre erledigt. Bleiben nur noch Kätzchen, Karpfen und Hündchen. Rufen Sie an! Aber beeilen Sie sich, denn der Bauer hat das weite Feld um mich nun verkauft, wie ich hörte, und bald rücken die Finanzhaie, Architekten und Bauarbeiter an und zermalmen mit ihren spitzen Zähnen, größenwahnsinnigen Bauplänen und geleasten Baggern alles, was ihnen in die Quere kommt. Ich werde mein Zelt abbauen, es geht auf eine handliche Größe zusammen, sodass ich ohne Probleme damit flüchten kann. Diese niedlichen Geschöpfe hier werde ich aber nicht zusätzlich tragen können. Ich kann mich nicht um alles kümmern. Ich habe sie ja immerhin schon einmal gerettet und unter widrigsten Umständen hierher gebracht. Ich werde sie schweren Herzens zurücklassen müssen. Und dann werden die Tierchen mit großer Sicherheit ein unvorstellbares Leid erfahren. Wollen Sie das wirklich? Sie können jetzt noch handeln, bevor es zu spät ist. Seien auch Sie sich ihrer Verantwortung bewusst!

(Schlafen, betäubt von Erschöpfung, die unaufhaltsam und schwer in alle Gliedmaßen dringt, einen niederzwingt, nach einem langen, anstrengenden Tag im Freien. Oder was als solches bezeichnet wird. Ödnis. Blödsinn. Hände runter und keine Bewegung. Da sind keine Grashalme. Kein Lärm vor dem Sturm. Da ist und bleibt nur benzinbetriebenes Rauschen.)

Hier sind wir für heute am Ende. Ich muss noch kurz Werbung machen für diesen veganen Wackelpudding. Irgendwie muss diese Sendung ja fürs Erste finanziert werden. Dieser Wackelpudding schmeckt außergewöhnlich, ist zuckerreduziert, ohne
Farbstoffe und durch und durch vegan! Er ist das Produkt eines U-Ausschusses. Kosten Sie selbst, Sie werden erstaunt sein! Dieser Wackelpudding wird Sie verändern. Schauen Sie mich an, ich bin auf dem besten Weg, ein anderes Wesen zu werden. Der Wackelpudding begleitet mich. Er ist nicht nur essbar, er ist vielseitig einzusetzen. Ich benutze ihn sogar zum Stopfen der Löcher in meinem Zelt. Er ist wetterfest. Er lässt absolut nichts durch.

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Simone Hirth, geboren 1985 in Freudenstadt/Baden-Württemberg, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und landete nach diversen Umzügen, Umwegen und Aushilfsjobs schließlich in Wien und dann in Kirchstetten/Niederösterreich. Dort lebt sie heute als freischaffende Autorin. Sie erhielt diverse Preise und Stipendien. Zuletzt den Reinhard-Priessnitz-Preis 2021. Ihr Briefroman Das Loch erschien 2020 im Verlag Kremayr & Scheriau in Wien, wo auch bereits ihre beiden anderen Romane Bananama (2018) und Lied über die geeignete Stelle für eine Notunterkunft (2016) erschienen sind. Zuletzt erschien: 365 Tassen Kaffee mit der Poesie, Miniaturen, Literaturedition Niederösterreich, St. Pölten 2021.

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„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gerhard Ruiss, Thomas Keul und Claus Philipp und den beitragenden Autorinnen und Autoren. Die Texte der Serie erscheinen wöchentlich, jeweils am Freitag, und können auch als Newsletter abonniert werden. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” wurde auf Initiative von Claus Philipp durch Spenden für den Lesemarathon Die Pest von Albert Camus des Wiener Rabenhof Theaters und des ORF-Hörfunksenders FM4 im Frühjahr 2020 ermöglicht. Die Reihe wird von der Stadt Wien aus Mitteln der Literaturförderung unterstützt.