Gedichte

Von Petra Ganglbauer. „Hier und Heute – 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil 84

Online seit: 23. September 2022
Petra Ganglbauer © Marko Lipus
Petra Ganglbauer. Foto: Marko Lipus

 

Mein Herz fürchtet den Schlag

der Erde entrissen & wie
Von Sinnen die Dur und die Moll
Der Wälder, der Felder, der Wasser –

Wie nie

Und hin & her
Gerissen der Schrei und das Schweigen
Der Tiere, der Pflanzen, Planeten –

Wie schnell

Die Tage vergehen im Ungewissen
Der Bilder und Kriegs–
Versehrten Gesichter (der Schmerzen) –

Wie irr

Schwillt das Meer (und das Land)
Als Aschengeheimnis ins Leere
Geschossen, der Weg und das Ziel –

Wie immer

Suchen die hinter Gittern das Leben
Jenseits der Welt und träumen sich
Weg aus dem Irren (Sinn) –

Wie groß

Sind die Blitze aus Angst & aus Schatten
Die Herden ziehen sich zurück, werden
Kleiner, Versuch (und Kaninchen) –

Wie weh

Rufen die Stimmen aus dem Turm der Köpfe,
Die Risse in ihnen wie Täter
Der Seele, der Haut (und der Knochen) –

Wie hart

Hofft es sich zwischen Stroh & den Halmen
In der Tiefe des Grases (des Grabes).
Die Sonne ist noch eine halbe Scheibe –

Wie dunkel

Geheimnis auf ernüchterten Wegen
Die gegeneinander und wie Geschütz
Gebell, der Anfang (das Ende) –

Wie nah

Entfernte zerfallen die Länder unter den
Mächtigen, dem Hagel der Sprache
Sprachloser Nicht-Atmer (& Schwimmer) –

Wie zart

Der Flug der Libellen wie Luft ohne
Wett und Rüsten am Kampf vorbei & geflogen
Zertanzte Kanonen (Gedanken) –

Wie scharf

Das Brüllen von Fischen wie laut
Das Getöse der Körper unter
Und über den Schneidemaschinen –

Wie sicher

Der Tod der Wesen aus Körper (& Flucht):
Die Kleinsten scharen sich zusammen
Unter einem wolkenlos Drohenden (Himmel) –

Wie blau

Färben sich die Gemüter zurück
Ins Nichts und vor der Erkenntnis
Bleiben die Wachen (Gedichte) umzingelt –

Wie ab-

Und Schaum und Auf-Gespießtes
Auf Pfeilern der Enge des Geistes
Der rasanten, der unsrigen Lärmfabrik –

Wie still

Sagen die Stimmen (Gib mir dein Leben!)
Und weltgewohnt töten wir zurück
Ins Eingemachte (Geschichte) –

Wie alt

Und in der zugebutterten Landschaft
Enden die wuchernden Pflanzen:
Diese Taubheit um Feld & Tier –

Wie grell

Das Vergreifen im Stil der Gedanken-
Lücken, diese übergroßen Auslöscher:
Der Schleier (der Angst) explodiert –

Wie laut

Verlesen wir uns, verlieren (den Zusammenhang)
Durchsägt & leergefegt der Erdenraum
Das Blickfeld zuckt und ruckelt, verzerrt sich –

Wie ab-

Gestellt gehen die Erzählungen zu Ende.
Es dräut und droht das Leben als Text,
Als falsche Fährte (& Alfabetzerfall) –

Wie trotzig

Nimmt es uns vom Netz (der Ereignisse).
Das Gefängnis bleibt ein Körper
Gegen den Himmel gerichtet, auf den Staub zu –

Wie jung

Der Parcours aus Kriegen als Droge
Überschwemmt von Objekten, Territorien.
Die Rasanz der Raumnot aus Kopfgewühl –

Wie hohl

Legt sich die Einsamkeit in kleinen Kreisen
Und zusehend (s) ums Herz aus Verrat und
Verführerischer Höhe (Hölle) –

Wie kalt

Das Winterwasser aus Bildern (Splittern),
Armstumpf und Selbstvergessenheit:
Die Bodenlosigkeit der Fragen –

Wie echt

Ist der Schein aus Manövern und Täuschung
Als der Klarheit der Unsummen aus
Zerstörtem Blüten-Staub (das Bild nach dem Bild) –

Wie hübsch

Die verlassene Stadt, die Truppe trennt Stein
Von Steinen, die Seelen der scharfen Schützen.
Der Ort ist keiner von wenigen –

Wie noch

Das Eigenste an die Wände gedrückt, die Fliegen
Die Tiger, das Huhn über (!) flüssig gemacht.
Die Angstaugen ausgepackt wie Löcher –

Wie unordentlich

Die Fluchtformeln aus universalem Schotter,
Die kosmische Strahlung erhitzt sich zu Tode.
In unseren Masken schlummern gefährliche Übergänge –

Wie eifrig!

* * *

Mein Herz steht still beinahe

beim Anblick der Anmut
Toter Tiere –
Die Flügel, die schreienden,
Sich legen, verklingen
Im Knacken der Hufe, der stürzenden
Hälse: Giraffen, wie Berge die
Bröckeln, ganz eingeknickt & ein-
Gebrochen (im Film
Über das Sterben durch Schüsse).
Und selbst bewege ich mich
Kaum, also schlafend im Dort &
Mit geschlossenen Augen –
Dort, wo sich aber nur &
Ganz vielleicht
Die Welt neu findet:
Wo alle Namen verlustig gehen,
Kein Hindernis & die Ventile
Nicht mehr in den Seelen stecken:
Die Panzer erweicht und gelöscht
Aus den Bildern, die fallen:
Dort fliehen die Macht-Wörter vor
Der Bodenlosigkeit des Wesenhaften:
Hinterlassenes und Geständigkeit
Schimmern im Reglosen
Der Sprache der weiss und pastellenen
Auflösung, die Nacht wird zum Ufer
Zum Doppelten
Boden der Notgeplagten,
Die schwarzweiss entgleisen
Auf ihrer Bahn, die vorgibt
Das Leben zu sein:
Eine Starre, ein Kaltdunkel
Der Fakten und täglichen
Irrwege.

* * *

An den Wolken vorbeidunkeln

also den Fluchtweg betreten im
Luftleeren der Farbfetzen aus
Körpern und Geschichte, aus
Rasenden Erinnerungen als
Wäre das alles
Nie gewesen, nicht einmal
Hinter den Himmeln, den Schleiern:
Der Kampf geht nach innen
Steckt tief – im Fleisch der Erde &
Krallt sich fest an den Flammen.
Die Angst vor dem Feuer
Ist weiter als Kleider
Oder (falsche) Erzählungen:
Die machen alles täglich kleiner.
Die Erzähler tragen den Kopf gerade
Und über den Anderen & weiter
Noch über dem Wasser,
Das steigt und die Sätze ersäuft!
Die bis ins Letzte zerstreckten
Gedanken kurz vor dem
Zerfall (der Bücher), Welt.
Die Last des Vergessens
Bedrückt & betrügt uns:
Wir greifen zu verformten
Mitteln (aus falschen Fährten
& Explosion).
Verlesen uns & gehen
Nicht einmal (!)
Zu Grunde.
Wir gehen durch:
Verrückt gewordene
Inszenierungen (taghelle!
Täuschungen!) wiederholen
Wir uns selbst
Im Gezeter der leer gewordenen
Sonnen.

* * *

Als Ereignis aus Zufall

schießt ein flammender Finger
Und entvölkert das Land,
Den Findling & er kommt nicht
Vom Fleck – zum Teig werdend
Geht die Welt…
Aus den Fugen geraten, schlürfen die
Letzten den Regen
(Der Unausweichlichkeit).
Die falsche Trauer bleibt:
(Das Licht nicht!)
Die Zeitzeugen des Verschwindens
Spielen ihr Stück: Ein Graus
Aus Leergefegtem &
Alle haben
Ihre Federn gelassen.
Im Aschenhaufen funkelt es.

 

Petra Ganglbauer, geboren 1958 in Graz, Autorin, Radiokünstlerin, Schreibpädagogin, lebt in Wien. Lyrik, Prosa, Hörstücke, Essays. Hörspiel. Wiener Vorlesungen zur Literatur. Intermediale Projektkonzeptionen. Leitung des Lehrgangs Schreibpädagogik. Von 2014 bis 2019 Präsidentin der Grazer Autorinnen Autorenversammlung. Lektorin für Kreatives Schreiben an der Universität Graz, 2020/2021. Veröffentlichungen, zuletzt: Gefeuerte Sätze, Limbus, 2018, Radix, Radices, Hörstück, ORF-Kunstradio, 2020, Die Tiefe der Zeit, Bibliothek der Provinz, 2021.
Beitrag in: To Coventry by the Sun, Nine Arches Press, 2021. In Arbeit: Die Entfremdung fährt dazwischen. Gedichte.

* * *

Hier und Heute. 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur ist ein Kooperationsprojekt der IG Autorinnen Autoren mit der Stadt Wien und der Zeitschrift VOLLTEXT. 100 Wochen lang, jeden Freitag, bis zum 21. April 2023, erscheint eine neue literarische Erstveröffentlichung eines österreichischen Autors oder einer österreichischen Autorin. Initiiert wurde die Reihe 2021 von Claus Philipp, Gerhard Ruiss und Thomas Keul als Benefizaktion zur Bewältigung der Corona-Krise, seit Frühjahr 2022 wird sie als Beitrag der IG Autorinnen Autoren und der Stadt Wien in der Zeitschrift Volltext für den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 fortgesetzt. Die komplette Reihe kann unter https://volltext.net/hier-und-heute/ abgerufen werden.