Relocation-Agentur

Online seit: 19. Februar 2021

Das Gespräch mit Frau Jäger lief schon eine Viertelstunde. Nett war die Frau zweifellos. Auch qualifiziert. Perfektes Englisch, perfektes Portugiesisch, perfektes Französisch. Drei Jahre Lektorat an der Universität von Braga. Zwei Jahre an einer Sprachschule in Paris. Trotzdem zögerte Carol noch mit der Zusage.

»Ein Relocation-Consultant braucht Persönlichkeit«, sagte Carol. »Sie müssen dem Kunden zeigen, wie man in Deutschland lebt.«

Frau Jäger nickte.

»Wie man die Mentalität der Deutschen versteht.« Erneutes Nicken.

»Den Kunden die Angst vor Deutschland nehmen. Vor allem vor den Deutschen. Denn kurz nach der Ankunft bekommen es die meisten Ausländer mit der Angst zu tun.«

Erneutes Nicken.

»So haben sie sich Deutschland nämlich nicht vorgestellt. Nicht die Mülltrennung, nicht die Behördengänge, nicht die Sprache.«

Frau Jäger nickte und sagte, sie habe ein freiwilliges Jahr auf der Vogelbeobachtungsstation auf Amrum verbracht. Und sei nach der Zwischenprüfung drei Monate in China gewesen. Direkt nach dem Abitur ein sechsmonatiges Praktikum in einem Altenheim absolviert.

Carol dachte an die Donnellys: Das Headquarter von Procter & Gamble will Mr. Donnelly für fünf Jahre nach Berlin schicken. Nach Rücksprache mit der Familie sagt Mr. Donnelly zu, denn Auslandseinsatz bedeutet Karrieresprung. Doch dann: Kulturschock! Allmorgendliches und allabendliches Händeschütteln mit allen fünfundzwanzig Mitarbeitern seiner Abteilung. Und bei den anderen Abteilungsleitern geschlossene Türen, als würden Geheimverhandlungen geführt. Mrs. Donnelly wird im Supermarkt an der Kasse angemacht, weil sie ihre Sachen nicht schnell genug in die Tüte bekommt. In Chicago dagegen freundliche Studenten, die das für einen erledigen. Als Mr. Donnelly auf einer Party den Vorschlag macht, den Tüteneinpackdienst auch in Deutschland einzuführen, weil doch so auch viele Jobs geschaffen werden könnten, wird er als Ausbeuter beschimpft. Und die Kinder? Die müssen in der Schule den amerikanischen Imperialismus ausbaden.

Es gab noch schwierigere Fälle. Philip Goldberg aus Boston, der schon einen Relocation-Consultant verschlissen hatte, wegen angeblicher antisemitischer Äußerungen. Oder die Wangs aus Shanghai, die noch keinen einzigen Punkt der Liste umgesetzt hatten, die alle Kunden zu Anfang bekamen und die bei der Integration helfen sollte. Auch so einfache nicht, wie mal ein deutsches Essen zu probieren. Die Wangs aßen ausschließlich Chinesisch und kauften ausschließlich im Asia-Supermarkt ein. Deutsch zu lernen weigerten sie sich, und wenn Herr Wang einmal seinen chinesischen Redestrom unterbrach, dann, um auf Englisch Martha, der Relocation-Consultin, klar zu machen, wie unwohl er und seine Familie sich in Deutschland fühlten. Da nutzte es nichts, dass Martha Herrn Wang erklärte, dass aller Anfang schwer sei. Dass auch sie sich im ersten Jahr in Peking unwohl und erst im dritten Jahr so richtig wohl gefühlt und nach sechs Jahren gar nicht mehr fortgewollt habe. Herr Wang wusste nicht, wie er und seine Familie die nächsten sechs Wochen überstehen sollten.

»Persönlichkeit ist das Wichtigste«, wiederholte Carol. Frau Jäger nickte und sagte, sie sei ehrenamtliche Mitarbeiterin im Tierheim.

»Sie bekommen in den nächsten Tagen Bescheid«, sagte Carol und stand auf. Kaum war Frau Jäger aus der Tür, klingelten beide Telefone. Auf der einen Leitung Herr Bashir, der ägyptische Oberarzt, der seit einer Woche Kunde von Easy Deutschland war. Er schrie ins Telefon, dass er sofort einen anderen Deutschlehrer haben wolle.

»Beruhigen Sie sich«, sagte Carol. »Sagen Sie mir, was passiert ist.«

»Wir über Essen reden. Herr Schulze fragen, was essen ich gern. Ich sagen: Bizza. Herr Schulze sagen: Bizza falsch. Herr Schulze dann sagen: Bizza richtig. Ich nix verstehen. Ich sagen: Bizza. Herr Schulze sagen: Bizza falsch. Dann Herr Schulze wieder sagen: Bizza richtig. Andere Student lachen.«

»Herr Schulze will Ihnen nur helfen.«

»Herr Schulze haben keinen Resbekt für meine Kultur.«

»Er muss Sie korrigieren.«

»Ich haben dreitausend Euro bezahlt. Ich erwarten Resbekt.«

Auf der anderen Leitung ein nicht minder erboster Goldberg, der auf der Stelle sein Geld zurückhaben wollte, weil er der Meinung war, dass auch der zweite Relocation-Consultant antisemitisch sei.

»Impossible«, sagte Carol. »Herr Lemmler did his civil service for Aktion Sühnezeichen in a kibbuz.«

»I’m not impressed by that. Mr. Lemmler goes on and on talking about Israeli politics. And the Palestinians. I’m not from the Middle East. I’m not Israeli. I’m not Palestinian. I’m American. Like you. But I don’t want to talk about American politics either. I don’t want to talk about politics at all. I just want to get on with my life in Germany.«

»I’m sorry about that. I will give you Mr. Schulze. He’s definitely not antisemitic. He is a member of the Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit

»Fine. But if it doesn’t work, I want my money back. And I’ll expect Mr. Schulze in half an hour.«

Sie wählte Arthurs Nummer, aber es meldete sich nur der Anrufbeantworter. Zweiter Anruf, und ein hörbar um Atem ringender Arthur.

»Ich bin gerade auf dem Sprung. Die O’Briens warten.«

»Vergiss die O’Briens. Ich brauche dich jetzt sofort für Philip Goldberg.«

»Und die O’Briens?«

»Ich rufe an und sage, dass du krank bist.«

»Wo ist der Haken bei Goldberg?«

»Kein Haken, sondern großer Fisch. Sehr großer Fisch. Oberster Personal Manager bei Sony Europa. Wenn Goldberg mit Easy Deutschland zufrieden ist, wird er sicher noch andere Sony-Manager zu uns schicken.«

»Verstanden.«

»Und kein Wort über Nahostpolitik!«

»Selbstverständlich.« Arthur hatte sich bisher bei Easy Deutschland immer an Regel Nummer eins gehalten: Sprich nie über Politik, Religion oder Sex, es sei denn, der Kunde will es.

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