Eine Innsbrucker Buchhandlung hat vor einiger Zeit schon einen Preis nicht für das beste, sondern für das in der Buchhandlung in einem Jahr am besten verkaufte Buch vergeben. Die erste und hoffentlich nicht letzte Trägerin dieses Preises ist eine ehemalige Lebensgefährtin des Namensgebers und Stifters des Preises. Nicht lange davor wurde die Buchhandlung als eine der besten Buchhandlungen des Landes ausgezeichnet.
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Von allen absurden und lächerlichen Geschichten, die man aus der Welt der Literatur zu hören bekommt, ist die folgende vielleicht eine der absurdesten und lächerlichsten, ganz abgesehen davon, dass sie natürlich auch – selbst für österreichische Verhältnisse – durch und durch abstoßend ist. Man macht sich über ausgefallene Namen schnell lustig, lacht über deren Vulgarität, fragt sich, welche Großmannsucht Eltern dazu bringt, ihren Kindern Namen zu geben, die von einer Exquisitheit und Raffinesse sind, dass sie einem die Schamesröte ins Gesicht treiben, und vergisst dabei ganz, was für eine Hölle es sein muss, wenn Sie in Zeiten des Internets Josef Weber, Peter Maier oder Andreas Winkler heißen, um von Abdullah Ibrahim oder Mohammed al-Arabi gar nicht zu reden. Sie googeln Ihren Namen und stellen fest, dass es einen Anwalt in Bochum gibt, ein Nagelstudio in Wiener Neustadt, eine Reitschule in Garmisch, einen Bioladen in Stuttgart und noch ein paar hundert andere, die mit Ihrem Namen der Welt etwas verkaufen oder sie von ihrer Wichtigkeit überzeugen wollen. Wenn Sie eine Frau sind, bringt Ihnen ein Allerweltsname wenigstens den Vorteil, dass Sie sich die Aufmerksamkeit wahrscheinlich nicht mit den Betreibern von sogenannten Massagesalons und Escortservices oder gar mit regelrechten Prostituierten teilen müssen, weil die auf eine andere Erotik und eine andere Exotik setzen und unter dem Namen Elisabeth Müller wahrscheinlich nicht einmal sogenannten Hausfrauensex anbieten könnten. Anders ist es bei Schriftstellerinnen und Schriftstellern: Weil alle Welt schreibt, gibt es in der Lieschen-Müller-Kategorie immer einen oder eine, der oder die so heißt wie Sie und der oder die Ihnen dann Ihren kleinen Platz an der Sonne streitig macht.
Es wird gesagt, die Dinge geschehen immer zwei Mal, zuerst als Tragödie, dann als Farce, aber in dieser Geschichte ist es umgekehrt, sie hat mit einer Farce begonnen und mit einer Tragödie geendet. Die wenigsten werden sich an den Anfang erinnern, der in Wiener Literatenzirkeln immer noch als Witz erzählt wird, ohne dass den Leuten klar ist, dass es kein Witz war. Es ist jetzt zwanzig Jahre her, dass die angehende Schriftstellerin Susanne Berger eines Morgens einen Anruf aus dem Bundeskanzleramt bekam und diskret oder vielmehr gar nicht so diskret aufgefordert wurde, in Zukunft besser unter anderem Namen zu schreiben. Sie hatte gerade ihr erstes Buch ohne jedes Echo in der heimischen Presse veröffentlicht und wunderte sich über diese Art von Zuwendung. Am Telefon war der Staatssekretär für Kultur, ein früh resignierter Lyriker und selbsterklärter Homme à Femmes – so nannte man das damals noch –, will sagen Schwerenöter mit einem kleinen Alkoholproblem, der ihr sofort ein Stipendium in Aussicht stellte, ab und zu einmal einen Preis und später vielleicht sogar eine Ehrenpension, wenn sie seinem Wunsch entgegenkäme und in der Sache kooperierte. Für den anderen Fall prophezeite er ihr eine schwierige Zukunft, in der sie sich ganz und gar auf sich allein gestellt sehen würde.
Auf die Frage, warum, bekam sie keine Antwort, und erst als ein knappes Jahr später das erste Buch einer gewissen Susanne Berger angekündigt wurde, das Debüt einer anderen Autorin mit offensichtlich genau dem gleichen Namen wie dem ihren, jünger als sie, aber von Beginn an als die neue Bachmann apostrophiert, und die Klatschspalten berichteten, dass dieses von allen Musen geküsste Wunderkind aus dem 16. Wiener Gemeindebezirk die Lebens- oder Lebensabschnittsgefährtin des Staatssekretärs für Kultur sei, musste ihr niemand etwas erklären. Sie ging zu der mit viel Pomp gefeierten Premiere-Lesung in die Hofburg, wo es Glühwein und Punschkrapfen gab, und entschied sich noch am selben Abend, nie mehr ein Wort zu publizieren und vielleicht auch keines mehr zu schreiben. Dafür betrank und überaß sie sich an dem pickigen Zeug, trat hinaus in die Nacht und kotzte sich mitten auf dem Heldenplatz unter einem Sternenhimmel wie in der Kindheit das ganze Elend und den ganzen Ekel aus dem Leib.
Eine Weile fragte sie sich noch, warum diese aufgeblasene Kuh von aufgeblasener Lebensgefährtin oder Lebensabschnittsgefährtin eines aufgeblasenen Staatssekretärs sich nicht selbst einen anderen Namen suchte, wenn ihr etwas nicht passte. Sie überlegte sich, sie anzurufen und ihr das zu sagen, aber dann begegnete sie ihr eines Tages zufällig auf der Straße und vertraute von da an darauf, dass schon das Leben selbst seine Arbeit tun würde. Bald danach war auch das nur mehr Schall und Rauch, verweht und vergessen.
Man könnte nun das Leben der einen Susanne Berger und das der anderen beschreiben, das eine ein Leben im Licht, wenn man das denn Licht nennen will, das andere vielleicht nicht gerade ein Leben in der Dunkelheit, aber im Zwielicht. Man könnte den Aufstieg der einen zur Staatspreisträgerin und den Abstieg der anderen in die Halbwelt schildern, man könnte dumm herummoralisieren und spekulieren, welche von beiden am Ende glücklicher war, man könnte den Aufstieg einen Abstieg nennen und den Abstieg den wahren Aufstieg, man könnte sagen, die Literaturwelt sei in Wirklichkeit eine Halbwelt und die Halbwelt viel poetischer, als die Literaturwelt es sich vorstellen könne, aber natürlich bringt das nichts, sind das nur Beschönigungen und Lebenslügen und darüber hinaus Klischees, ja, am Ende ist es reiner Kitsch. Die Jahre müssen auf dem einen wie auf dem anderen Ufer des Flusses gelebt werden, aber je weiter er der Mündung zustrebt, umso weniger Brücken gibt es und umso klarer wird, dass am Ende alle, Freunde wie Feinde, Gute wie Böse, ins selbe Meer der Vergeblichkeit gespült werden.
Eine kleine Aufregung hätte es noch geben können, als das Buch Susanne Berger. Leben und Werk erschien, von dem bald nachgewiesen wurde, dass die schriftstellernde Susanne Berger es unter Pseudonym über sich selbst geschrieben hatte, eine erweiterte Fassung ihrer Diplomarbeit*, in deren Zentrum auch schon sie selbst gestanden war. Dann durchleuchteten die Zeitungen ihr Wirken in den verschiedensten staatlichen Literatur- und Verlagsbeiräten und kamen zu keinem klaren Ergebnis, ob man wirklich so unverblümt gleichzeitig auf der Geber- wie auf der Nehmerseite stehen konnte, sagten aber immerhin, so etwas gehe nur in der Kultur, wo Almosenbeträge verteilt würden, außerhalb der Kultur, in der Politik etwa oder in der Wirtschaft, wäre es ein Skandal, und eine Weile geisterte eine böse Satire unter dem schönen Titel Lebensgefährten und Preise durch die einschlägigen Foren im Netz – doch da hatte sich die andere Susanne Berger schon in einer nervenschonenden und lebensverlängernden Haltung eines stoischen „Macht nichts. Macht nichts. Macht nichts“ eingerichtet und wunderte sich nicht mehr über diese österreichischen Merkwürdigkeiten. Zuletzt saßen jedenfalls beide in großen Hietzinger Wohnungen, aßen in denselben Restaurants, schickten ihre Kinder in dieselben Schulen und machten an denselben Orten Urlaub, die eine als Weltberühmtheit in Wien, die von sich selbst behauptete, sie sei eine Linke, weil das nun einmal so Usus war und weil sie damit immer auf der richtigen Seite stand und glaubte, es deshalb mit der Moral nicht so genau nehmen zu müssen, die andere als Betreiberin mehrerer sogenannter Studios, in denen Russinnen ihre Dienste anboten. Der Staatssekretär, inzwischen verheiratet mit seiner „Ingeborg aus Ottakring“, wie der Titel eines seiner späten Gedichte lautete, verkehrte dort regelmäßig, ohne dass die eine oder die andere Susanne Berger etwas davon mitbekam.
Die andere nannte sich ohnehin längst Ivanka, natürlich nicht wegen der unverschämten Aufforderung des Staatssekretärs, sich anders zu nennen, sondern wegen ihres Geschäfts, in dem sie einen Nom de Guerre brauchte, und als sie eines Tages noch einmal in der Zeitung auf ihren alten Namen stieß, kam der Lude ins Spiel. Der Lude war ihr Türsteher, ihr Rausschmeißer, ihr Geldeintreiber, ihr „Zureiter“ und gelegentlicher Liebhaber, aber so nannten ihn die Zeitungen. Es war zur Zeit des Opernballs, und als sie ihm beiläufig erzählte, unter den erwarteten Ehrengästen seien der ehemalige Staatssekretär für Kultur und die glorreiche Susanne Berger, die gerade aus den Händen ihres vor Rührung unaufhörlich weinenden Patenonkels, eines hochangesehenen Prälaten aus altem Geschlecht, das Goldene Ehrenzeichen der Republik erhalten habe, erzählte sie ihm nicht nur zum ersten Mal auch, dass sie früher selbst so geheißen habe, sondern die ganze Geschichte, die sie mit dem zweifelhaften Paar verband. Der Lude schwankte zwischen Sentimentalität und Aufbegehren und gestand ihr in einer Anwandlung von Schwäche seine Liebe. Er hatte selbst einen Allerweltsnamen, den er vor aller Welt verbarg, weil ihn sonst niemand als Lude ernst genommen hätte, und ein balkanisches Verständnis von Ehre und sagte, er werde das regeln, er werde den Herrschaften den Marsch blasen, er werde ihnen zeigen, wo der Bartel den Most holt, obwohl sie ihn beschwichtigte, das sei alles ein halbes Leben her, es bleibe nichts zu regeln, und wenn es einen Gott gäbe und sie an ihn glauben würde, würde sie ihm jeden Tag dafür danken, dass sie nicht Schriftstellerin geworden sei, jedenfalls nicht eine solche.
Den Rest konnte man in der Zeitung lesen. Der Lude erwartete das Paar auf der Treppe zur Staatsoper. Er hatte sich prächtig herausgeputzt, trug einen Nadelstreifenanzug, einen Ledermantel bis zu den Knöcheln und seine Schlangenlederstiefel, hatte sich das schulterlange Haar eingefettet wie ein Indianer auf dem Kriegspfad und sah mit seiner Sonnenbrille in der Dunkelheit wahrscheinlich keine zwei Meter weit. Die Pistole hatte er vorsorglich zu Hause gelassen, um keinen Fehler zu begehen, auch wenn es Zeugen gab, die schworen, er habe sie in der Hand gehalten und auf die beiden gerichtet, während er nicht aufhörte, ihnen die Fragen ins Gesicht zu schleudern, was sie sich einbildeten, wer sie überhaupt seien und was sie glaubten, sich herausnehmen zu können.
Es dauerte keine zwei Minuten, bis die Polizei mit mehreren Wagen mit Blaulicht auftauchte, aber da war der ehemalige Staatssekretär für Kultur, der ein schwaches Herz hatte, schon auf der Treppe zusammengebrochen und reagierte nicht mehr auf die rasch eingeleiteten Wiederbelebungsversuche. Die Schriftstellerin Susanne Berger war am Luden vorbei laut um Hilfe schreiend auf die Straße hinuntergestürzt und hatte sich mit den Schuhen in ihrem Abendkleid verfangen und es sich selbst vom Leib getreten. Sie trug feine, rote Seidenunterwäsche, die man im Schritt aufknöpfen konnte, Dessous, wie sie der Staatssekretär geliebt hatte und wie sie manchmal auch die Russinnen in den Studios für ihn tragen mussten, die seine Sonderwünsche kannten, gern die Analphabetinnen** für ihn spielten und ihn dann mit ihren sechs- oder siebenschwänzigen Peitschen grün und blau schlugen – obwohl er natürlich ein (längst schon schwarz oder meinetwegen auch türkis eingefärbter) Roter*** war.
Der Lude, auch das muss noch gesagt werden, liebte Pulp Fiction, war – entgegen allen Klischees oder nur neues Klischee? – ein begeisterter Kafka-Leser und fand bei Kafka noch und noch Stellen, von denen er glaubte, dass sie ihm alles erklärten. Was der Lude nicht wusste, war, dass er in falschen Kategorien dachte. Er fürchtete sich nicht vor abgewirtschafteten Begriffen wie „Anstand“ und „Stolz“. Der Lude hätte Kafka gern in seiner Jugendbande gehabt, aber das hieß nur, dass er ihn nicht richtig einschätzte. Wenn er den Satz „Sich als etwas Fremdes ansehn, den Anblick vergessen, den Blick behalten“ las, der im Dritten Oktavheft stand, fühlte der Lude sich von Kafka verstanden, und es wurde ihm schwindlig vor Sehnsucht.
Anmerkungen
* Susanne Berger, Literatur von Ottakringer Frauen und Ottakringer Frauenliteratur, insbesondere Kapitel II: Susanne Berger, Ein Leben gegen den Strom. Diplomarbeit an der Universität Innsbruck, 1988.
** Die Jirgelei©, mit allem Respekt gesagt, „Anal-Phabetinnen“, die hier eine gewisse Berechtigung gehabt hätte, wurde vom Herausgeber verworfen.
*** Der Autor bittet um Nachsicht, dass er diesem elfriedesken© Kalauer, der genaugenommen eine ausgewachsene Elfriedeske© ist, nicht widerstehen konnte.