Kopf und Kopie

Von Lisa Spalt. „Hier und Heute – 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil 95

Online seit: 9. Dezember 2022
Lisa Spalt © Otto Saxinger
Lisa Spalt. Foto: Otto Saxinger

Letzten Geburtstag schenkte man mir
eine Opuntia consolea,
um wider mich mit Stacheln
zu sticheln,
ich behielt die Pflanze
wohl über ein Jahr,
in dem – naturgemäß, wie mir schien, –
in der Welt
alles schiefging.
Doch schalt
mich diesen Morgen deswegen –
ausgerechnet –
ein Vögelein:
Es ist Morgen, wach auf,
geh und schäle den Kaktus!
Ja, ists denn ein Traum?
Ich schälte den Kaktus
mit dem Stanleymesser,
und fraß ihn auf. Schmeckt
nach Gurke, bin erstaunt.

Gepresste Kokosfaser ist am praktischsten. Ich sag das jetzt mal so, um zu erklären, wie ich persönlich dazu stehe. Kokos ist in gepresster Form platzsparend und leicht im Transport. Leicht ist nicht geeicht, aber ihr könnt abschätzen, was ich meine. Die Brache ist hell erleuchtet. Entscheidung von oben. Ich leg hier nur meine Eier. An Erlässen zur Einrichtung bin ich nicht beteiligt.

Haben uns wie jeden Abend auf den ausrangierten Sofas und Bierkisten unterm zitternden Lichtkegel eingefunden. Ein erstes Heulen dringt aus der Schwärze, deren Dichte unsere Entfernung zur Lautquelle beschreibt. Die alarmierten Ermüdeten, die wir geben, sind sich sicher, dass es sich bei dem Signal um das von Kojoten handelt. Wir kennen sie aus zahlreichen Videos. Daher wissen wir auch, dass das gleißende Licht die Räuber nicht lange abschrecken wird. Sie werden übereinkommen, ihn für einen zweiten Mond zu halten. Dann werden sich die Laute, wenn unsere Herztöne uns richtig beraten, nähern – gegen den abnehmenden Widerstand der Ängste, die wir als Auslöser im elektrischen Geflimmer der Kojotensynapsen vermuten. In der undurchsichtigen Nacht reichen sich diese Wesen die Pfoten, um durch das Einspeicheln und Zerbeißen unserer Körper ihre Verarbeitung einzuleiten. Unsere Szene wird von der haarigen Gesellschaft zur Bande erklärt. Endlich wird eins der Tiere das Stromkabel zerbeißen. Spitzen von Draht striegeln durch Fell. Die Kojoten dämmern in unsere Vorstellung herein oder heraus. Sie vervollständigen sich ins strahlende Ei der Oberfläche. Schließlich konkretisieren sich die Schwänze, als schlüpften sie aus dem Jenseits.

Klar ist die Kokosfaser von drüben. Aber sie wird verschifft und nicht eingeflogen. Mithin reißt sie, wie Officer Ovalhead stur behauptet, am Herkunftsort auch keine Löcher in die Atmosphäre, die sich mit Ozon füllen könnten. Er lebt in der Welt der Vorstellung, weigert sich, irgendetwas zu realisieren. Doch stammt die von uns benutzte Faser von reifen Früchten. Sie kann nicht zu Garn versponnen werden. Die Gewinnung spinnbarer Fasern ist andererseits in den letzten Jahrzehnten aufgrund der ätzenden Atmosphäre, die nicht nur den Pflanzen zusetzt, schwierig geworden. Das von der unreifen Nuss gelöste Mesokarp müsste, um verarbeitbare Fasern zu liefern, Monate lang im natürlichen Brackwasser von Lagunen dümpeln. Wo sollten wir heute noch Brackwasser hernehmen? Ergo Faserstückchen in Form von Pellets. Streu, der Stoff wird halbwegs gerecht verteilt. Zumindest sind wir hier, hinter Glas, sicher, und die garantierte Auftrittsmöglichkeit, für die wir einigermaßen regelmäßig Kost, Logis und Dunst aus der Sprühvorrichtung erhalten, ist es wert, das tropische Terroir nicht allzu sehr zu vermissen.

Das Thema unseres heutigen Abends ist, kurz zusammengefasst, was mit uns geschieht, wenn sich das Publikum auf der Bühne einfindet, anstatt draußen im Parkett. Was folgt, wenn diese Wilden, über die wir von der Bühne aus gern hinwegsehen, hierher wechseln, wo wir Schlauraffer uns wie jeden Abend eingefunden haben, um die, welche wie Triebe im Dunkeln leben, zu kultivieren. Wie stellen wir uns das Jenseits vor, aus dem sie herbeiströmen? An den Überwachungsschirmen der Regie fragt man sich, ob das Tier grundsätzlich von jenen vertreten wird, die sich draußen zusammenrotten. Ob die da draußen vielleicht erst im Moment unmenschlich werden, in dem sie die rote Linie zur Brache übertreten. Welcher Prozentsatz ihres Körpers muss sich hier einfinden, damit im Sinne der Definition etwas passiert? Und ist das Tier das Unbekannte schlechthin, das den Bühnenrand zur Vorstellung durchbricht, oder ist das Animalische ganz grob alles außer uns, also die Stellvertretung unserer Herkunft? Weiter: Wird unsere Vorstellung durch die Übertretung der Grenze durch die Kojoten gelöscht oder – ganz umgekehrt – erst realisiert? Und, am wichtigsten: Ist die Bedrohung, die von den Kojoten ausgestrahlt wird, echt, oder handelt es sich bei ihr nur um eine Projektion, die zum Zweck unserer Bildung geschaffen wird?

Dreimal heult die Sirene der Bauruine. Die Leute im Pelz strömen in den Bereich der Voyeure, der Voyeurinnen. Wir beginnen unmerklich, durch kollektives Erschüttern die elektrische Ladung der Atmosphäre zu verändern. Für viele, die da draußen im Dunkeln tappen, sieht es so aus, als würden trockene Ästchen frieren und durch schnelle Vibrationen der Muskeln Wärme erzeugen. In Wirklichkeit infizieren wir jedoch die Luft mit unserer Bewegung, um die Botschaft des Abends zu übertragen. Wir nennen den Vorgang Zweigmimese. „Helft, Ströme, wenn ihr göttliche Macht habt! Durch Verwandlung verderbt die Gestalt, mit der ich zu sehr gefiel!“ … Da befällt schwere Taubheit die Glieder. Weiche Brüste werden umschlossen von Rinde, das Haar wird zu Laub, die Arme zu Ästen. Füße werden von Wurzeln gehalten, ein Wipfel verbirgt das Gesicht. Nur ein Quäntchen Glanz noch zeichnet unsere Figur. Mein Kopf ist so stolz auf seine Fähigkeit, sich zur Neigung zu zwingen, also liebt er mich penetrant, obwohl ich ihm zu steif bin. Er verleiht mir damit, wie er sagt, ein Restchen Glamour. Lieber hält er nun an den Stamm die Rechte, fühlt mit der Pfote unter der Rinde die bebende Brust, umfängt die Zweige wie sein eigenes Fleisch, küsst das Holz wie seinen ganz persönlichen Ast. Überraschung! Der weicht mit letzter Kraft vor ihm zurück. „Du Arsch, ich bin Holz in deinen Armen, kapierst du denn nichts?“ Klatschen. Bravo. Wir fühlen uns verstanden. Berühren lassen wollen wir uns von diesem nicht.

Ovalhead fabuliert in seinem Monolog über Natur, doziert, spricht von Eiern, denen er sich nicht hingeben kann. Sind in der Masse nicht gesund. Aber sie rühren ihn. Könnte ich, Ob-es-eingelöst wird, die Produkte nicht im Kühlschrank aufbewahren, damit sie nicht faul werden, wenn sie der Volljährigkeit entgegengehen? Officer Ovalhead fragt sich außerdem, warum ich sie immer noch monatlich legen muss. Kann ich meine Zeit nicht besser strukturieren? Warum fange ich die monatliche Blutung mit Tampons auf und lasse nicht einfach alles effizient beim Toilettengang raus? Mein Kopf macht Anstalten, mich zu drücken, schreckt dann aber zurück, weil man nie weiß, ob aus der gequetschten Schrecke das Blut rausschießt wie Ketchup aus der Weichplastikflasche. Und wenn ich, Ob-es-eingelöst-wird, wenn ich die Einlage wechsle, die Hände nicht wasche? Wie von Ovalhead bestellt, platziere ich mich, um ihn mit Süße zu beruhigen, als flaumiges Vanillegebilde auf die Palette vor ihm. Und gleich auch schiebt er mir die Gabel in meinen Mund, saugt mich mit dem Geräusch des Laubbläsers ein. Meine labbrigen Lippen sind dabei, so weit es möglich ist, wie zum Kuss gespitzt.

Officer Ovalhead steuert mich mit Zuckungen. Das funktioniert ähnlich wie die elektrifizierten Armbänder im Auslieferungszentrum von Eleison Unlimited, von denen die Mitarbeitenden durch die Lagerhallen dirigiert werden. Sich selbst schirmt er durch seine Isolierung gegen Fremdzugriff ab. Nur im gepanzerten und leeren Raum vermag er zu vernehmen, welche Daten hinter seinem Pokerinterface errechnet werden. Wenn eine Kugel wie er jemanden treffen würde, würden die Signale, die er international auffängt, wie Munition an der Rippe verfälscht. Die Bühne ist und bleibt daher sein Leben.

Oh happy day, let me drink your early grey … In einer Aufwallung von Liebe töne ich. Officer Ovalheads Hoodie ist jetzt dran. Produziere einen Sud von Uhudlertrauben, Kurkuma und Walnussblättern, koche den Stoff drin. Während das Material auf der Antenne trocknet, sammle ich Müllsäcke, schmelze sie in der Mörtelkelle und tauche die Vorderpfoten des Spielzeugkojoten, den ich unter Bauplanen gefunden habe, in die Masse, um die Geschichte mit einem neuen Muster zu ordnen. Fertig. Ovalhead krempelt die Ärmel auf und plädiert für Ewigkeit. Ich denke bei der Bewegung an das unaufhörliche Trennen und Zusammensetzen von Molekülen, Gedanken, Beziehungen. Mein zunehmend kahler werdender Kopf aber lehnt sich an das gelbe Verschalungsholz hinter ihm, als wäre er flüssiger Beton. Er würde Nachwuchs selbstredend an der Straßenecke aussetzen, weil er sich dem Geist verschrieben hat, der ewig und rein sein muss. Ob-es-eingelöst-wird, sagt er zu mir, und ich, begeisterungsfähig, wild, verliebe mich. Auf das Herz folgt logischerweise der Hintern. Ich schlendere über die Brache, platziere mich dekorativ neben der Abgrenzung, lege, mich ekstatisch windend, die momentan verfügbaren Eier. Dann schwinge ich meinen Po in der gespannten Hose zu Officer Ovalhead, spreize mich, und mein Kopf glotzt ganz offiziell ins Kristallglas. Der Bauch vergrößert meine Klappe. Ja, mein Kopf ist einer der Typen, die denken, dass sie rückwirkend im proletarischen Milieu geboren worden sein werden, wenn sie mit einer Bierflasche auf die Bühne gehen. Ovalhead verdächtigt mich, dass ich zu den Kojoten überlaufen wollte, dass nur sein gefährlicher Blick mich davon abhalten konnte. Officer, sage ich, ich folgte dem Wort deines Gesetzes, das mir vom Jenseits, vom Absoluten kündet. Brüllt mein Kopf, dass er zu Köpfen sprach. Wie komme ich dazu, ihm zu lauschen? Das Ideal sollte nach ihm kommen. Um mich geht’s nicht. Wer sollte um seinen Nachwuchs herumscharwenzeln, wenn Ob-es-eingelöst-wird anfängt, sich für den Kopf zu halten? Er, der zuständige Officer, wird jetzt sicherlich nicht anfangen, über ungekraulten Eiern zu brüten. Kojoten, Kojoten! Es gibt ein falsches Leben des Richtigen.

Mein Kopf rechnet sich, beiseite sprechend, aus, dass wir ihn auf der Brache Higg’s Drasil mit der Gefahr, die er beschwört, identifizieren könnten. Ein Mütchen kühlen, ein Rütchen fühlen. Man bezahlt den Eintritt fürs Theater, weil man hofft, dass man dafür Angst kriegt. Officer Ovalhead ist sich sicher, dass er etwas Respekt, der unsere Angst beweisen würde, verdient. Er nennt mich eine Terroristin. Ich habe, wie er behauptet, wider meine Natur die Scheibe zugunsten einer Kugel übertreten. Officer Ovalhead steckt sich nach dem Muster eines Typen, dessen Name von Generation zu Generation weitergegeben wird, eine Fluppe in meinen Mund. Er ist ein Berliner und traut sich alles zu. Mich dagegen hat man schon mehrfach aus der Geschichte getilgt, und alle Jahre werde ich unter dem Motto „Wie war noch einmal ihr Name?“ wiederentdeckt. Ovalhead trennt das Glas vom Dreck der Welt, und sein Mund leert es bis zur Neige.

Es dämmert. Erst einmal verdauen, dass die Welt nicht schwarz-weiß ist und sich das Scheinwerferlicht in jenem der Sonne auflöst. Die Leute tröpfeln auf der Brache ein. Hübsche Frau, kannst du mir NFTs erklären? Ich kann! Sie müssen ein Mann sein, richtig? Dann sagen Sie: Hmmm, ich bin nicht damit zufrieden, den einfachsten Lebensweg der Menschheitsgeschichte zu haben. Ich glaube, ich würde auch gerne etwas besitzen, das es nicht gibt. Dann nehmen Sie von einer anderen Person, die vielleicht nicht unbedingt Mann sein muss, aber wahrscheinlich Tausende von Dollars wert ist, und die sagt, du besitzt dieses Ding, und die andere sagt: Bist du sicher, und sie sagt: Ja, ja, hier ist ein kleiner Zettel, auf dem steht, dass es dir gehört. Copyright: @couplagoofs, Playlist: Morgan explains things (TikTok). Übertragung ins Deutsche von mir. Derzeit keine Kojoten in Sicht.

Unsere Brache, die den Namen Higgs’ Drasil trägt, ruht auf dem Körper von Adorno (portugiesisch für Verzierung), den wir täglich adorieren. Nach Ovalhead existiert hier nur, wer das Ornament sein Gegenüber nennt. Auf Higgs’ Drasil, die mit dem ewigen Rohbau der Fabrik ordentlich Druck auf den Schmuck ausübt, leben mithin neben meinem Kopf und mir ein echtes Tier namens Verringern sowie ein Adler, der agiert, als hätte er kein Gewicht. Ich kenne seinen Namen nicht. Ja, und dann ist da auch noch das Eichhörnchen Ratatouille (französisch; von Rata, einfaches Essen, und touiller, rühren). Es ist mein Liebling. Die kleine Ratte überbringt Nachrichten zwischen Adler und Adorno. Dazwischen verbreitet sie ungeniert Gossip.

Endlich Auftritt des Homme plastique. Er widmet sich zu meiner Begeisterung dem Upcycling des Logos, trägt einen Mantel aus alten Plastiksackerln, wandelt auf der sandgelben Brache, raschelt vorbei an meinem ausrangierten Wohnwagen. Ich antworte ihm, fahre mit dem Finger durch Raspeln von Rosskastanien, die auf dem Zeitungspapier, das die Armatur bedeckt, trocknen, nehme den blechernen Kinderlöffel mit dem gebogenen Stiel, winke dem Gefährten, der über den Schirm flattert. Der Löffel ruft: „Was du gibst, ist dein, was du behältst, hast du verloren“. Da furzen mir sieben Harley Davidsons durch die Szene. Der Löffel bewegt die Lippen, ohne dass ein Ton zu hören wäre. Scheiß Stummschaltung! Na bitte, pfeif drauf! In der Hand funkt das Metall, die Hitze macht den Staubplaneten zur blendenden Seifenblase. Ihr Morsen jauchzt wider jene, die vom Überwinden künden und das Tragen von Vollbärten gesetzlich vorschreiben. Ein Zeichen! ein Zeichen? Ich schöpfe Kastanien-Raspeln in den Topf mit kochendem Wasser. Die Stoffe einigen sich. Nur wenig später ist das Waschmittel fertig.

Ovalhead phantasiert wieder von seinem großen Werk, das er meinem Mund abpressen muss. Sie ist so weit, sagt er, sie ist so weit. Er wird jetzt wirklich die Klappe aufreißen. Ja, er hat den Auswuchs schon vor Augen. Die Tragetasche auf der Schwelle zu seiner Vorstellung ist ihm bekannt. Er lag einst selbst darin, und der Pflocki im Inneren gleicht ihm wie seine Kopie. Mensch, dieser Umstand wirft Ovalhead jetzt irgendwie nach hinten, in seine vor ihm plärrende Kindheit, und gleichzeitig nach vorn, in die Zukunft des Nachwuchses, der ihn vertritt. Officer Ovalhead! Er ist zeitlos, das erkennt er jetzt. Und der kleine Holzkopf wird auch endlich das Terrarium umstürzen. Irgendwas allerdings fehlt. Ah, klar, Ob-es-eingelöst-wird ist nicht da! Ich hab mich aus der Familienfotografie entfernt. Ich, Mutter des Gedankens, muss aber doch die Eier ablegen. Lege sie ab! Nun, ich tat. Keine Ahnung, was mein Kopf mit seiner Kopie anfangen wird, nachdem er mit ihr alleine blieb. Er kann nicht wie ich mit dem Bauch denken, wie er zugeben muss. Und verhungern lassen kann er den Pflocki auch nicht. Es könnte nämlich durchaus sein, dass er, sobald seine Vergangenheit und Zukunft – also der Pflocki – aus seinem Blickfeld getilgt sind, gar nie existiert haben wird. Wenn Officer Ovalhead also in diesem Moment das Köpfchen aufhebt, geschieht das gegen alle Vernunft, andererseits aber eben auch nicht. Ob das gelebte Dialektik ist? Besorgt fragt sich der Geist, ob er seine Ausgeburt am besten als das Höhere, das Tiefere, das Schwere oder das Einfache archivieren soll. Nun, Leute in Pelzen haben keine Ahnung von Kunst. Ruf den Eklektiker, höhnt es aus den groben Klötzen.

Mensch, heute tut mir Officer Ovalhead, der in Sojasauce geröstete Kerne aus dem Kürbis vom Mittagessen kaut, so weh. Gegen alle Behauptungen in seinen Vorwörtern schafft er es nicht, diese Tatsache zu ignorieren. Dabei spannt er seinen Geist an wie irre. Huch, mein Kopf erschrickt. Das auf der Stechuhr am Eingang der Baustelle angezeigte Datum ist das von gestern, ist das von dem Tag, an dem der Pflocki in sein Leben getreten ist. Oh, sein Pflocki kam zu ihm, so rein, wie nicht von dieser Welt. Sofort fühlte mein Kürbis die Verwandtschaft mit dem Kind, durch das die Sterne durchschienen wie durchs Glas des Terrariums. Mein Kopf war so was von erpicht darauf, der Kopie den Rest zu geben, um ihm die Vollendung zum Geist zu gewähren. Er näherte sich dem Pflocki, um seinen Ast in dessen Leibchen zu bohren. Siehe, das Reine kann nur mit dem Reinen Umgang haben, und die Gelegenheit zum Pfählen des Geistes bietet sich selten. Jetzt aber brüllt Officer Ovalhead vor Schmerzen. Er hat diesen Pflocki, der er einst gewesen ist, anscheinend gedankengeschwängert. Er war noch so jung, als ihm dieses Malheur passierte. Und jetzt will er aus dem Sack, aber der Zaunpfahl ist zu groß. Ovalhead heult. Ich glaub, ich verlier den Verstand. Der Pflocki findet keinen Ausweg aus den kreisenden Gedanken. In welcher verrosteten alten Fischdose, Leute, habt ihr Ockhams Messer versteckt? Wer trennt mich in Vernunft und Instinkt? Hephaistos, altes Prinzip, schlag mir, Ob-es-eingelöst-wird, mit dem Hammer den Kopf ein, damit ich endlich diesen Pflocki loswerd!

Die Requisite meines Porträts, das Ovalhead heute abstaubt, stellt mich als kaputte, aber auch einigermaßen kostbare Puppe dar. Als rosafarbenen Hohlraum aus der Epoche des Surrealismus. Mein Gesicht wirkt ein bisschen abwesend, das ja, weil ich für den Officer ganz simpel ein Loch bin. Schließlich fresse ich in regelmäßigen Abständen meine Kopien. Ich lege meine Haut ab wie ein Ei, kaue an ihrem Gesicht, ihrem Mund, in langen, mahlenden Küssen. Mein Image fresse ich, und ich bin daher ein Nichts, denn ein Nichts schluckt alles, weil es auf alles außer sich selbst neugierig ist. Oh, schwarzes Loch Ob-es-eingelöst-wird, bist ein alter Bokashi, dem man alle zwei bis drei Tage Flüssigkeit und circa alle drei Wochen Feststoffe abzapft, um den Rasen zu düngen. Deine borkige Haut ist biologisch abstoßbar. Du nimmst sie als Nahrungsergänzung zu dir. Officer Ovalhead sitzt auf seiner Kiste, seine Kopie auf dem Arm, während ich mich vergrößere, indem ich mich der Belohnung des nächstgrößeren Happens entgegenwölbe. Ich werden ihn als meinen Vorläufer verschlingen. Soweit zur Unzweideutigkeit meiner Identität.

Es folgt: Monolog Officer Ovalhead. Im Naturhistorischen Museum ist ein Meteorit ausgestellt, in welchen das Universum 1751 die Prophezeiung unserer Stadt verpackte. Natur ausstellen wie ein Rezept. Das All klatschte die Botschaft mit einem wütenden Schlenkerer wie Asche auf unsere Häupter. Vor wenigen Tagen aber erst wurde die Widmannstätten-Struktur des Steins mit methanolhaltiger Salpetersäure sichtbar gemacht. Klar, das damals damit vorausgesagte Weichbild zerbombter Straßenzüge ist inzwischen zu einem Gegenstand vergilbter Fotografien geworden. Da muss Ovalhead noch ein paar dürre Perioden ausbreiten. Er doziert, dass er nun mal in regelmäßigen Abständen Blut verlieren muss. Er sagt, der Adel muss von Zeit zu Zeit ins Feld. Sonst flacht das Wachstum ab. Blut und Boden gehören daher für Ovalhead zusammen wie Stamm und Baum. Es ist Tradition, die seinen Fortbestand sicher. Und da kommt er auf die Katastrophe zurück. Der Meteoritenfall von 1751 war eventuell der erste, den die Menschheit live beobachtete, zumindest ist er aber der erste, über den schriftliche Berichte existieren. Von jenem Tag im 18. Jahrhundert an musste man also die Herkunft der Steine aus dem All, da sie Teil der Geschichte geworden waren, auf jeden Fall zur Kenntnis nehmen. Ovalhead stellt sich vor, dass ab 1751 zahlreiche Menschen die Kugel, um die herum wir uns heute noch scharen, als einen Magneten visualisierten, der auch Kometen aus allen Richtungen des Universums an sich reißt. Andere imaginierten sich eventuell als Stacheln, die je nachdem, wie die von ihnen geschützte Kastanie gedreht wird, aus deren Hülle sticht. Es sind leider keine Studien über derlei innere Bilder vorhanden. Doch haben sie sicherlich, so es sie gab und gibt, großen Einfluss auf das menschliche Verhalten. Die Feuerbälle der Meteore, die unsere Bühnentechniker inszenieren, halten vorläufig immerhin die Kojoten fern.

Eigentlich waren wir vor Kurzem noch Feuer und Flamme, zu den Tieren durchzudringen, um ihnen das Licht näher zu bringen. Nun sehen wir, dass sie Leuchtaugen haben, die ihrerseits über unsere Körper streifen. Sie sind über elektrische Leitungen mit den Pfoten verbunden, die an die Scheibe klopfen, sobald wir uns rühren. Es scheint, die Kojoten da draußen halten uns für Figuren aus einem Videospiel. Sie nehmen jedenfalls an, dass wir gefühllos sind, weil wir Zweigen ähneln, oder halten uns einfach für seicht. Sie nehmen die Sorgen, die wir ihnen vortragen, nicht ernst. Das könnte gefährlich werden.

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Lisa Spalt, geb. 1970 in Hohenems, lebt in Linz und Wien. Studium der Deutschen Philologie und Romanistik an der Universität Wien. Arbeiten zum Handeln in Sprache, Bildern und Objekten. Einzige ständige Mitarbeiterin des Instituts für poetische Alltagsverbesserung (IPA), Betreuerin der Wandlungsform „Manisoft des Psittacismus“ und Editorin der „Edition kleine Brötchen“. Zahlreiche Gemeinschaftsarbeiten, u.a. mit dem bildenden Künstler Otto Saxinger (zuletzt Videoinstallation „Youtopia / Plan B“, 2022), dem Komponisten Clemens Gadenstätter (derzeit Arbeit am Hörspiel „Break Eden. Gesänge für Sirenen“) und der Band „Die Ex-Gewichtsheberin“ („Auf der Welle von Frau Stöhr. Fiktives Hörspiel“, 2022). Letzte Publikation: Das Institut (Czernin, 2019). Grüne Hydra von Calembour erscheint Ende Februar 2023 (Czernin Verlag, Wien).

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Hier und Heute. 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur ist ein Kooperationsprojekt der IG Autorinnen Autoren mit der Stadt Wien und der Zeitschrift VOLLTEXT. 100 Wochen lang, jeden Freitag, bis zum 21. April 2023, erscheint eine neue literarische Erstveröffentlichung eines österreichischen Autors oder einer österreichischen Autorin. Initiiert wurde die Reihe 2021 von Claus Philipp, Gerhard Ruiss und Thomas Keul als Benefizaktion zur Bewältigung der Corona-Krise, seit Frühjahr 2022 wird sie als Beitrag der IG Autorinnen Autoren und der Stadt Wien in der Zeitschrift Volltext für den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 fortgesetzt. Die komplette Reihe kann unter https://volltext.net/hier-und-heute/ abgerufen werden.