Laura Lichtblau – „Schwarzpulver“

Laura Lichtblau hält der europäischen Gesellschaft mit ihrem Debütroman Schwarzpulver in Form einer düsteren Dystopie den Spiegel vor. Doch die inhaltliche Finsternis wird von farbenprächtiger Sprachakrobatik durchbrochen, sodass ein Zusammenspiel von Helligkeit und Dunkelheit entsteht. Von Lisa Mensing
Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Seminar „Literatur- und Kulturkritik schreiben“.

Online seit: 30. November 2020

Drei Protagonisten führen die Leser*innen durch die Geschichte um ein Berlin, das von einer rechtskonservativen Partei und ihrer Ausgeburt „Bürgerwehr“ traktiert wird. Da gibt es Burschi, eine aus Bayern stammende junge Frau mit einem Hang zu dialektal gefärbter und poetisch anmutender Sprache; Charlie, einen unbezahlten Hip-Hop-Label-Praktikanten und Charlotte, ihres Zeichens konservativ-esoterisch angehauchte Präzisionsschützin der Bürgerwehr – und Charlies Mutter.

Während Burschi aufgrund ihrer Homosexualität und Charlie wegen seiner Begeisterung für Sprechgesang und Systemkritik typische Feindbilder des Berliner Regimes sind, ist Charlotte eine Verfechterin der besorgten Bürgerschaft und überzeugte Befürworterin der neuen Sicherheitsvorkehrungen im Land. Die in einer Sinnkrise steckende ehemalige Künstlerin hat die Chance einer 24-tägigen Ausbildung zur Präzisionsschützin ohne zu zögern ergriffen und sich der Bürgerwehr angeschlossen, um ihren in Abnabelung befindlichen Sohn vor den Gefahren der Welt zu schützen.

Mithilfe der drei Perspektiven erschließt Laura Lichtblau den Leser*innen eine durchaus realistische und mögliche Zukunft für das eigene Land. Sexismus, Rassismus und Konservatismus bestimmen das Parteiprogramm und das Leben der Bürger. Gendergerechte Sprache und Anglizismen sind verpönt, Mann und Frau müssen sich zur Fortpflanzung vereinen, ganz gleich, ob die Frau nun will oder nicht, und knüppelnde Bürgerwehrler sind die rechte Hand der rechten Partei.

Bei diesem beunruhigenden Szenario räumt Lichtblau inhaltlichen und sprachlichen Besonderheiten und Absurditäten jedoch genügend Raum ein und hat auf diese Weise keine handelsübliche Dystopie, sondern einen erfrischenden Roman geschaffen, der stellenweise durchaus mit dem magischen Realismus zu kokettieren scheint. Denn da wäre zum Beispiel Johanna, Objekt Burschis Liebe, die der eigenen Aussage zufolge „durch eine Lücke in die Welt gestürzt“ ist, und den „Absprung nicht verpassen [darf], wenn es soweit ist“. So ploppt Johanna in der einen Szene quasi aus dem Nichts und löst sich in der nächsten nahezu in Rauch auf. Eine rappende, maskierte Oppositionelle vollführt in ihrer Freizeit höchste Eislaufkunst und das nahezu totgesagte Pärchen, deren Gesellschafterin Burschi ist, lebt einem Wunder gleich buchstäblich länger. Diese fantastischen Elemente führen jedoch stellenweise zu einer gewissen Undurchsichtigkeit des Plots, was der Stimmung des Romans aber keinen Abbruch tut.

Diese Stimmung wird nämlich vor allem durch Lichtblaus verspielten Umgang mit Sprache erzeugt, die ihrem Namen mit unzähligen Lichtbeschreibungen und untypischen Farbbenennungen alle Ehre macht. So beschreibt Lichtblau einen Hund als „teefarben“, Augen als „wasserhell“ und der Himmel zeigt sich in „Löschpapierblau, das die Dunkelheit Stück für Stück aufsaugt“, während Charlotte das Licht der Laternen blutig erscheint.

Überzeugt Lichtblau auf der einen Seite durch sprachliche Spielereien wie „schon nach dem ersten, eiskalten Schluck war mir unzuverlässig zumute“ und Wortschöpfungen à la „Eieruhrensalon“ und „Streichholzschachtelkammer“, schießt sie mit ihren Wortexperimenten doch manchmal auch über das Ziel hinaus, wenn sie von „Lichtschachtlicht“ spricht oder einem Protagonisten ein etwas plattes „Bock auf Bockwurst“ in den Mund legt.

Insgesamt weiß Laura Lichtblau mit ihrer lautmalerischen und außergewöhnlichen Sprache jedoch zu überzeugen. Für jede Figur hat sie eine eigene Art des Sprechens konzipiert. Der junge Charlie versucht sich in seiner pubertären Unsicherheit an Coolness und der Aneignung des Wortes „extraordinär“, Charlotte drückt sich am liebsten „zielführend“ und „zweckdienlich“ aus und Burschi dialektiert poetisch vor sich hin und wirft dem Leser auch einfach mal ein bayerisches „dramhappert“ an den Kopf. Und über diese charakterisierenden Merkmale legt Lichtblau als verbindendes Element ihre eigene Experimentierfreude. Der düster-dystopische Plot und die ausgelebte Lust an Sprache gehen glücklicherweise eine stimmungsvolle Symbiose ein und erzeugen ein wunderlich-fantastisches Leseerlebnis, das bei aller Freude am Wort jedoch nie den bedrohlichen Zustand unserer Gesellschaft unter den Tisch kehrt.

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