Nichts im Museum

Von Hanno Millesi. „Hier und Heute – 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil 74

Online seit: 15. Juli 2022
Hanno Millesi © Selma Doborac
Hanno Millesi. Foto: Selma Doborac

In eine der spalierstehenden Ritterrüstungen hineinzukommen ist einfacher als erwartet. Sie scheint geradezu begierig zu sein, nach so langer Zeit wieder einmal einen menschlichen Körper in sich aufzunehmen. In ihrem Inneren riecht es nach Zitrone und Ammoniak, nach Kanonendonner und Schlachtengetümmel. Durch die Sehschlitze des Helms nach draußen spähend, komme ich mir wie in einem Bubentraum gefangen vor. Jalousien, durch die ich aus meinem Zimmer in die Schausäle der weiten Welt blicke – die Seele eines Mechanismus, der verletzlichste Teil einer Konstruktion, von der behauptet wird, sie sei unzerstörbar.
Was ich in einem Museum, das sich sämtlichen bewaffneten Konflikten in der Geschichte dieses Landes widmet, zu suchen habe?
Ich bin hierhergekommen, um mich davon zu überzeugen, dass es unter dem Handwerkszeug des Krieges auch etwas gibt, das sich, zumindest nach jahrzehntelangem Aufenthalt in einer Bildungsanstalt, für etwas anderes eignet, als Gewalt damit auszuüben.
Mir im Vorfeld eine Eintrittskarte zu besorgen, war bereits Teil meines Plans. Ich wollte mir auf redliche Art und Weise Zutritt zu einer ganz und gar absurden Welt verschaffen.
Verborgen in der Kluft eines streitbaren Edelmanns von anno dazumal, warte ich geduldig, bis das Museum seine Pforten schließt. Wer immer in der Zwischenzeit an den Ritterrüstungen vorbeispaziert, könnte es aus einer von ihnen kichern hören. Eines der Überbleibsel einer fernen Epoche amüsiert sich darüber, dass der moderne Mensch bereit ist, für seinen bloßen Anblick zu bezahlen.
Als die Lampen schließlich eine nach der anderen ausgehen, und nur noch das durch die riesigen Fenster hereindringende Tageslicht für ein wenig Beleuchtung sorgt, hat sich jedoch nicht eine Menschenseele bis hierher verirrt.
Sobald ich mich allein weiß, beginne ich behutsam aus meinem Versteck herauszukommen, was sich als ungleich schwieriger erweist, als es war, darin Unterschlupf zu finden. Hatte mich die Rüstung zuvor geradezu willkommen geheißen, fällt sie beim Versuch, mich von ihr zu befreien, mit Mordsgetöse um, reißt mich zu Boden, ringt mich nieder. Sie hat nicht vor, mich jemals wieder gehen zu lassen – nicht, nachdem sie so lange Zeit mit nichts als Leere gefüllt gewesen ist.
Auf dem Parkettboden des Museums liegend, verstehe ich mit einem Mal, wie es diesen Rüstungen gelungen sein dürfte, Jahrhunderte währenden Krieg zu überstehen, ohne einen Kratzer davonzutragen. Die Makellosigkeit ihrer Panzerungen geht auf Kosten derjenigen, die sich in ihrem Inneren befinden. Das Kichern von vorhin hat offenbar auch mir gegolten.
So respekteinflößend der Anblick der Rüstung in aufrechter Position gewesen sein mag, so eisern sie in der Folge verschwiegen hat, dass ich mich in ihr verberge, so erbärmlich muss sie – mit mir in ihr drin – auf dem Boden liegend aussehen. Zu schade für eine Kugel – sofern Schusswaffen zu ihrer Zeit schon in Gebrauch waren. Es würde genügen, einen Kübel lauwarmen Wassers über diesem Häufchen Elend, der im Kern von mir gebildet wird, auszuleeren und den unaufhaltsamen Prozess des Verrostens abzuwarten.

Ohne die künstliche Beleuchtung sehen die Schausäle gar nicht mehr wie Schausäle aus. Sie wirken eher wie Momente, eingefroren in der Dämmerung einer Geschichte, die auch mich hervorgebracht hat. Bin ich nicht eben aus einer ihrer Requisiten gekrochen?
In den vier Ecken des Ausstellungssaals sind riesige Spiegel angebracht. Sie neigen sich ein wenig in den Saal, was aussieht, als würden sie sich verbeugen und dazu einzuladen, vor ihnen zu posieren. Wer immer sich in ihnen betrachtet, scheinen ihre opulenten, goldverzierten Rahmen zu versprechen, werde aussehen, wie auf einem der Gemälde, die hier überall an den Wänden hängen.
Da es zunehmend dämmert, dürfte ich in absehbarer Zeit aber ohnehin nicht viel mehr als den Anblick einer finsteren Gestalt abgeben. Aus mir ist ein Eindringling geworden. Keine Spur von etwas Heldenhaftem, ein Schatten wie aus einem Alptraum, den ich noch nicht einmal unterbrechen kann, da es mir nicht möglich ist, das elektrische Licht einzuschalten.
Stattdessen trete ich an eine tischförmige Vitrine. Hieb- und Stichwaffen kleineren Formats liegen zur Ansicht auf ihrem samtüberzogenen Boden wie ausgestorbene Tiere – mittelalterliche Giftschlangen beispielsweise. Etwas hält mich davon ab, eine davon herauszunehmen und mir damit die Fingernägel zu säubern, einen Apfel oder – besser noch – eine Kartoffel zu schälen, die mitzubringen ich allerdings verabsäumt habe. Außerdem ist die Vitrine versperrt, und ich bin nicht darauf vorbereitet, Scheiben einzuschlagen. Das würde mir vorkommen wie ein Juweliergeschäft zu plündern. Sollte mich die Zerstörungswut denn bereits nach so kurzer Zeit in ihren Bann gezogen haben?
Weshalb ich zunächst keinen Gedanken an die Security verschwende, liegt übrigens daran, dass die Rüstung beim Umfallen mehr Wirbel verursacht hat, als ich manch altmodischer Alarmanlage zutraue. Eine Zeitlang lasse ich also sogar die simpelsten Sicherheitsvorkehrungen außer Acht – vom Einschalten der Deckenlampen einmal abgesehen. Es ist meiner Vorstellungskraft zu verdanken, dass ich für die, die keine Ahnung haben, was mich hierher verschlagen haben könnte, vorläufig unsichtbar bin. Als wäre die Welt außerhalb dieses Museums in dem Moment in Bewegungslosigkeit erstarrt, in dem ich damit begonnen habe, die hier versammelten Exponate zu neuem Leben zu erwecken. Nicht ich bin es, der schläft und träumt, sondern alle anderen.

Einen Saal weiter stoße ich auf ein prachtvolles Zelt. Es präsentiert sich von einer Absperrung umgeben. Zunächst verstehe ich nicht recht, was ein Campingartikel, mag er auch ungewöhnlich elegant sein, unter lauter Versatzstücken der Kriegsführung verloren hat. Eine ausführliche Info-Tafel – auch sie mit nichts als Erinnerungsarbeit im Namen der Zerstörung beschäftigt – klärt mich jedoch darüber auf, dass dieser Baldachin einst die Leiche eines Eroberers aus Tausend und einer Nacht beherbergt hat.
Na wenn schon! Gibt es außerhalb dieses Museums nicht nach wie vor zu viele lebendige Menschen ohne Obdach. Einige darunter, sofern ich richtig informiert bin (nein, nicht von einer der Info-Tafeln), sogar aus der gleichen zauberhaften Gegend wie dieser märchenhafte Unterstand?
Ich beschließe, das Zelt aus dem Museum abzutransportieren. Ist es denn etwa nicht für die Mitnahme auf Eroberungszügen konstruiert worden? Ich will es einer Gruppe Zivilisten übergeben und auf diese Weise zu einer Verbesserung (von einer Verschönerung gar nicht zu reden) ihrer Unterbringung beitragen.
Zu meiner Enttäuschung – um nicht zu sagen Entrüstung – muss ich allerdings feststellen, dass sich das Zelt in keinem reisetauglichen Zustand befindet. Museumskuratoren haben offenbar alles, was ursprünglich zerlegbar war, fixiert, verschraubt, in Stein gemeißelt. Als lasse sich Geschichte auf diese Weise zwingen, für immer in ihren Räumlichkeiten zu verweilen, ein Wimpernschlag im Verlauf des universellen Geschehens so lange hinauszögern, bis … bis Vertreter und Vertreterinnen einer Generation wie der meinen eines Tages hier eindringen, um mit dieser Form von Beweihräucherung ein für alle Mal Schluss zu machen.
Um etwas davon mitzunehmen, müsste ich das Zelt einreißen, die Verbindungen zwischen den Stangen brechen, die Seitenteile ausschneiden (zum Beispiel mit einem Krummsäbel). Wie es aussieht, gehen die Historiker davon aus, dass, sollte sich eines Tages jemand dieses Exponats bemächtigen, das zweifellos auf gewaltsame Weise vonstatten gehen werde. Als assoziiere dieses Relikt unweigerlich Gewalt und könne nur zusammen mit Gewalt bewohnt werden.

Nachdem ich einige Säle hinter mich gebracht habe, begegne ich einem Automobil, und mit einem solchen, mag es sich auch um einen Oldtimer handeln, sind für mich bei weitem realistischere Ansichten verbunden als mit Ritterrüstungen und orientalischen Zelten. Die Zeit ist mir einen Schritt entgegengekommen.
Einer Informationstafel entnehme ich, dass es sich bei dem Automobil um den Wagen eines Prinzen handelt, der während einer Spritztour erschossen wurde. Das lässt mich an Tupac Shakur denken. Tupacs Schlitten kann, aller Wahrscheinlichkeit nach, in der Music Hall of Fame besichtigt werden.
Ich erwäge, auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen und von Epoche zu Epoche zu cruisen. Dazu müsste ich den Wagen lediglich von einem Saal in den nächsten schieben und immer wieder aus- und einsteigen. Auf diese Weise wäre es mir möglich, dem toten Prinzen die Schlachtfelder der Religions-, der Türken- und der napoleonischen Kriege zu zeigen. Schauplätze, die, da bin ich mir sicher, in direktem Zusammenhang mit seinem Ableben stehen.
Besorgt, aus mir könnte ein Tourist mit einer Vorliebe für die Schattenseiten der Geschichte werden, will ich die Prinzenkarosse dann aber doch lieber als das behandeln, was sie ist – nämlich ein simples Fahrzeug. Statt mich damit auf Zeitreise zu begeben, beschließe ich, an dem vorsintflutlichen Automobil einen Reifen zu wechseln. Reifenwechseln ist eine Tätigkeit, die zu einer konstruktiven Annäherung an die Welt passt. Die Idee dazu rührt aber auch daher, dass der Ersatzreifen prominent an der Außenseite der Fahrertüre prangt.
Erst gilt es ein Pannendreieck aufzustellen – ob ich unter dem Zubehör dieses Wagens eine Warnweste finden werde, frage ich mich, muss schmunzeln und bin wieder bei mir angekommen.
Im Austauschen eines Reifens liegt für mich etwas von meinem Verhältnis zur Geschichte angedeutet: der Werktätige gegenüber dem Betrachter, der Veränderer gegenüber dem Konservativen, der Aktive gegenüber dem Passiven.
Anstelle einer Warnweste fällt mir eine blutige Uniformjacke in die Hände. Der Info-Tafel zufolge, hat sie dem Thronfolger gehört. Unter einem Glassturz liegend, präsentiert sie das Einschussloch, welches das Attentat hinterlassen hat. Auch eine Form von Warnung, eine solche Weste, sage ich zu mir selbst.
Mit einem Wagenheber und einem Schlüssel für die Radmuttern ist das Auto des Prinzen hingegen ebenso wenig ausgestattet, wie mit einer Erste-Hilfe-Ausrüstung, was mich auf die Frage bringt, ob das Attentat eventuell auch anders hätte ausgehen können.

An den Wänden hängen altertümliche Landkarten, gerahmt und hinter Glas wie papierene Kunstwerke. Bei genauerer Betrachtung muss ich allerdings feststellen, dass nicht eine der Gegenden, die sich angeblich auf ihnen nachgezeichnet findet, wiederzuerkennen ist. Ich verirre mich sogar auf der Suche nach jenen, deren kartographiertes Erscheinungsbild mir an sich vertraut ist.
Sofern diese Karten tatsächlich strategischem Vorgehen als Grundlage gedient haben, haben einige Gefechte, an die hier erinnert werden soll, womöglich gar nicht stattgefunden. Vielleicht hat man sich, da keiner der Kontrahenten auf dem Schlachtfeld erschienen ist, sonst irgendwie auf ein Ergebnis geeinigt. Oder gewonnen hatte der, dem es als Erstem gelungen zu sein schien, den vereinbarten Austragungsort ausfindig zu machen. Den zuständigen Herrschern und Herrscherinnen erstattete man schriftlich Bericht, vornehmlich die Sieger – bekanntlich obliegt es ihnen, die Geschichte zu schreiben.
Ehe ich den Saal verlasse, verspüre ich das Verlangen, zumindest eine der Karten aus ihrem Rahmen zu nehmen und aus dem Gedächtnis heraus zu korrigieren. Eine bessere Gelegenheit, Geschichte umzuschreiben, wird sich mir so bald nicht wieder bieten.
Aber was würde ich damit andeuten wollen? Dass einige der abgesagten Schlachten nicht unbedingt hätten ausfallen müssen, wäre bloß der Bildungsstand damals ein wenig höher gewesen?
Ähnlich ergeht es mir angesichts der zahlreichen Gegenstände, die mit Camouflage-Stoff überzogen sind. Ihre Tarnfarben fordern mich auf, Verstecken zu spielen, und zunächst erkenne ich darin ein Friedensangebot. Aber – abgesehen davon, dass ich dazu zu alleine bin, würde das nicht bedeuten, mich ausgerechnet jener Qualitäten zu bedienen, um derentwillen sich diese Beispiele eines hinterhältigen Designs hier befinden, wo man sie als Exponate bezeichnet?
Stattdessen nehme ich in einem der anderen Säle ein Signalhorn – eine Beschriftung verrät mir die zutreffende Bezeichnung – von der Wand und versuche ihm einen nichtmilitärischen Ton abzuringen. Nach einer Reihe erfolgloser Versuche, gelingt es mir gerade mal einen jämmerlichen Laut aus seinem Trichter zu scheuchen. Mehr scheint von den signifikanten Tonfolgen, die verlauten zu lassen, dieses Horn einst in der Lage gewesen sein dürfte, nach jahrzehntelangem Fronturlaub nicht übriggeblieben zu sein. Es ist jedoch auch möglich, dass das Horn eine Unterhaltung mit jemandem ohne militärische Ausbildung verweigert.
Bei dem, was ich herausbekommen habe, kann eigentlich gar nicht von einem Ton gesprochen werden. Genauso wenig lässt sich sagen, ob er kriegerische Absichten hegt. Dafür schien er mir, um ehrlich zu sein, zu schwach. Ich habe den Eindruck, einem der Hörner eines schläfrigen Kriegsteufels ein Flüstern abgerungen zu haben. Für mein Anliegen hat sein Besitzer keinerlei Verständnis. Ich soll mich unterstehen, den Kult um die Gewalttätigkeit noch länger auszuhöhlen – das oder etwas in der Art mag dieses Wimmern bedeuten.
Ernüchtert platziere ich das Signalhorn wieder dort, von wo ich es heruntergenommen habe. Von einem Musikinstrument hätte ich mir am ehesten erwartet, dass es sich, von einem friedfertigen Menschen darauf angesprochen, auf eine erfreulichere Weise einsetzen lässt als zum Angriff, zum Rückzug oder zum Zapfenstreich zu blasen.

Als nächstes trete ich an eines der riesigen Fenster. Unmittelbar neben einer Auswahl an Hörnern ermöglicht es einen Blick auf den Platz an der Rückseite des Museums. In fortgeschrittener Dunkelheit stehen dort unten einige Panzer. Ein Schild bezeichnet das Areal als Panzergarten.
Eine Ansammlung wie diese als Garten zu bezeichnen und nicht als Friedhof veranschaulicht die Weltanschauung hinter einem Museum wie dem, in das ich mir Zutritt verschafft habe, beinahe noch deutlicher als einige dieser Killermaschinen, die sich unterhalb des Fensters in eine Sackgasse manövriert haben.
Wie die Panzer da ohne erkennbare Ordnung parken, stelle ich mir vor, man habe sie einfach dort stehengelassen, wo ihnen der Treibstoff ausgegangen ist. Die These, sämtliche Panzerfahrer hätten zugleich beschlossen, mit dem Panzerfahren aufzuhören und wären aus ihren Fahrzeugen geklettert, stimmt mich wiederum optimistisch.
Abgesehen von den Spiegeln, auf die man hier überall trifft, scheinen mir die Fenster die interessanteren Gemälde, als die, mit denen der Plafond der Ausstellungssäle geschmückt ist. Ich will noch aus einem weiteren schauen, muss dazu jedoch erst an einem monströsen Kachelofen vorbei – auch er geräumiger als die Behausungen vieler Bewohner der Stadt außerhalb dieses Museums.
Von der Dunkelheit beeinträchtigt, halte ich den Kachelofen anfangs für ein Pendant des Zeltes, das von Konservatoren seiner Mobilität beraubt worden ist. Bei einer Belagerung wäre ein solches Ding allerdings keine große Hilfe gewesen (zu zerbrechlich!). Ein Kachelofen wie dieser, denke ich, ließ sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur mit den edelsten Hölzern füttern. Hölzer, für deren Bereitstellung einige der kunstvoll gefertigten Beile und vielleicht sogar der größeren Schwerter und Hellebarden, die in diesem Museum ausgestellt werden, gedient haben könnten. Hölzer, die, übereinandergestapelt, einen ordentlicheren Eindruck gemacht haben dürften als die Hütten der einfachen Menschen der damaligen Zeit. Wirkliche Wärme war von solch edlem Holz, einem dieser feinen Kachelöfen in den Schlund geworfen, aber wohl keine zu erwarten.
Aus dem zweiten Fenster kann ich, von der Beleuchtung eines Fußwegs, der daran vorbeiführt, profitierend, in eine Art Loggia sehen, die mehrere Kanonen verschiedenen Kalibers beherbergt. Im Gegensatz zu den Panzern stehen die Geschütze in Reih und Glied, und ihre Rohre zeigen alle in die gleiche Richtung, als wüssten sie genau, woher die Gefahr droht.
Hier oben im Museum rührt sie aus einem der benachbarten Säle. Aufgeregte Stimmen und Schritte, so eilig, dass sich das Knistern des Parketts zu einem Rauschen verdichtet, verkünden, dass die Security auf mich aufmerksam geworden ist. Damit ist früher oder später zu rechnen gewesen. Mit Sicherheit hat mich das Geräusch, das ich dem Signalhorn abgetrotzt habe, dem Feind ausgeliefert. Nicht unbedingt durch seine Lautstärke, eher aufgrund der in ihm enthaltenen Empörung, hat es, Verbündeter sämtlicher Unter-Waffen-Stehender, darauf hingewiesen, dass sich ein Eindringling in diesen Räumlichkeiten aufhält.

Nachdem sie mich in Gewahrsam genommen haben, und ich mit gesenktem Haupt in Richtung Ausgangsbereich marschiere (ausgerechnet!), bedauere ich, zuvor nicht wenigstens noch eine der Trommeln ausprobiert zu haben. Jahrhundertelang haben sie dazu gedient, Hinrichtungen etwas Verlogen-Feierliches zu verleihen. Ob meine Hände ihnen den Rhythmus des Lebens entlockt hätten? Allmählich ist es jedoch an der Zeit, mit einer, den Sicherheitskräften halbwegs plausibel erscheinenden Antwort auf die Frage, was ich mir eigentlich dabei gedacht habe, in dieses Museum einzubrechen und alles auf den Kopf zu stellen, herauszurücken.
Ich könnte behaupten, dass ich, hier einzudringen für eine recht simple Möglichkeit gehalten hätte, an ein paar Waffen zu kommen. Würde sich die Security damit nicht zufriedengeben und mich daran erinnern, dass es sich bei den Exponaten hier drin doch um Antiquitäten handle und nicht um Waffen, die sich ihrer ursprünglichen Funktion entsprechend einsetzen ließen, würde ich erwidern, dass mir eben dieser Umstand wie die perfekte Tarnung vorgekommen sei.

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Hanno Millesi, geboren in Wien, lebt und arbeitet ebendort. Studium an den Universitäten Wien und Graz sowie an der Universität für angewandte Kunst in Wien; während des Studiums verschiedene Tätigkeiten im Bereich der bildenden Kunst (u. a. Galerie Krinzinger, Assistent von Hermann Nitsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum moderner Kunst Wien). Seit 2000 freier Schriftsteller. Verschiedene Preise und Stipendien, zum Beispiel Elias-Canetti-Stipendium der Stadt Wien 2014/15 sowie 2017 der Reinhard-Priessnitz-Preis. Lehrtätigkeiten u. a. an der Schule für Dichtung in Wien und am Institut für Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Zuletzt erschienen: Der Schmetterlingstrieb (2016), Die vier Weltteile (2018), Der Charme der langen Wege (2021) sowie als Herausgeber (gemeinsam mit Xaver Bayer) Austropilot – Prosa und Lyrik aus österreichischen Literaturzeitschriften der 1970er Jahre (Anthologie, 2016).
Hanno Millesi beschäftigt sich auch mit Text-Bild-Arbeiten, neben Ausstellungen – aktuell: Erste Hilfe – First Aid im Hugenottenhaus in Kassel im Rahmen der documenta fifteen (18. 6. bis 24. 9. 2022) –, zu sehen u. a. auf: https://www.instagram.com/millesihanno/

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„Hier und Heute – 100 Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gerhard Ruiss, VOLLTEXT und den beitragenden Autorinnen und Autoren. Die Texte der Serie erscheinen wöchentlich, jeweils am Freitag, und können auch als Newsletter abonniert werden. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” wurde auf Initiative von Claus Philipp durch Spenden für den Lesemarathon Die Pest sowie eine Förderung der Stadt Wien als Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise ermöglicht. Die ursprünglich für ein Jahr geplante Serie wird nun zur Hinführung auf den Österreich-Schwerpunkt der Leipziger Buchmesse bis März 2023 fortgesetzt.