Fragebogen: Christoph Schröder

Zum Geschäft der Literaturkritik heute

Online seit: 25. November 2016

Was sehen Sie als die primäre Aufgabe der Literaturkritik heute?
Zunächst einmal eine Schneise schlagen durch die jeweiligen Neuerscheinungen, also: eine Vorauswahl treffen. Und dann auf unterhaltsame und fundierte Art und Weise über Literatur informieren. Im besten Fall einen Hallraum erzeugen und das Gespräch über Literatur am Leben erhalten.

Was sind die größten Herausforderungen/Probleme für die Kritik heute?
Aufmerksamkeit ist mittlerweile ein hohes ökonomisches Gut. Das Problem ist also: Aufmerksamkeit bekommen. Platz bekommen. Und als Kritiker auch die Freiräume haben, über Literatur nachzudenken. Selbstverständlich ist auch die Krise der Printmedien ein Problem. Es gibt keine Krise der Literaturkritik, nur eine Zeitungskrise.

Spielen literaturwissenschaftliche Theorien eine Rolle für Ihre Tätigkeit als Kritiker?
Ich versuche, mich verständlich zu machen. Literaturkritik und Literaturwissenschaft sind zwei unterschiedliche Felder. Trotzdem möchte ich nicht ausschließen, dass bestimmte Theorien mein Denken beeinflussen. Luhmann zum Beispiel.

Welche LiteraturkritikerInnen schätzen Sie am meisten? Für welche Qualitäten?
Einige. Aber ich sage keine Namen. Doch, einen: Ina Hartwig, heute Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt. Ohne sie wäre ich nie zum Kritikenschreiben gekommen. Und da bin ich nicht der einzige.

Wie viele Bücher muss ein Kritiker gelesen haben, um kompetent urteilen zu können? Wie viele haben Sie gelesen?
Man kann nie genug gelesen haben. Nie. Mein Lebenslesepensum kann ich wirklich nicht abschätzen. Aber ich bin noch immer lesesüchtig, selbst nach einem runden halben Jahr Buchpreislektüre.

Wie viele Neuerscheinungen lesen Sie pro Jahr?
Ich weiß, dass es heuer zu viele waren.

Welche AutorInnen haben Ihnen mit 15 gefallen, welche schätzen Sie heute?
Ich war nie ein besonders kanonischer Leser, sondern habe gelesen, was mir Spaß gemacht oder mich besonders getroffen hat: Georg Trakl, Gottfried Benn oder Sir Arthur Conan Doyle. Welche Autoren ich heute schätze? Das ist ungeheuer schwer zu beantworten. Es gibt Schriftsteller, die mich mein ganzes Leseleben begleitet haben. Benn gehört dazu, aber auch der Amerikaner Cormac McCarthy. Von anderen Pubertätsidolen wie Handke oder Bernhard habe ich mich mittlerweile wieder verabschiedet.

Was lesen Sie, das nichts mit dem Beruf zu tun hat?
Die Schiedsrichter-Zeitung des DFB, den Dachshund (das Publikationsorgan des Deutschen Teckelklubs) und, wenn ich im Urlaub viel Zeit habe, Thomas Mann.

Haben Sie in Ihrer Laufbahn als Kritiker je ein Urteil grundlegend revidieren müssen?
Ich muss tatsächlich gestehen, mich bei einem bestimmten Autor, den ich in jungen Jahren grauenhaft fand, geirrt zu haben. Das ist aber vielleicht auch eine Altersfrage. Trotzdem würde ich keinen der Texte, die ich geschrieben habe, grundsätzlich zurücknehmen. Nur vielleicht etwas abschwächen. Ein Verriss entsteht ja entweder aus Wut oder aus enttäuschter Liebe.

Christoph Schröder, Jahrgang 1973, lebt als freier Autor und Kritiker in Frankfurt am Main. Er arbeitet u. a. für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, den Tagesspiegel und den Deutschlandfunk. Er ist Mitglied der Jury für den Deutschen Buchpreis 2016. Zuletzt erschien Ich pfeife. Aus dem Leben eines Amateurschiedsrichters (Tropen, 2015).

Quelle: VOLLTEXT 3/2016

Online seit: 25. November 2016