Die Leipziger Buchmesse steht an

Von David Schalko. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“

Online seit: 7. April 2023
David Schalko © Nicole Albiez
David Schalko. Foto: Nicole Albiez

Die Leipziger Buchmesse steht an.
Was du nicht sagst.
Österreich ist Gastland.
Österreich ist kein gastliches Land.
Nicht Gastgeber. Gastnehmer.
Im Nehmen sind wir gut. Vermutlich hat man uns eingeladen, weil jemand hofft, dass sich unsereiner erwartungsgemäß schlecht benimmt.
Das unbequeme Österreich.
Wie nennt man Aufmüpfigkeit ohne Anliegen?
Schlechte Manieren.
Oder Neutralität.
Selbst bei der Selbstzerfleischung ist der Österreicher inzwischen vegetarisch geworden.
Eher ein Meister im Schreiben von Sätzen, die gut klingen, aber nichts bedeuten.
Man wird wieder so Sätze hören wie: das wäre in Deutschland nicht möglich.
Der Österreicher war schon immer ein Ermöglicher. Des Undenkbaren.
Ich sage ja: schlechte Manieren. Hier wäre Gendern im Übrigen unangebracht. Die Geschichte der Ermöglicherin liegt noch verschüttet vor uns.
Kommt schon. Kommt schon.
Als Gastland gehört es zum guten Ton, dass alle über den Gastgeber herfallen. Sonst wäre man nicht Gastland, sondern Gast. Ergo muss jeder etwas schreiben.
Fragt sich nur, zu was sich wichtig machen.
Alles schon kolonialisiert.
Aufmerksamkeitskapitalismus. Wer am lautesten schreit, wird am schnellsten exploited – wie der Amerikaner sagt. Und der ist unser Freund. Der will uns ganz. Mit Haut und Haar.
Wir haben noch jedes Anliegen zu Geld gemacht. Nach Woke exploiten wir den Feminismus.
Wird der Russe je wieder Gast sein?
Ist der Sozialismus tot?
Wie nennt man schlechte Manieren mit Anliegen?
Imperialismus?
Am liebsten würde ich über meine Hornhaut schreiben. Da kenne ich mich aus.
Klingt gleich furchtbar metaphorisch.
Stichwort: Dicke, tote Haut.
Kein Thema, das nicht exploited wird.
Geschrieben wird gern, wenn man die eigene Ansicht zu Themen gut in die Sichtbarkeit stellen kann. Wenn ich die Frage schon höre: was ist das Thema?
Die Literatur verschwindet aus den Medien. Nein. Die Literatur verschwindet. Es ist das Zeitalter des Verschwindens.
Diese Jammerei. Zuerst jammern Sie über das Zuviel. Jetzt über das Zuwenig. Das Jammern ist das Grundgeräusch des Lebens.
Das Klagen ist der Ausdruck unserer Existenz. Der Opferfetischismus sucht sich stets neue Wege. Vor allem seit man Jesus endgültig für tot erklärt hat.
Ob die KIs sich eher männlich oder weiblich anfühlen werden?
Gott war immer männlich.
Geschlechtslos.
Männlich. Gottvater.
Die KIs werden vor allem menschlich sein. Gierig, rassistisch, egomanisch. Das macht mir Angst. Dass sie zu menschlich sind.
Doch noch in ein Thema hineingeschlüpft? Vielleicht etwas Autofiktionales?
Das Anekdotische intellektualisieren? Nein danke.
Ein Wort zur FPÖ?
Man kann nicht in seine Kindheit zurück. Auch wenn die Nationalisten das behaupten. Nichts kehrt wieder. Werden Sie erwachsen! Der Gagaismus ist der Zufluchtsort des Kleinkindes.
Zu Österreich fällt einem wirklich nichts Gescheites mehr ein.
Man wächst am Gegner.
Etwas über die Post-Covid Depression?
Allein der Gedanke macht schon müde.
Aber warum sind alle so deprimiert?
Weil alles so weitergeht wie vorher? Die Veränderung findet nicht statt.
Krisen. Krisen. Krisen.
Kein Grund zur Euphorie.
Nichts wird mehr besser.
Selbst die Errungenschaften sind nur noch Gefahr. Ein Dickicht der Lügen. Der Überlebenskampf auf allen Linien. Überforderung. Gemütlichkeit gestrichen. Auf Lebenszeit. Oder doch nur Überempfindlichkeit? Auch ein Symptom für Depression.
Schon wieder Jammerei.
Worüber man nicht jammern kann,
darüber soll man schweigen.
Wie viele Zeichen erfüllen eigentlich die Voraussetzung, um nicht als Hochstapler zu gelten?
Kommen Sie! Ihre Währung ist die Eitelkeit.
Nein. Das Herdengefühl. Ich will auch Land sein.
Also: was sagt die Gastfreundschaft? Sie gilt in beide Richtungen.
Sie sagt: Hofieren Sie uns bitte weiter als die Dunkelkammer Deutschlands. Betrachten Sie uns als Experiment. Wir freuen uns über jede Künstlichkeit. Das Authentische ist unser Feind. Es macht uns klein. Und real. Der Österreicher aber ist eine Kunstfigur. Barock. Eine Erfindung? Nein. Bloß keine Wissenschaft. Ein Glaube. Und missverstehen Sie unsere Brutalität weiterhin als Humor. Wir freuen uns darüber. Und erklären die Bösartigkeit zur Touristenattraktion. Welterbe. Bei uns steht der Tod unter Denkmalschutz. Als hätte er keine Gegenwart. Die Zukunft ist die Vergangenheit. Amen.

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David Schalko, geboren 1973 in Wien, lebt als Autor und Regisseur in Wien. Bekannt wurde er mit revolutionären Fernsehformaten wie der Sendung ohne Namen. Seine Filme und Serien Aufschneider, Braunschlag, Altes Geld, Ich und die Anderen und das Remake von M – eine Stadt sucht einen Mörder wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschienen seine Romane Schwere Knochen und Bad Regina bei Kiepenheuer & Witsch. Am 26.4. wird ebendort der Roman Was der Tag bringt veröffentlicht.

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Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur ist ein Kooperationsprojekt der IG Autorinnen Autoren mit der Stadt Wien und der Zeitschrift VOLLTEXT. Jeden Freitag, bis zum 21. April 2023, erscheint eine neue literarische Erstveröffentlichung eines österreichischen Autors oder einer österreichischen Autorin. Initiiert wurde die Reihe 2021 von Claus Philipp, Gerhard Ruiss und Thomas Keul als Benefizaktion zur Bewältigung der Corona-Krise, seit Frühjahr 2022 wird sie als Beitrag der IG Autorinnen Autoren und der Stadt Wien in der Zeitschrift VOLLTEXT für den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 fortgesetzt. Die komplette Reihe kann unter https://volltext.net/hier-und-heute/ abgerufen werden.