„Untergriffige Töne“

Ein Leserbrief von Bernhard Judex zu Raimund Fellingers Beitrag „Ungenierte Tertiärbiografie“ / Unsere Replik darauf

Online seit: 27. Januar 2016

Sehr geehrte Redaktion,

in der Ausgabe 4/2015 (S. 30-31) Ihrer Zeitschrift lassen Sie Manfred Mittermayers jüngst im Residenz-Verlag erschienene Biografie zu Thomas Bernhard vom Cheflektor des Suhrkamp-Verlags kritisieren. Das ist beachtlich. Denn zumindest in diesem Fall wirkt das beinahe so, als würde der Pressesprecher eines Autokonzerns nach einer Testfahrt den Wagen eines Konkurrenzunternehmens in den Medien herabwürdigen. Was in Automobil-Gazetten freilich nicht geschieht, scheint in einer Literaturzeitschrift, die sich mit Geistesprodukten beschäftigt, möglich.

Sowohl Manfred Mittermayer als auch natürlich Raimund Fellinger sind exzellente Kenner von Bernhards Leben und Werk. Fellingers „Rezension“ geizt vom ersten Satz an mit untergriffigen Tönen nicht. Dadurch eignet ihr der Charakter einer persönlichen Abrechnung. Dies lässt sich aus den Entwicklungen rund um Thomas Bernhards Nachlass und das ehemalige Archiv in Gmunden, wo in den letzten Jahren kostbares Porzellan zerschlagen wurde, zumindest teilweise erklären. Ein sachlicher Umgang mit Thomas Bernhard, seinem Werk und insbesondere seinem Nachlass jenseits von Beleidigungen, Anschuldigungen und verbalen Watschen, wie sie der untersuchte Autor selbst gerne und heftig austeilte, das heißt eine bewusste Distanzierung vom Forschungsobjekt, wäre bereits damals sinnvoll gewesen. So auch in diesem Fall. Si tacuisses philosophus mansisses.

Dass Manfred Mittermayer, der sich seit nicht weniger als 25 Jahren mit Bernhard beschäftigt, in seiner Biografie als Autor zurückhaltend agiert, wie noch der geringste Vorwurf des Rezensenten lautet, ist meines Erachtens genau das Verdienst dieses Buches. Viele andere Besprechungen sehen das genauso. Durch die vielen unterschiedlichen Zitate und Stimmen, die sich teilweise bewusst überlagern und widersprechen – auch das ein Vorwurf Fellingers – , entsteht gerade ein biografisches Mosaik, das in Dichte und Umfang sowohl für mit Bernhard bislang weniger vertraute LeserInnen als auch Bernhard-ExpertInnen gleichermaßen spannend bleibt und sehr wohl Neues zu bieten vermag, wie allein das umfassende Personenregister im Anhang (8 Seiten Kleindruck) vermittelt. Und: Dass Mittermayer der Zugang zu einem Großteil der gesperrten Korrespondenz durch den Erben aus oben angedeuteten Gründen bedauerlicherweise verwehrt geblieben ist, wird man schwerlich ihm selbst anlasten können.

Bernhard Judex

 

 

Sehr geehrter Herr Judex,

Sie schreiben es selber: „Sowohl Manfred Mittermayer als auch natürlich Raimund Fellinger sind exzellente Kenner von Bernhards Leben und Werk.“ Dem einen exzellenten Bernhardkenner steht es wohl zu die Biografie des anderen für misslungen zu halten und das auch zu schreiben. Untergriffig ist es, ihm zu unterstellen, er täte dies nur oder hauptsächlich, weil er bei einem anderen Verlag arbeitet, als dem, wo das Buch erschienen ist. Untergriffig ist es auch, persönliche Motive für eine „Abrechnung“ zu unterstellen, die sich von Ihrer Seite zwar nicht nachweisen, von Seiten des Angegriffenen – das ist das Perfide daran – aber naturgemäß auch nicht widerlegen lassen.

Sie deuten an, dass sich Fellingers „Abrechnung“ aus einer Verstrickung in die „Entwicklungen rund um den Thomas Bernhard Nachlass“ teilweise erklären lassen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Es ist egal, denn selbst wenn Raimund Fellinger für Manfred Mittermayer nur blanken Hass übrig hätte, könnte sein Urteil unabhängig davon zutreffen oder auch nicht. Zu überprüfen ist das anhand von Mittermayers Text, nicht anhand von Fellingers Psyche. Andeutungen und Unterstellungen führen nicht weiter, ebensowenig wie lustige Vergleiche. Dass Sie die Funktion Fellingers als Cheflektor mit der eines Konzernsprechers gleichsetzen, mag Ihnen wie die ganz feine Klinge erscheinen, sagt aber über die realen Verhältnisse nichts aus.

Was die Publikation von Fellingers Beitrag in VOLLTEXT betrifft: Selbstverständlich hat auch ein entschieden negatives Urteil in VOLLTEXT seinen Platz, zumal dann, wenn es von einem ausgewiesenen Kenner stammt. Ich sehe nach wie vor keinen Grund, warum wir Fellingers Text ablehnen hätten sollen. Fragwürdig ist eher, dass Sie es anscheinend für angemessener hielten, wenn solche Meinungen in Kulturzeitschriften unterdrückt würden.

Da Raimund Fellingers Funktion bei Suhrkamp weithin bekannt ist und beim Artikel zudem ausgewiesen wird, sehe ich in möglichen Interessenskonflikten kein Problem. Die gibt es im eng vernetzten Literaturbetrieb praktisch immer in irgendeiner Form, sie sind bloß nicht immer transparent.

Thomas Keul