Beschreibung
MICHAEL BRAUN In Ihrem neuen Werk Stillleben mit Totenkopf hat gleich zu Beginn der Tod einen Auftritt. Ein Erzähler, der sich in der Zentralafrikanischen Republik aufhält, spricht einen Monolog, an dessen Ende es heißt: „Der Weg ist das Ziel der Tod ist ein / dumpfer nein stechender Schmerz in der Brust die / Schutthalde der Philosophie im Rücken die Fata / Morgana der Literatur vor Augen verstorbene / Freunde winken dir zu Komm rüber zu uns!“ Wenn ein Buch einen solche Grundmelodie hat, klingt das, als wäre es ein Abschiedsbuch …
HANS CHRISTOPH BUCH Es ist in gewisser Weise ein Requiem, aber nicht so feierlich und weniger ernst, als es klingt. Ich war wirklich in der Zentralafrikanischen Republik, letzten Sommer, und wurde dort krank. Und habe eine Art Krise erlebt, eine Lebenskrise, die mit den Zuständen dort zusammenhing, aber nicht nur. Es handelt sich um ein extrem armes ausgeplündertes Land mit einem nicht enden wollenden Bürgerkrieg. Davon erzählt dieser Prolog, eigentlich ein langes Gedicht, das ich im Hotelzimmer in einer schlaflosen Nacht niederschrieb. Aber danach geht es ganz anders weiter in meinem neuen Buch.
BRAUN Sprechen wir mal vom Titel, Stillleben mit Totenkopf. Einige Ihrer Werke haben Gemälde oder Bildkunstwerke zum Ausgangspunkt. Ein Stillleben mit Totenkopf gibt es ja auch in der barocken Malerei. Das ist doch ein ganz markantes Signal, wenn man einen solchen Titel wählt.
BUCH Ja, mir gefielen schon die drei „L“ im Titel. Es gibt solche Stillleben mit Totenkopf in der flämischen, holländischen Malerei der Barockzeit, aber auch in der spanischen bei Francisco de Zurbarán. Ein solches Gemälde von Zurbarán ist auf dem Umschlag des Buches zu sehen. Das Vanitas-Motiv ist aber viel älter als dieses Motiv der Kunstgeschichte. Das gab es schon im Mittelalter und noch früher in der christlichen Überlieferung. Und in gewisser Weise ist das Buch ein Rückblick, ein Dialog mit dem Tod, ohne dass darin – wie gesagt – der tragische Aspekt überwiegt.
BRAUN Das vorangegangene Werk hieß Elf Arten, das Eis zu brechen. Dort haben Sie erstmals einen ausführlichen Einblick in Ihre Familiengeschichte ermöglicht. Die Geschichte Ihres Vaters, eines Diplomaten, der u. a. als Generalkonsul in Sydney arbeitete, und Ihres Großvaters, der Apotheker in Haiti war und dort eine Mulattin aus der Oberschicht Haitis heiratete. Stillleben mit Totenkopf setzt diese Erkundung der Herkunft fort. Es führt in die frühe Kindheit, in den Luftkrieg gegen deutsche Städte und spielt zugleich in der Gegenwart des Jahres 2017. Und es bilanziert, was der Schriftsteller Hans Christoph Buch nach fast sechzig Jahren literarischen Publizierens zu sagen hat – eine Art autobiografischer Summa …
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Ich war so überheblich, unerfahren und jung, dass ich dachte: Mir steht der Preis der Gruppe 47 zu.
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Die Faszination durch Gewalt habe ich tatsächlich verspürt. Obwohl ich nicht sadistisch vorprogrammiert bin, stellte ich fest, dass ich enttäuscht war, wenn in einem Kriegsgebiet nichts Spektakuläres passierte.
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Reich-Ranicki und Jens fanden das läppisch und überflüssig, was ich geschrieben hatte. Das war es auch, aber das war Absicht: Ein Versuch, die Leser nicht zu interessieren.
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Wenn draußen in der Welt so viel passiert, muss nicht auch noch die Literatur spannend sein.
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Ich floh aus einer gescheiterten Ehe und vielleicht auch aus einer gescheiterten Schriftstellerexistenz und wollte was ganz anderes machen, solange ich dazu in der Lage war.
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Ja, ich kam aus Tschetschenien zurück und habe zu meiner Mutter gesagt, als sie im Sterben lag: Was Du durchmachst, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich in Tschetschenien gesehen habe. So ähnlich habe ich es gesagt und das bereue ich heute noch.