1. Die flache Welt des Thomas L. Friedman
Liebling, ich glaube, die Welt ist flach, verkündet der amerikanische Journalist und Buchautor Thomas L. Friedman seiner Frau, als er am Anfang des letzten Jahrzehnts von einer Forschungsreise nach Indien zurückkehrt. Er besuchte dort eins der weltweit führenden IT-Unternehmen in Bangalore, wo man ihn in den Konferenzraum führte, ein Gang ins innerste der indischen Outsourcing-Industrie, den Friedman wie eine Epiphanie beim Betreten einer sakralen Kultstätte erinnert: Ein höhlenartiger, holzgetäfelter Raum, der einem stufenförmig aufgebauten Hörsaal in einer juristischen Fakultät einer amerikanischen Eliteuniversität ähnelt. An einem Ende des Raums befand sich ein gigantischer Flachbildschirm, in der Decke waren – für die Videokonferenzen – Kameras eingebaut. Der Anblick des vermutlich größten Bildschirms in ganz Asien gab Friedman die Initialzündung für sein Buch Die Welt ist flach, das schnell zum Weltbestseller avancierte.
Friedmann beschreibt darin, zusammengefasst, die Wirkmechanismen der Globalisierung, die er in drei verschiedene Phasen einteilt: Die erste Phase, Globalisierung 1, lässt er 1492 beginnen, in dem Jahr, als Christoph Kolumbus in See stach und den Handel zwischen der Alten und der Neuen Welt einleitete. Nach Friedman schrumpfte die Welt in dieser Phase von einem riesigen zu einem mittelgroßen Gebilde; die treibenden Kräfte waren darin die Staaten und Regierungen im Kampf um die wirtschaftliche und kulturelle Weltherrschaft. Als Wirkungskräfte der Macht und Machtausbreitung stellt Friedmann hier die physische Potenz ins Zentrum: die Muskeln, die Pferdestärken, die Windkraft und später die Dampfkraft. Ab ca. 1800, im Zuge der industriellen Revolution, schrumpfte die Welt von einem mittelgroßen zu einem kleinen Gebilde; Hauptantriebskraft der Phase Globalisierung 2, die in Friedmans Zeitzählung bis ca. 2000 dauerte und die tiefen Einschnitte der beiden Weltkriege und der Weltwirtschaftskrise erfuhr, waren die transnationalen Konzerne, die global zu agieren begannen – mit Hilfe bahnbrechender technologischer Fortschritte im Hardware-Bereich: von Dampfschiffen und Eisenbahnen bis zu Telefonen und Großrechnern. Im Windschatten der wirtschaftlichen Feldzüge fielen weltweit die Mauern zwischen Systemen, die zuvor kulturell und politisch unvereinbar schienen, die globale Integration – ebenso wie die Abwehrreaktionen, die sie hervorrief – erreichte um 2000 herum ihren vorläufigen Höhepunkt. Waren es also in den vorausgehenden Zeitaltern zuerst vor allem die Staaten und dann die Großunternehmen, die geografische, nationale, kulturelle und insbesondere wirtschaftliche Grenzen verschoben, unterminierten oder aufhoben – eine Entwicklung, die in den Anschlägen des 11. September 2001, quasi als Kollateralschaden, eine neue Form des Krieges, den Terrorismus, auf den Plan rief –, skizziert Friedman zu Beginn des 21. Jahrhunderts nun die dritte Phase der Entwicklung, an deren Höhepunkt wir uns vielleicht gerade aktuell befinden: Globalisierung 3.0. Als neuen Hauptakteur der digitalen Vernetzung der Welt rückt der Autor das Individuum selbst ins Zentrum der Macht. Er führt die Emanzipation des Einzelnen aus der Unmündigkeit seiner geografischen, nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Begrenzungen zum frei agierenden Gestalter seiner eigenen Welt und Weltvorstellung auf einen revolutionären technischen Fortschritt zurück: Die Konvergenz des Personalcomputers (der es jedem Individuum plötzlich ermöglichte, eigene Inhalte im Handumdrehen in digitaler Form zu erstellen) mit dem Glasfaserkabel (das all diese Individuen plötzlich in die Lage versetzte, auf immer mehr digitale Inhalte aus allen Teilen der Welt fast kostenlos zuzugreifen) und der Ausbreitung der Workflow-Software (die es Individuen überall auf der Welt ermöglichte, gemeinsam an denselben digitalen Inhalten zu arbeiten, egal, wie weit sie voneinander entfernt sind). In dieser – heutigen – Phase schrumpft die Welt von einem kleinen zu einem winzigen Gebilde.
Als neuen Hauptakteur der digitalen Vernetzung der Welt rückt Friedman das Individuum selbst ins Zentrum der Macht.
Ob nun das von Friedmann etablierte Bild der zweidimensionalen Bildschirm- und Touchscreenwelt als Gegenstück oder sogar Analogie zum ebenfalls „flachen“, also scheiben- oder schirmförmigen
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