Alfred Döblins Schicksalsreise

Von Norbert Gstrein

Online seit: 1. August 2023

Irgendwo geht übrigens in der Nähe, wie ein richtiger Bauer, der keineswegs entschlafene Heidegger um.
(Alfred Döblin am 25.1.1957 aus einem Sanatorium bei Freiburg)

Die Schicksalsreise von Alfred Döblin ist ein ebenso desperates wie disparates Buch und gleichzeitig eines jener Bücher, bei denen man zögert, ausschließlich streng literarische Maßstäbe anzulegen. Es besteht aus drei sehr unterschiedlichen Teilen. Der erste und gewiss stärkste Teil, überschrieben mit „Europa, ich muß dich lassen“, handelt von der Flucht, die Alfred Döblin mit seiner Frau Erna und dem jüngsten Sohn Stefan im Frühjahr und Sommer 1940 vor den vorrückenden Nazis aus Paris über Südfrankreich, Spanien und Portugal zuerst nach New York und schließlich weiter nach Los Angeles führt. Nach seiner Ankunft dort im Oktober, wo er sich mit einem Vertrag als Drehbuchschreiber in Hollywood ausgestattet sieht, kann er bereits im November vermelden: „In etwa 4 Wochen ist auch fertig die Schilderung meiner Erlebnisse in Frankreich … ein kleines Buch“, was es keineswegs ist, dieser erste Teil, der damals nicht erscheinen konnte, weder vom Umfang noch sonst, aber jedenfalls ein sehr schnell, unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse geschriebenes und mitunter nicht ganz ausgeformtes Gebilde.

Den zweiten Teil, „Amerika“, und den dritten Teil, „Wieder zurück“, schreibt Döblin nach seiner Rückkehr in das befreite Deutschland als „Reedukationsoffizier“ der französischen Besatzungsmacht in Baden-Baden, über zwei Jahre nachdem er dort eingetroffen ist. „Siebzig bin ich jetzt, 1948, ‚unjung und nicht mehr ganz gesund‘, wo ich das Manuskript wieder vornehme …“ Die fünf Exil-Jahre in Amerika hinterlassen bei dem Autor nur einen sehr blassen Eindruck von dem Land, mit nur wenigen konkreten Beobachtungen, und die Stärke dieses Abschnitts liegt am ehesten darin, dass man gerade in der Blässe der Eindrücke eine Ahnung davon bekommt, was das Exil mit jemandem anrichtet, der sich nicht gebraucht und nicht gewollt und mehr und mehr ohne einen Platz auf der Welt fühlt. Denn die amerikanische Realität für Alfred Döblin war, dass er seine Anstellung in Hollywood nach einem Jahr verlor und fortan auf Unterstützung angewiesen war und dass er für seine Manuskripte keinen Verleger mehr fand. Es kommt für ihn einer Auslöschung gleich, nicht nur einer Auslöschung seiner Welt und nicht nur einer Auslöschung seiner selbst, sondern einer Auslöschung der Welt überhaupt. „Lieber Petrus“, schreibt er in dieser Zeit an seinen ältesten Sohn, und der Ton hat im Weiteren etwas Symptomatisches für seine Lage: „… Es ist so: hier passiert garnichts, man ist wie auf einem Dorf, und man weiß nicht recht, was berichten. Eigentlich verläuft jeder Tag monoton wie der andere. Ich vertreibe mir eben die Zeit mit Schreiben; wie du weißt, hat das Schreiben außerdem keinen großen Zweck, wenigstens jetzt.“

Die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, hat auch mit seinem immer deutlicher vorgetragenen Bekenntnis zum christlichen Glauben zu tun.

Scheint Döblin in diesen Jahren alle Lebensgeister verloren zu haben, erfasst ihn nach der Rückkehr nach Deutschland eine regelrechte Umtriebigkeit. Er hat eine Aufgabe, er sieht, was zu