Terror ist seinem Wesen nach abstrakt. Die Täter sind kaum greifbar, jeder kann überall zum Opfer werden. Doch die Bedrohung ist vage und gespenstisch, weswegen es ratsam ist, ihr nur eine bedingte, bestenfalls keine Bedeutung im Alltag zu geben. Das Gegenteil gilt für die staatliche Terrorabwehr westlicher Nationen, die seit 9/11, dem traumatischen Bruch mit einem im globalen Süden längst verabschiedeten bedingungslosen Sicherheitsgefühl, auf Hochtouren läuft. Auch in diesem Augenblick, so ist zu vermuten, tagen Bundeskriminalamt und Ministerium für Inneres über unsere Sicherheit, werten riesige Datenmengen aus abgehörten Gesprächen und gescannten Computern aus, entscheiden darüber, die Grundrechte Einzelner zugunsten der Sicherheit Vieler einzuschränken.
Paul Jost, die Hautfigur in Punktlandung, ist einer dieser Entscheider. Als Jurist ist er im Innenministerium, Abteilung Innere Sicherheit, für ein Aussteigerprogramm für Islamisten zuständig. Als Ute-Christine Krupp 2001 zum Ingeborg-Bachmann-Preis antrat, fühlte sich die Jury aufgrund des allegorischen Charakters ihrer Figuren „zum Ostereiersuchen geschickt“. In Punktlandung kann davon keine Rede sein. Jost ist eine Durchschnittsfigur. Krupp hat ihn so gekonnt mit Attributen des Berliner Bürokratentums ausgestattet, dass er wie die staatsdienstlich angestrichene Variante der berühmten grauen Herren in Michael Endes Momo erscheint. Dezente Anzüge mit abgestimmten Karo-Krawatten, gemütlich hervorstehender Bauch, kalkulierte Gesten und das Credo „Man soll den Tag nicht vor der Tagesschau loben“.
Als Informationen über einen geplanten Anschlag auf den Reichstag eingehen, bekommt Jost die Chance zum beruflichen Aufstieg. In leitender Funktion steht er „Komet“ vor, einem in aller Eile gebildeten Krisenstab mit dem Ziel, den geplanten Splitterbombenanschlag zu verhindern. Präventiven Ermittlungen ist ein unauflösbares Paradox zu eigen. Sie müssen jetzt schon vereiteln, was sich erst noch ereignen könnte, einen Attentäter finden, bevor er straffällig geworden ist. Jost erhält mit dem neuen Posten Spielräume, die ihn notwendigerweise in rechtliche Grauzonen tragen. Das Abhören privater Gespräche, Wohnungs- und Onlinedurchsuchungen kann er ohne richterlichen Beschluss anordnen, wovon er im Verlauf des Romans Gebrauch macht.
Die Geschichte zielt aber weniger auf die Ermittlungen als auf die Skrupel, die der Beamte angesichts seiner weitgehenden Befugnisse empfindet. Anti-Terror-Maßnahmen können Gefahr laufen, bürgerliche Grundfreiheiten zu unterminieren. Dieses juristisch-moralische Dilemma ist ein ergiebiges Thema nicht nur in der Rechtswissenschaft. Gerade, weil es hier um Grauzonen, um eine Hermeneutik des Verdachts geht, eignet sich die Literatur bestens dafür, davon zu erzählen.
Leider verbleibt die Oppositionssemantik des Romans an der Oberfläche der Begriffe Freiheit und Sicherheit. Wenn etwa die Erzählstimme Seite um Seite Josts unplausibel didaktische Gedankenführung wiedergibt: „Habe ich nicht Jura studiert, um die Freiheitsrechte zu wahren, die Grundrechte des Einzelnen zu schützen? Und ist die Unschuldsvermutung nicht eine Basis des Grundgesetzes?“ Ist sie. Genauso wie es eine staatliche Pflicht zur Herstellung von Sicherheit gibt. Der Zweifel ist ein notwendiges Korrektiv, man wünscht ihn sich für jeden Ministerialmitarbeiter, der die grausame Entscheidungsmacht darüber hat, das Private für den Staat durchlässig zu machen.
Die literarische Auffächerung des Zweifels als Lebensprinzip Paul Josts geht weit über den Bereich der Arbeit hinaus und zeigt den Beamten auch als Lamentierer im Privaten. War es richtig, sich von der langweilig gewordenen Ehefrau zu trennen? Sein bisheriges Leben, „gemeinsame Wohnung, Ministerium, Schule, Fitnessstudio, Schwiegereltern oder Museen am Sonntag“, ist er gerne losgeworden. Die Kinder besuchen ihn jedes zweite Wochenende, jedes erste trifft er Frauen, die er im Internet kennengelernt hat. Sollte er mehr genießen, mehr im Jetzt leben, einen anderen Beruf finden? Diese nahezu pathologische Midlife-Crisis des Protagonisten ist ein durchgängiges Motiv des Romans. Der Ersatz einer älteren durch einige jüngere Frauen, das Vorziehen der Karriere gegenüber den Kindern, mag ein überaus realistischer Referenzrahmen für die Lebenslangeweile eines Mittvierzigers sein, als literarisches Motiv überzeugt das nicht.
Paul Jost ist aber auch eine Ermittlerfigur. Da der islamistische Terrorismus in diesem Buch wenig beleuchtet wird und eher in seiner Funktion als vages Bedrohungspotenzial von Interesse ist, mag man sagen, Jost stehe für den glühenden Kampf gegen das Böse. Dass der konkrete Fall, das scheinbar bevorstehende Attentat, immer wieder zugunsten der Schilderung psychischer Vorgänge des angeknacksten Ermittlers in den Hintergrund tritt, ist eine bekannte literarische Technik des modernen Krimis, nahezu perfektioniert von Henning Mankell bei seinem Anti-Helden Wallander. Diesen Stil in das Romangenre zu überführen und dabei den Ermittler aus seinem natürlichen Biotop, dem Revier, den Verhören und Verfolgungsjagden in die graue Realität deutscher Behörden zu versetzen, ist eine kluge Entscheidung Krupps. Im Bild des Aktenverwalters als Lebensretter bekommt die Figur Jost auf diese Weise eine antipathetische Wende.
Auf stilistischer Ebene kann die Sprache mit diesem Transfer mithalten, sie ist so sperrig wie die Paragrafen und Aktennotizen es wohl sein mögen. Kurze Sätze, reich an Ausrufezeichen und den für die deutsche Sprache typischen Endlos-Komposita wie „Gefahrenstufenplan“ und „Entscheidungsbefugnisse“ finden für den Terrorabwehrapparat eine gelungen bürokratische Entsprechung. Doch eine psychologische Tiefe, für die sich die Erzählperspektive mit Innensicht als organisatorisches Prinzip des Textes eignen würde, stellt sich nicht ein. Die Hauptfigur, deren Lebensproblematik eine mediokre Midlife-Crisis und eine kleine Portion Zweifel angesichts der machtvollen beruflichen Position ist, bleibt blass. Natürlich lässt sich einwenden, dass diese ausgestellte Oberflächlichkeit selbst ein literarischer Kniff ist, der den Bürokraten-Charakter geschickt herausarbeitet. Dass in diesem Fall ausgerechnet ein Entscheidungsträger mit wenig Moral, aber viel moralischer Rhetorik tiefgreifende Einschnitte in die Privatsphäre Anderer anordnen kann, ist ein unheimliches Motiv, das nachhallt.
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