Musste der Roman Punktlandung von Ute-Christine Krupp mit dem Satz „Das deutsche Parlament in die Luft sprengen?“ seinen Anfang nehmen, hätte sie nicht besser mit den früh im Buch platzierten Gedanken von Paul Jost „Mein Vater hat mich nie ernst genommen, dachte er und fragte sich, was er tun könnte, um das zu ändern? “ beginnen können, dann erst den jetzt ersten Satz anschliessen?
Möglicherweise liegt die Falle in der Schreckhaftigkeit der heutigen Zeit zu glauben, der Roman Punktlandung würde vor allem den Terrorismus und die anverwandten Themen verhandeln. Terrorismus, Religion, Kultur und neue Kriegsführung werden, leider, lehrmeisterhaft und verteilt über 159 Seiten, wie Apéro Häppchen bei Small Talk gereicht, was ein weiteres Indiz für die inhaltliche Nebenrolle der Thematik ist, aber notwendig für die Dramaturgie.
Punktlandung ist ein deutscher Roman mit dem zentralen Thema einer Vater-Sohn Beziehung, die vom Echo einer Kriegsgeneration bestimmt ist. „Halte durch, würde sein Vater sagen. Halte durch, sagte schon der Großvater. Der hatte im Schützengraben gekämpft.“ Josts ständige Begleiter sind die Ansprüche und gleichzeitige Ablehnung seines Vaters an ihn. Jost lebt längstens mit seinem eigenen inneren Terror. Aufgewachsen ist Paul Jost in einer gutsituierten, westdeutschen Familie in Bonn, die ihn anhaltend mit der Karamellcreme in kleinen weissen Schalen verfolgt. Nur weg wollte er und wie viele andere seiner Generation zog auch er nach der Wende in die Stadt, mit der er grösstmögliche Hoffnung verband, Berlin. Mittlerweile arbeitet er als Beamter im Innenministerium und wird von seinem Vorgesetzten Giese mit dem Satz „Ab sofort werden Sie bei der Fahndung nach Terroristen eingesetzt! “ zum Mitglied des Krisenstabes zur Terrorabwehr berufen, als bekannt wird, dass terroristische Zellen Anschläge in Deutschland planen. Dieser Umstand unterstützt seine Entscheidung mehr aus seinem Leben zu machen, die er im Arbeitszimmer der ehelichen Wohnung trifft, bevor er sich endgültig von seiner Frau Gesine trennt und in eine Wohnung in Berlin Mitte zieht. Mehr und mehr gerät er in seiner neuen beruflichen Position im Sonderkommando der Terrorbekämpfung mit seinen einstigen Idealen von Freiheit und Wahrung der Grundrechte in Konflikt. Je mehr er gebetsmühlenartig über die Bedeutung juristischer Grundsätze und Wahrung der Freiheit referiert, umso mehr schwindet seine Glaubwürdigkeit. Seine Argumente treten in die Funktion der Rechtfertigung für sein Handeln.
Währenddessen er Entscheidungen darüber fällen muss, wer überwacht wird, dabei weiter reichlich mit juristischem Wissen kommentiert, ab und an von seiner Tochter angerufen und von seinen Kindern besucht wird, sucht und findet er nach einigen Erfahrungen mit Internetbekanntschaften schlussendlich eine neue Partnerin. Eine passendere Frau, die, nicht wie Gesine vor seinen Eltern verheimlichen musste, dass sie kein Abitur hat. Die neue Freundin entspricht sicher den elterlichen Erwartungen, pflegt einen erfolgreichen und unabhängigen Lifestyle, der selbst der Stellung unter dem Bundesadler standhält. Keine nicht berufstätige Hausfrau, keine unliebsamen Nachbarn, keine Namenschilder, nur Nummern. Die Kinder nicht jedes Wochenende, dafür Spätsommer im illustren Brüssel.
Ute-Christine Krupp schreibt über einen nur scheinbar harmlosen Charakter, dem das Lamentieren dazu verhilft, seine Entscheidung für restriktivere Überwachung zu rechtfertigen und der aufgrund der Charakterlosigkeit seine wirklichen Absichten vor anderen verschleiern kann: der smarte Weg zur Macht!
Die Autorin wählt über weite Strecken des Romans einen Newsticker Stil. Der Text bleibt dadurch in der Distanz einer Berichterstattung und fordert beim Lesen zuweilen Disziplin. Im Einsatz der Wörter ist ihre Vergangenheit als Lyrikerin zu erkennen, beispielsweise setzt sie das Wort „gleiten“ oft und bewusst, vor allem im Zusammenhang mit dem Handy ein. Vielleicht hat sie auch in der Wahl des Namens Jan Winkler für den Journalisten Jan Wagner mit Ron Winkler vereint, eine kleine Reminiszenz an die Lyrik? Schön wäre es.
Gäbe es keine schnitzelfressende Katze, kein Treffen zweier Paare in einem Café in Brüssel und keine letzte, komplizenhafte Geste von Giese zu Jost, – dann hätte Paul Jost in den Augen seines Vaters es zu nichts gebracht und würde heute nicht zu jenen gehören, wie einst Gesine zu ihm sagte: „Wir gehören zu denen, die es geschafft haben.“ Uns das zu vermitteln ist Ute-Christine Krupp gelungen.
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