mit geliehener zunge.

Von Franz Josef Czernin
„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil XX

Online seit: 2. Juli 2021
Franz Josef Czernin
Franz Josef Czernin

 

paradise lost (al fresco)

an manche wand sich malt hier ein gesicht,
so nass gewillt zum träufelskreis;
scheineilig hand am farbgerinnsel,
drin selbst bin licht- und perlenschweiss.

akt für akt intrinsisch erbverb bannt,
im bild- und wundersamen strahlt,
harmonisch warm, mir sinn- und einfallsinsel,
dass eilandsheil sich der bereich verheisst.

doch fällt es in den arm, nein aus dem rahmen,
brutaler fakt, krass blutig der verweis:

wir sehn nur einen nackten einfaltspinsel.

 

aprikosen

dies bonbon ist zwei mal gut,
doch iterativ auch sehr von übel:
denn bald spie gel um gel; latin bin,
also reflexiv das klebe-, lebensnasse;
die glucosen, ja zum kosen oder kotzen,
latrin zum überdruss. mir vis a vis und wie
fallibel gewahr war in dacapoposen.
sie spiegeln süss wie widerlich das krasse
in die tiefe schicht: mir bin barbar,
daher im arschgesicht mein doubledu;
im selben kübel sind die dext-, textrosen,
die grimasse muss den überdosen trotzen.

das konvolut bin ich, der musensohn, und du
mein bibelalibi, die infinite klonperson.

 

opera

im einsamen oval und ozeanisch
viel gebraus, sehr ungestalt und anonym;
bald horchideen und vogel-, blumenschall,
die küste dann, über höhn die planetarien.
noch ungestüm, was sich da hasste, küsste,
bis orchestral gemeinsam vor-, nachahmen,
kostümverliehn mir viel gehalt verpasste:
sinngewalt im vollen saal, die arkanarie,
organen graus ganz aus dem leib geschrien,
im orgelschwall fast bis zum eigennumen, -namen.

applausorkan. doch wars wohl larifari;
im areal liegt nur die büste ungetüm.

der kanarie ist längst ausser allem haus.

 

omnia sua secum portat

ja, aller ort ist abgegriffen,
wie auch jedes andere wort,
so meint es auch der münzer;
vitalelan, roboten im akkord,
das eint uns im sozialorgan.
es hat sich so viel abgeschliffen.
was uns trägt, ist längst geboten,
ja das geld klingt in der kassa.
kollegial mit allem bin an bord,
denn der ozean ist eingeprägt
und andrerseits der sinntransport.
was blinkt, fällt nun ins wasser,
und der verfasser in den wein

und der ist auch der winzer.

 

album

doch als mich blank hier weiss, ein blatt
ist gleich gelöscht, da die als-ob-szene
als urspur zieht den kreis: synchronisch
alphabeten und auch -betten, nota bene
im arealen. der primatentakt, und wir
verschaukeln uns als amoretten; ja albern
ist der schwank, da das obszöne als albraum
krasser leichen uns entfuhr: der akt dual,
und chtonisch daher meine liegestatt,
da atemoral und atemporal vorgaukeln.

nein, nichts ist sakrosankt: auch der zensur
viel dank und preis. denn diese scham-,
schaumschöne, die ist pur, und seis in ketten:
ein wasserzeichen, das sich selbst rein wäscht.

 

palimpsest

so zelebriert es, ob latent, ob manifest,
unter der hand vermessen auch hostil,
doch aufgedeckt liegts kaum am tisch;
es wiegt nicht viel der zuckerguss,
noch, schroff benannt, der zuckgenuss:
ja, dort, im essens- und im leibesfest,
war aspirant und bloss kandierter daten.

als es am ort sich wendet eklatant,
totale kandidaten waren. denn stoff
erst generiert exzess, der zoff den überfluss
auch im mortalen rest: die tatessenz
wird transparent als ein gemisch geschmeckt
in der wortspende: so offeriert, der wisch
am ende muss nichts mehr verraten.

 

no way out, nietzsche!

die aversion durch jede fassung spürte,
da diese kaum vorm kult, dem reim, bewahrt,
vor sternikone, tricks und takttraktat;
bloss normenschuld täuscht vor der pakt,
da mich, als formenpart, keusch herzierte,
ja mit glücks- und fixideen herzitierte.

vom angelpunkt jedoch der anglophone akt
in den tumult; durchs art- und fahrtgeräusch
insult im halbverdauten trakt; brutaler
fakt im kakophonen, als in intimen kicks,
im innenmix uns widerkauten: es passiert,
ja paart dies auch per keimkontakt, da mich,

durch solche selbstauslassung, ins duale klone,
ob in die zeuge- oder todeszone.

 

natura morte

was soll der plunder in der kammer,
das invalide winken mit vergeichen?
unter trauer klopf- und kellerzeichen,
durch exegesen wird der tisch nicht runder.

der schauer wird im rahmen immer klammer,
was wir auch lesen aus den tellerleichen.
auf dauer aus, nach den prothesen kramen,
als wär mein hinken dann profunder.

der jammer: käse lässt sich nicht mehr streichen,
denn der fisch von unserm kopf muss stinken,
woher auch kamen und wohin verwesen.

was wunder nahmen, wird allein nur blauer.

 

autograph

zuerst der schwanz, sein wedeln mit dem hund;
dann ein balg aus flecken, ja sehr roten.
um einen oder anderen schlund der bart:
vernarrt und schalk bist, zum erschrecken.

am zähneblecken warst, am lippenlecken,
da beinhart zoten ziehn, an deinen strippen;
das kleid zerriss sich, dir gabst pfoten,
beknurrst das narrativ von liebesdurst

und gliederglanz. dein popanz, halbfiktiv
gerippetanz, voll wut vor notenschädeln;
dein letztes haar musst fädeln jederzeit
in den toten kranz; doch, ums verrecken,

nichts blieb zu veredeln übrig: egal, ob angst,
ob schiss, ob blut, ob hans und wurst:
mein mund biss nur in meinen eignen franz.

 

 

Franz Josef Czernin, Schriftsteller, Publikationen, vor allem von Gedichten, Aphorismen und Essays seit 1978. Zuletzt erschienen: zungenenglisch. visionen, varianten (Gedichte), Hanser-Verlag, München 2014. Beginnt ein Staubkorn sich zu drehn. Ornamente, Metamorphosen und andere Versuche. (Essays). Brüterich-Press, Berlin, 2015. Der goldene Schlüssel und andere Verwandlungen, Matthes & Seitz, Berlin 2018. Das andere Schloss. Zu Märchen Grimms, Verwandlungen und anderen Dingen, Matthes & Seitz, Berlin 2018. reisen, auch winterlich (Gedichte), Hanser-Verlag, München 2019.

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„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gerhard Ruiss, Thomas Keul und Claus Philipp und den beitragenden Autorinnen und Autoren. Die Texte der Serie erscheinen wöchentlich, jeweils am Freitag, und können auch als Newsletter abonniert werden. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” wurde auf Initiative von Claus Philipp durch Spenden für den Lesemarathon Die Pest von Albert Camus des Wiener Rabenhof Theaters und des ORF-Hörfunksenders FM4 im Frühjahr 2020 ermöglicht. Die Reihe wird von der Stadt Wien aus Mitteln der Literaturförderung unterstützt.