„Gott ist ein Ingenieur“

Ernst-Wilhelm Händler im Gespräch mit Andreas Puff-Trojan über seinen neuen Roman Der Überlebende.

Online seit: 10. Februar 2022

VOLLTEXT In Ihrem neuen Roman findet man erstaunliche Sätze wie „Der Schöpfer ist der allein Existierende, alles andere Daseiende ist das Werk seines Willens und Wortes. Schöpfer bedeutet: Creator ex nihilo.“ Das ist doch philosophische Theologie in Reinform?

ERNST-WILHELM HÄNDLER Warum sollte es im Roman nicht auch um Letzte Dinge gehen? Romane über vorletzte Dinge gibt es genug. Die Hauptperson des Romans ist ein Ingenieur, der keinen Zugang zu Philosophie oder Theologie hat. Aber auch ohne den entsprechenden Hintergrund stellt er philosophische Fragen: Welche ist die Stellung des Menschen im Universum? Wie ist der Mensch das geworden, was er ist, was wird aus ihm?

VOLLTEXT Die „creatio ex nihilo“ zielt auf den Schöpfergott, der buchstäblich aus dem Nichts das Universum, die Welt, die belebte Natur, den Menschen erschaffen hat. Diese Gedankenposition hat ihre Tücken. Denn, wenn Gott aus dem Nichts etwas, ja, alles erschaffen hat, dann ist das Nichts nicht nichts! Als theologische, aber auch als kosmologische Spekulation begegnet man diesem Nichts doch auch in Ihrem Roman?

HÄNDLER Die Physik zeigt ziemlich überzeugend, dass es das reine Nichts nicht gibt. Unser Universum ist nicht aus dem Nichts entstanden, da war schon etwas. Gegenüber dem Wunder des Universums ist das, was vorher da war, allerdings vergleichsweise nichts. Dasselbe gilt für jedes technische Produkt. Es besteht immer aus Komponenten, die schon da waren. Was sind schon die einzelnen Komponenten des Produkts? Gott ist ein Ingenieur! Das Nichts gibt es doch: Das ist die Welt ohne den göttlichen oder den technischen Entwurf. Aber der Entwurf muss Wirklichkeit werden. Gott ist kein Naturwissenschaftler. Die Naturwissenschaftler betrachten nur, ihre Entwürfe werden nicht Wirklichkeit. Die Frau meines Ingenieurs ist Künstlerin, sie webt Gobelins. Er interessiert sich nicht für ihre, sie nicht für seine Arbeit. Aber die beiden verbindet, dass sie etwas Materielles herstellen. Gott ist auch Künstler.

Ich glaube, dass das Böse keine altmodische oder überflüssige
Kategorie ist.

VOLLTEXT Das obige Zitat stammt nicht von der Hauptfigur Ihres Romans, sondern kommt aus dem Mund einer wichtigen Nebenfigur mit Namen Grenzfurtner. Er ist eigentlich Pfarrer, aber arbeitet als Vorstandsmitglied beim Hightech-Unternehmen D’Wolf. Ein Geistlicher als Top-Manager? Haben Sie da als Autor Ihrer schöpferischen Fantasie freien Lauf gelassen?

HÄNDLER Aber gar nicht. Ich habe sogar noch untertrieben, Pfarrer Grenzfurtner ist lediglich Chief Compliance Officer. Ein ordinierter Geistlicher der anglikanischen Kirche ist Vorgänger des aktuellen CEO der britischen HSBC gewesen, der größten europäischen Bank. Pfarrer Grenzfurtners Gott ist ein protestantischer, kein katholischer Gott.

VOLLTEXT Ihr Romanheld und Ich-Erzähler ist Ingenieur bei D’Wolf. Er unterhält ein halb geduldetes, im Geheimen gefördertes Roboter-Labor. Damit ist auch er Schöpfer. Ist er ein Gott im Kleinen?

HÄNDLER Wenn sich der Ingenieur mit Gott vergleicht, dann ist das aus seiner Sicht