Die beknackte Partei

Rezension zu Laura Lichtblau: Schwarzpulver. Von Ursula Engel
Dieser Beitrag entstand im Zusammenhang mit dem Seminar „Literatur- und Kulturkritik schreiben“.

Online seit: 31. Oktober 2022

Die gegenwärtige gesellschaftliche Krise begünstigt offenbar die literarische Dystopie, als letztes ist jedenfalls Sibylle Bergs Brainfuck (2019) vor noch nicht allzu langer Zeit erschienen. Welche Problematik thematisiert nun Laura Lichtblaus Roman Schwarzpulver (Beck, München, 2020)? Obwohl die Charakterisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine nicht weiter begründete Auflistung von Dingen, die die „Partei“ ablehnt, eher trivial bleibt, wird dennoch überzeugend das erschreckend düstere Bild einer von einer populistischen, bzw. diktatorischen Partei geführten Gesellschaft geschildert. Es werden dadurch Ängste spürbar, die zur Zeit in Deutschland das Gruseln lehren können. Beschrieben wird ein rassistisches, homophobes und frauenfeindliches Regime. „Wie kommt es, dass diese beknackte Partei hier regiert?“ fragt sich Johanna im Roman ratlos. Eine Frage, die sich unabweisbar aufdrängt, aber in Schwarzpulver nicht zum Thema wird.

Lichtblau beschreibt abwechselnd episodenhaft jeweils einen von drei Protagonisten in kurzen Kapiteln. Der Gesamtzusammenhang droht dadurch manchmal verloren zu gehen. Es eint alle drei, dass sie langsam immer stärker am Regime zweifeln. Auch durch die Beschreibung diffuser Tumulte wird die Krisenhaftigkeit des Regimes deutlich gemacht. Es geht um Charlie, der symbiotisch verbunden ist mit seiner Mutter Charlotte, von der er sich zu emanzipieren versucht. Er kifft und arbeitet als unbezahlter Praktikant bei einem Rap-Label, ersehnt aber eine Karriere als Hip-Hopper. Die Mutter, Charlotte, hat ihre Arbeit als Keramikerin, sowie auch die Beziehung zu ihrem Mann aufgegeben und arbeitet als Präzisionsschützin für die Bürgerwehr und ist damit vorbehaltlos identifiziert. Sie hält sich mit viel Alkohol und täglichen Mispel-Spritzen aufrecht, landet aber schließlich mit unklarer Diagnose in der Psychiatrie. Die psychische Dramatik dieser Situation wird nicht entfaltet. Burschi, eine weitere junge Frau, arbeitet als Gesellschafterin eines alten Ehepaares, aus dessen Haushalt sie Gegenstände stiehlt, um sich durch deren Verkauf zu bereichern. Burschis Geschichte bildet am ehesten einen zusammenhängenden Plot: sie hat eine Geliebte, kann sich aber, weil das Regime lesbische Liebe verboten hat, mit ihr nur heimlich treffen. Sie wird dann vom Amt für Staatsmoral vorgeladen, dessen primitive Auffassung von Homosexualität Lichtblau karikierend deutlich werden lässt. Das Ende des Romans bildet eine zärtliche Annäherung der Liebenden, die Hoffnung symbolisiert. Ihre Beziehung wird aber nicht psychologisch ergründet.

Der Roman nimmt keine empathische Haltung zu seinen Figuren ein, vermittelt dadurch eher eine kalte und düstere Stimmung. Er macht Angst und Schreck fühlbar. Dennoch ist er lebendig geschrieben mit vielen fantasievollen, originellen Bildern, und man kann sich einen kohärenteren Text verschaffen, indem man die vielen kleinen Kapitel, die von derselben Person handeln, aneinanderreiht.

Lichtblaus Dystopie rückt viele gegenwärtige Probleme ins Bewusstsein. Ob sie allerdings Anhänger einer rassistischen, homophoben und frauenfeindlichen Partei zum Nachdenken bringen könnte, ist fraglich. Wie eine „beknackte“ Partei an die Macht kommt, bleibt nicht nur für die Romanfigur Johanna eine beunruhigende Frage.

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