Liebe Frau B., heute möchte ich Ihnen gleich sechs umfangreiche Bücher zur Lektüre vorschlagen. Fühlen Sie sich in der Stimmung, diese Vorschläge entgegenzunehmen?
Lieber Herr K., solange Sie mir nicht den Briefwechsel zwischen den Herren Schmidt und Wollschläger über Karl May nahebringen wollen, höre ich mir Ihren Vorschlag gerne an. Obwohl: Bei sechs Bänden, fürchte ich, überschätzen Sie meine Lektürekapazitäten als Ärztin dramatisch.
Liebe Frau B., da Sie mir das Wort über Arno Schmidt wieder abschneiden, werde ich über diese beiden Autoren den Mund halten. Sagen muss ich aber, dass es um Karl May zwischen den beiden nur am Rande geht. Solange Sie sich nur an Karl May stören und nicht daran, dass ich Ihnen das letzte Mal einen Briefwechsel zur Lektüre vorgeschlagen habe, werden Sie auch nichts dagegen haben, wenn ich Ihnen heute als Erstes einen Band mit Gesprächen empfehle. Die simple Wahrheit besteht darin, dass die Nachkriegsliteratur schon erschienen ist und logischerweise nicht mehr erscheinen kann – und in der Konsequenz bedeutet das, der Kontakt zur Nachkriegsliteratur wird heute vor allem durch Publikationen von Materialien aus dem Umkreis der Nachkriegsautoren aufrechterhalten: mit Briefen, Interviews und gelegentlich Bänden aus kommentierten Werkausgaben. Am Bild der Autoren werden Präzisierungen und zeitgemäße Retuschen vorgenommen, und es ist gut, dass diese Materialsammlungen veröffentlicht werden. Eine solche Sammlung stellen die Gespräche mit Wolfgang Koeppen als Band 16 in einer neuen Werkausgabe dar. Diese Gespräche können als Übungen in der Kunst der Selbsterhaltung im Literaturbetrieb in höchster Vollendung gelesen werden.
Koeppens Werk war im Prinzip geschrieben, bevor er das erste Mikrophon vor den Mund gehalten bekam.
Lieber Herr K., dass Sie mir heute und in naher Zukunft keinen Liebesroman vorschlagen, darauf habe ich mich eingestellt. Aber was meinen Sie mit Selbsterhaltung, und sind diese Gespräche wenigstens anregend zu lesen oder verkrallt sich Koeppen auch in lauter quälend zu lesenden Nebensächlichkeiten?
– Schwierig zu beantwortende Frage. Koeppen stilisiert sich zu einer Nebenfigur in eigener Sache. Sein Werk war im Prinzip geschrieben, bevor er das erste Mikrophon vor den Mund gehalten bekam und bevor Johnson, Grass und auch Siegfried Lenz ihre ersten wichtigen Werke schrieben und publizierten. Als diese Autoren die Nachriegsliteratur schufen, war Wolfgang Koeppen eigentlich hauptsächlich mit der Pflege von schüchtern ausgebreiteten Legenden über sich beschäftigt – und wurde damit zu einer wichtigen Figur.
– Ein Autor, der durch Legendenbildung seine Wichtigkeit untermauert und sich halten kann, hört sich verlockend an. Erfährt man in dem Gesprächeband Näheres darüber?
– Oh ja, die Gespräche waren ein wichtiges Medium bei seiner Karriere nach seiner Schreibkarriere. Ein Beispiel: 1972 wird er gefragt, ob sich sein neuer Roman wieder „mit Deutschland, mit der Situation in Deutschland beschäftigen würde“. Darauf Koeppen: „Er versucht sich mit Deutschland zu beschäftigen. (Der Roman, K.S.) spielt in Washington, und es ist gar nicht mal das Washington, das ich gesehen und besucht habe, es ist ein imaginäres Washington, wie das Amerika Kafkas. Es sind aber Leute deutscher Herkunft als Personen in dem Roman …“
Diese Romanankündigung klingt doch gut – oder?
Reich-Ranicki wollte Wolfgang Koeppen in den 1960er-Jahren als Gegenfigur zum katholischen Heinrich Böll aufbauen und dessen Bedeutung zurückdrängen.
– Das ist doch eine Fangfrage, aber ich beantworte die Frage dennoch: An dem Roman bin ich mehr interessiert als an dem Band mit Gesprächen und Interviews.
– Genau! Ich würde diesen Roman auch gerne lesen, sehr gerne sogar. Das Problem: Es gibt diesen Roman nicht, hat ihn nie gegeben. Koeppen sprach im vollen Ernst und detailreich über einen Roman, von dem er wusste, dass er ihn nicht geschrieben hat. Daran ist jetzt nicht die lange Zeit diskutierte Frage interessant, wie ein Autor vom Format Wolfgang Koeppens seine Schreibfähigkeit habe verlieren
Dieser Beitrag ist nur für Abonnenten zugänglich. Bitte melden Sie sich in Ihrem Konto an, oder wählen Sie eines der drei unten stehenden Abos, um sofort weiterzulesen.
Das erfolgreichste, weil intellektuell beweglichste Literaturblatt unserer Tage*
– für den Preis von einem Espresso im Monat.
Förder-Abo
€ 9,00 / Monat
(Mindestlaufzeit: 12 Monate)
- Zugang zu allen Online-Beiträgen
- Printausgabe (4 Hefte / Jahr)
- E-Paper-Ausgabe (4 Hefte / Jahr)
- 300+ Online-Beiträge / Jahr
- Online-Leseproben und Vorabdrucke
- Zugang zu E-Paper-Ausgaben im Archiv
- Zugang zu ca. 2000 Beiträgen im Archiv
- Tägliche Presseschau
- Newsletter
- Novitäten-Telegramm
- Preis-Telegramm
- Ausschreibungen
- Ausgewählte VOLLTEXT E-Books
- Ausgewählte VOLLTEXT Specials
Digital
€ 2,00 / Monat
(Mindestlaufzeit: 12 Monate)
- Zugang zu allen Online-Beiträgen
- E-Paper-Ausgabe (4 Hefte / Jahr)
- 300+ Online-Beiträge / Jahr
- Online-Leseproben und Vorabdrucke
- Zugang zu E-Paper-Ausgaben im Archiv
- Zugang zu ca. 2000 Beiträgen im Archiv
- Tägliche Presseschau
- Newsletter
- Novitäten-Telegramm
- Preis-Telegramm
- Ausschreibungen
Print & Digital
€ 3,00 / Monat
(Mindestlaufzeit: 12 Monate)
- Zugang zu allen Online-Beiträgen
- Printausgabe (4 Hefte / Jahr)
- E-Paper-Ausgabe (4 Hefte / Jahr)
- 300+ Online-Beiträge / Jahr
- Online-Leseproben und Vorabdrucke
- Zugang zu E-Paper-Ausgaben im Archiv
- Zugang zu ca. 2000 Beiträgen im Archiv
- Tägliche Presseschau
- Newsletter
- Novitäten-Telegramm
- Preis-Telegramm
- Ausschreibungen
* Saarländischer Rundfunk
FAQ
Wie kann ich ein VOLLTEXT-Abonnement verschenken?
Sie können alle VOLLTEXT-Abonnements befristet oder unbefristet verschenken. Die Mindestlaufzeit beträgt ein Jahr. Danach kann das Abonnement auslaufen oder wahlweise durch die Schenkenden oder die Beschenkten verlängert werden.
–> Bestellinformationen
Was sind E-Paper-Ausgaben?
E-Paper-Ausgaben entsprechen 1:1 der gedruckten Zeitschrift. Abonnenten erhalten nicht nur Zugriff auf die jeweils aktuelle Ausgabe, sondern auch auf ältere Hefte im Archiv (gegenwärtig alle Ausgaben seit 2016).
Gibt es Kündigungsfristen?
Nein, Sie können das Abonnement jederzeit formlos per E-Mail oder Post kündigen.
Ich bin bereits Abonnent der Printausgabe und möchte Zugang zu den Online-Beiträgen, wie komme ich dazu?
Wenn Sie bereits über ein Online-Konto auf Volltext.net verfügen, können Sie mit Ihrem bisherigen Passwort auf die Beiträge hinter der Paywall zugreifen.
Ich kann die heruntergeladenen E-Paper-Ausgaben nicht öffnen.
Die E-Paper-Ausgaben sind mit einem Passwort geschützt. Informationen zum Passwortschutz finden Sie nach der Anmeldung auf der Startseite Ihres Online-Kontos.
Wo finde ich mein Online-Konto?
Am oberen, rechten Rand des Bildschirms finden Sie einen Link „Mein Konto“, über den Sie sich einloggen können.