Fünf Gedichte

Von Verena Gotthardt. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur“ – Teil 113

Online seit: 14. April 2023
Verena Gotthardt © Sima Prodinger
Verena Gotthardt. Foto: Sima Prodinger


kleine Dinge

1

mit dem Wind ist es so.
ich mag ihn manchmal nicht,
weil er mir alles,
was ich vor mich werfe
wieder zurück und dann damit
ins Gesicht schlägt.
an einem Tag, der mich daran erinnert,
wie mein Großvater
vor dem hölzernen Gartenzaun steht
und ins Gebüsch den Namen
meiner Großmutter ruft,
sie solle da jetzt bitte rauskommen und ins Haus,
raschelt es.
meine Großmutter kommt aus dem Grünen hervor.
schöner als jede Blume,
die da wächst
kommt mit kleinen Schritten und
trägt einen schweren Korb voll Quitten.
sehe zum ersten Mal,
was eine Quitte und,
dass sie in diesem Garten wächst.
riechen soll ich daran.
sie sagt es mit ihren hellen Augen.
hält mir die Frucht – dieselbe,
die in drei Wochen
schon wieder verfault sein wird,
ganz knapp vor meine Nase.

2

müde und
das Gefühl,
dass der Asphalt
jetzt erst abzukühlen beginnt

meine Füße wund getreten
vor einem Jahr schon
an einem hitzigen Tag
oder
wie sich die Spitze
eines kleinen Kieselsteins
in die Haut der Ferse bohrt

und dort sofort einschläft

 

3

dann ging wieder der Wind.
und zwar so stark,
wie schon lange nicht mehr.
so stark,
dass er mich an den frühen Herbst erinnerte,
so wie jetzt,
wo es recht früh schon dunkel
und diese Dunkelheit
wie eine Krankheit plötzlich da steht
vor Einem oder man selbst davor oder darin,
ich will sagen,
dass mein Kopf aus dem Zugfenster ragte,
wie immer und ich schon
an der Ortschaft vorbei gewesen sein muss.
die mit den hohen Bäumen und dem Feld.
ich kenne den Namen nicht,
obwohl ich mir jedes Mal fest vornehme
den Namen der Ortschaft oder mir den Wald zu merken,
um hierher zurückzukehren.
an einen Ort an dem ich nur vorbeigefahren,
ja,
von dem ich,
wären meine Augen geschlossen gewesen,
gar nichts wüsste

4

draußen das Weiße
wie es lose von da oben fällt und
wir hier unten
haben ganz laut
und mit starker Stimme
gesungen,
dass das Herz traurig,
zerrissen
oder
will aufhören zu schlagen

5

in ihm sagt es:
ich glaube, es hätte gereicht,
wenn es an diesem Tag nicht geregnet hätte.
wenn der Wind ein wenig schwächer geweht
und die Wolken ein wenig niedriger gestanden wären.
es hätte vollkommen gereicht.
oder,
wenn ich in der Nacht zuvor
ein wenig besser geschlafen hätte.
wenn sich der drahtige Federkern
der Matratze dieses eine Mal nicht so stark
in die Haut neben die Rippengegend gebohrt
und mich ausruhen hätte lassen.
gereicht hätte es,
wenn sie mit dem Finger gezuckt
oder sich eine Wimper ausgerissen und nach mir geworfen hätte.
es hätte mit großer Gewissheit gereicht
und ich glaube,
ich hätte an diesem Tag,
anstelle mich aus dem Bett zu erheben,
im Schlaf umgedreht und ich wäre geblieben.

6

aus den Augen
im Nebel versunken,
schaue hinaus,
befehle dem Baum
vor dem Fenster,
er soll ja blühen
im Frühling.

* * *

Schneeschmelze

gerade schmilzt noch der Schnee/
oben
legt Feld und Wurzeln in der Nacht frei
legt sich in Erde

gerade schmilzt er noch dahin
das Weiße /
die Raben
verlieren /
verlegen eine Schicht
das Schwarze glüht
gerade noch gefroren /
wie die Augen schrumpfen
bittere Winteräpfel
vergessen am Feld und
wie der Schnee schmilzt

jetzt
beißt wer hinein

verzogene Haut /
gerade noch das Helle
vom Asphalt genommen
abgekratzt /
den Winter
eingerollt

da zischt der Morgen schon das Grün aus

* * *

still und fremd

auf dir trägst du
ein Schattengesicht /
eines, das aus der Nacht
kommt

still und fremd ist’s geworden

lässt vergessene Wunden heilen /
still und fremd
funkelt dort am Wegrand
ein Kieselstein /
sieht aus wie die Lunge /
atmet durch

der Ort, an dem sich
der Sommer niedergelegt hat/
der Ort, an dem wir jung
zurückgeblieben

und

aus der Kindheit gefallen /
still und fremd
geworden /
können jetzt nur noch den Zeiten winken

* * *

tiho in tuje

znan obraz v temi
in tako, kot se bi
iz noči vrnilo,
to kar nas peče
v spominu

tiho in tuje je

končno
se pozabljene rane
v tihem celijo
in pozneje še človek

tiho in tuje
se blešči
mehka svetloba
na koncu potovanja

glej, črna pljuča
se oddahnejo

očiščena so

in tukaj
vse spet kot poleti
prerasli smo otroške dneve

zdaj
času mahamo

* * *

počivanje rib

morje z valovi
nežno boža ribe

voda
z njimi govori

podnebi
pod belimi žarki
njih oči
srkajo bliske vode

utrujena roka maha toku,
se še zadnjič poslovi

ko ribe počivajo
začne podoba
črniti besede

jih skriva
vidno na papir

* * *

Verena Gotthardt, geboren 1996 in Klagenfurt. Sie studierte Bildende Kunst und Fotografie an der Universität für angewandte Kunst in Wien und an der ENSAPC in Cergy/Paris. 2022 schloss sie ihr Studium erfolgreich ab und erhielt für ihre künstlerische Diplomarbeit „der längste Tag. Wintergoldkelchen brütet“ den Anerkennungspreis der Stadt Wien. Sie schreibt Lyrik und Kurzprosa in deutscher und slowenischer Sprache. Ihr erster Gedichtband in slowenischer Sprache erschien 2013 im Hermagoras Verlag mit dem Titel Najdeni nič/Gefundenes Nichts. 2017 folgte ihr Kurzgeschichtenband herausgehen, auch bei Hermagoras. 2021 wurde sie mit ihrem Text „die jüngste Zeit“ für den Bachmannpreis nominiert. Ihre Texte erscheinen in verschiedenen Zeitschriften, wie die Literarische Welt, Salz, Unke, allmende, Reibeisen, Lichtungen, die Brücke, Nedelja, Mladika und Rastje. Ihr neuer Gedichtband lass mir die Ahnung von gestern erscheint im Frühjahr 2023 im Verlag Bibliothek der Provinz.

* * *

Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur ist ein Kooperationsprojekt der IG Autorinnen Autoren mit der Stadt Wien und der Zeitschrift VOLLTEXT. Jeden Freitag, bis zum 21. April 2023, erscheint eine neue literarische Erstveröffentlichung eines österreichischen Autors oder einer österreichischen Autorin. Initiiert wurde die Reihe 2021 von Claus Philipp, Gerhard Ruiss und Thomas Keul als Benefizaktion zur Bewältigung der Corona-Krise, seit Frühjahr 2022 wird sie als Beitrag der IG Autorinnen Autoren und der Stadt Wien in der Zeitschrift VOLLTEXT für den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse 2023 fortgesetzt. Die komplette Reihe kann unter https://volltext.net/hier-und-heute/ abgerufen werden.