Viele Fischarten haben ein Wanderverhalten entwickelt, das es ihnen ermöglicht, die unterschiedlichsten Lebensräume zu nutzen. Sie wandern dorthin, wo sie die besten Bedingungen für ihre jeweiligen Bedürfnisse wie Fortpflanzung, Aufwuchs und Ernährung vorfinden.
Die Gründe für dieses Wanderverhalten der Fische lassen sich in vier Punkten zusammenfassen:
Erstens: Geschütztere Nahrungsaufnahme innerhalb der miteinander verbundenen Wassersysteme.
Zweitens: Flucht vor indiskutablen Lebensbedingungen in verseuchten Gewässern.
Drittens: Die Verbesserung der Fortpflanzung in stehenden Gewässern.
Viertens: Die Niederlassungen neuer Staatsangehöriger in fließenden Gewässern.
Fische verfügen auf ihren Überwinterungs-, Laich- oder Nahrungswanderungen über eine gute Allgemeinbildung. Fünfundneunzig Prozent von ihnen wären an einem Fischsterben innerhalb ihrer eigenen Gewässer nicht interessiert. Sie wandern. Wir wandern. Die Gedichte wandern.
Werner Herzog sagt in seinem Buch Vom Gehen im Eis ganz am Schluss diesen verhängnisvoll grandiosen Satz, den ich nie im Leben wieder vergessen werde, gottseidank: „Zusammen, sagte ich, werden wir Feuer kochen und Fische anhalten.“
Was nicht alles, meine Damen und Herren, in heutigen Gedichten so vorzukommen hat, wegen der permanenten Angst, eine angestrebte Weltläufigkeit zu verfehlen, alles, bis auf die unbefangene Eindringlichkeit der täglichen Verwunderung, in ihrer vertrauensenergischen Zuneigung gegenüber den Dingen und Menschen, die in diesem Land nicht die geringste Bewandtnis haben. In keinem Land hier.
Der Angler und die Fische. Die Geduld der Angler und der Fische.
Was sind schon die Katzengoldhebernetze der Germanistik und der Literaturkritik, wenn sich zwar die Ironie der zweiten Handlungsebene und so was ähnliches wie affirmative Metapherndekonstruktion in ihnen verfangen, aber diese Sätze von Ota Pavel wohl für immer zu klein und geringfügig sind für ihre gestrengen, anspruchsvollen Maschen:
„Bedeutsam ist, dass vieles aus meinem Leben verschwand, die Fische aber darin blieben. Sie verbanden mich mit der Natur, in der es keine lächerlich zuckelnde Straßenbahn der Zivilisation gibt. Heute weiß ich bereits, dass viele Menschen nicht nur wegen der Fische angeln gehen, sondern weil sie allein sein wollen wie in früheren Zeiten, dass sie noch das Rufen des Vogels und des Wildes hören wollen, dass sie hören wollen, wie die herbstlichen Blätter fallen. Als ich dort so langsam hinstarb, sah ich vor allem den Fluss, der mir in meinem Leben am meisten bedeutete und den ich liebhatte. Ich hatte ihn so lieb, dass ich sein Wasser in meine Handmuschel nahm und es küsste, wie ein Mann eine Frau küsst. Und ich spritzte mir den Rest Wasser ins Gesicht und machte die Angelrute fertig. Vor mir strömte der Fluss. Der Mensch sieht zum Himmel auf und in den Wald hinein, aber niemals sieht er in einen ordentlichen Fluss. Einzig mit der Angelrute lässt sich in einen ordentlichen Fluss hineinsehen.“
Nur keine Angst vor zu viel ungeahnter Zuneigung. Eine erregte Distanz wirkt in der Literatur und im Leben einfach attraktiver als eine aufgeregte Gastlichkeit. Klopf an und lieb mich nicht. Klopf nicht an und lieb mich endlich.
Erst das Spiel der Abweisung macht uns sehnsuchtsnüchtern und fortschrittstauglich. Der Beginn der Familienentblößung. Die Zumutung von Verlassenheitsangst bei der Überwindung der Kindheit. Das Ende der weinerlichen Schrift. Es muss einfach und immer wieder diese Wut geben, den Momenten die Ewigkeit anzuvertrauen. Unabhängig davon, ob die Momente dazu gerade wie geschaffen wären.
Die Zimmerflaschenpost eines eingespannten Papiers.
Das Weltallmetall eines eigenen Tons.
Gebt mir nur eine Minute mit den Wörtern Slagelse, Yelda und Lu Lioli, und ich wehre mich umsonst dagegen, euch süchtig zu machen, abhängig von den Müdigkeitsbrüchen des Alphabets und einer elementaren Verstörtheit des Nachbetens. Die Angst vor einer vitalen Religion. Aber kein Nachbeten ohne das alleinige Vertrauen in die Musik. Denn nur das, was als seelische Tonfolge empfunden wird, überspringt auf Anhieb das Dogmatische jeglicher Wiederholung.
Die Musik der Ideen als ungetrübter Erkenntnisgesang, für einen flüchtigen Moment ganz da und völlig frei von den Beleidigungen durch das Wissen. Dabei ist die Unbefangenheit der Naivität ein viel treffsicheres Instrument zum Begreifen als all diese Bildungsgereiztheit zwischen Literatur und Philosophie. Es wird nicht mehr gestaunt. Es wird sich nicht mehr gewundert. Aber es werden Nachmittagsseminare belegt. Es wird geforscht. Aber schon längst ohne Körper.
Wie gelehrt sollte der Schriftsteller in der heutigen Zeit sein?
Welche Strapazen und Entbehrungen sollte er auf sich nehmen, um von dauerhafter Anerkennung verschont zu bleiben?
Welcher Grad an Verrücktheit ist notwendig, um sich vom Hauptfeld der deutschen Gegenwartsliteratur abzusetzen?
„Auf die Frage, ob ein Schriftsteller eine wissenschaftliche Bildung haben müsse, antworte ich nicht sehr entschieden, aber immerhin hörbar mit Nein.
… Ich unterscheide nicht zwischen Metaphysik, Theologie, Quantenphysik oder Werkstofffestigkeit – denn alles strömt aus der einzigen Ingredienz, die mich interessiert, der Poesie. Alles bildet ein stetes Feld der Erkenntnis dessen, was die Welt und was mein Leben ausmacht.“ – (Mircea Cărtărescu)
Es gibt sie schon lange nicht mehr. Die Lebensentscheidung für die Poesie.
Es gibt nur noch das Nachher, das Nebenbei der Poesie. Technokratische Betriebsamkeit. Traditionelles, synthetisches Insistieren. Das Nachstammeln erfolgversprechender Widmungssprache. Das Heraufbeschwören von moralischer Attraktivität. Ein abgeschlossenes Studium, die Politik der gezielten Widmung, eine gnädige, leicht zurückzuverfolgende Tradition und die verblüffende Ähnlichkeit mit unmittelbarer, literarischer Mittelmäßigkeit bestimmen die heutige Absicherung zufriedener Poesie.
Klopf an und lieb mich nicht.
Meine Sehnsucht, meine Sucht nach einer einfachen, klaren Sprache ist in den letzten dreißig Jahren immer größer und beständiger geworden. Die Wegbegleiter werden immer weniger. Nicolas Born. Thomas Brasch. Gerd-Peter Eigner.
Klopf nicht an und lieb mich endlich.
Die poetische Solidarität untereinander ist heutzutage wohl für immer auf der Strecke geblieben. Aber wenn sie noch existiert, zwischen den Dichtern und den Dichtergenerationen, ergibt diese Art der Poesie- und Lebenserweiterung die höchste menschliche und dichterische Intensität.
Die Unaustauschbarkeit der literarischen Machtgremien hat dazu geführt, dass die Natürlichkeit der Poesie vom Literaturbetrieb nunmehr gänzlich ignoriert wird.
Die Solidarität untereinander als uneingefordertes Versprechen. Wir wundern uns und schwärmen. Descartes ist seinerzeit auf den Gedanken gekommen, dass die Verwunderung die erste Leidenschaft sei. Tritt uns ein Gegenstand zum ersten Mal entgegen, den wir so noch nie wahrgenommen haben, hat die Gesellschaft für einen Augenblick ausgespielt, weil wir es sind, als Einzelwesen, die sich in einer Leidenschaft verbünden. Die Poesie hat eine
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