Der Quasiautobiograf

Zur Neuauflage von Hartmut Geerkens Obduktionsprotokoll. Von Thomas Combrink

Online seit: 11. Februar 2024

In einem Brief an den Rundfunkredakteur Helmut Heißenbüttel schreibt Hartmut Geerken am 29. September 1975 aus Kabul in Afghanistan: „,obduktionsprotokoll‘ ist ein durch interpunktion nicht unterbrochener 200 seiten langer text mit den schwerpunkten free jazz / zeitgenössische emusik / individualmythologie / pornografie.“ Gerade ist sein Buch im Verlag von Klaus Ramm in Lichtenberg erschienen. Ludwig Harig greift in seiner Besprechung vom 6./7. Dezember 1975 in der Süddeutschen Zeitung die Verbindung zur Musik auf und bezieht den Text auf einen Tanz, den Jitterbug. Auch Jörg Drews erkennt in der Zeit die musikalischen Prinzipien im Buch von Hartmut Geerken. Er wiederum bringt in seiner Rezension vom 3. September 1976 die Rockmusik ins Spiel, sieht Parallelen zu dem Song „Goin’ Home“ von den Rolling Stones, auch zu „The End“ von den Doors. Und Lothar Baier vergleicht in einer Besprechung vom 4. September 1976 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Buch mit einer „JamSession im Jazz“, bei der sich die Musiker, die Stile, die Instrumente abwechseln und verändern.

Hartmut Geerken hat mit Obduktionsprotokoll einen Text geschrieben, der sich gegen die Verwendung von Satzzeichen richtet. Die Interpunktion reguliert die Gedankenführung, ordnet die Aussagen und Erfahrungen. Geerken wollte mit seinem Buch zeigen, dass die Sprache im Kopf eines Menschen keinem gedruckten Text entspricht. Der innere Monolog gehorcht nicht den Regeln der Syntax. Die Erlebnisse, Bilder und Gedanken sind der Grammatik des Subjekts unterworfen, unterliegen einer Privatsprache, die nur der Mensch verstehen kann, in dessen Kopf sich diese Ausdrücke befinden. Da sich aber niemand beim Denken zuschauen kann, ist es unmöglich, ein Protokoll zu erstellen von den Geschehnissen in unserem Gehirn.

Geerkens Sudelprosa ist süffig; manche Ereignisse besitzen den Charakter „unerhörter Begebenheiten“, die das Zentrum einer Novelle bilden.

Diese ununterbrochene Folge von Inhalten in unserem Bewusstsein ähnelt für Geerken den Mitteln der Musik. Dabei meint er vor allem den Free Jazz, der zur Zeit der Niederschrift des Buches erst wenige Jahre alt war. Die Improvisationen entsprechen dem freien Verlauf der Gedanken in den Köpfen der Menschen. Der Verzicht auf die Satzzeichen dient aber auch dazu, dass der Autor die unterschiedlichsten Sprachmaterialien miteinander verbindet. Geerken vermischt eigene Erfahrungen mit Passagen aus Fragebögen zum Sexualverhalten,