Häufiger erwähnt Alexander Kluge in Gesprächen die Methode des „Cross-Mappings“. Der Ausdruck ist eine Metapher, denn im Alltag ist die Konfrontation zweier Karten sinnlos. Wer mit einer „Straßenkarte von Groß-London den Harz durchwandern“ möchte, wird sich im Wald verirren oder vor einen Baum laufen. Auf literarischer Ebene bietet dieser Gegensatz die Möglichkeit des Gedankenspiels. Die Karte, auf der Länder, Städte, Straßen, aber auch Berge und Seen verzeichnet sind, dient als Bild für eine Vorstellung, die ein Mensch von der Realität besitzt. In Kluges Geschichte „Zustöpseln eines Kinderhirns“ geht es um den sechsjährigen Bauernsohn Gerhard, der Schwierigkeiten in der Schule hat. Der Tierarzt bittet ihn, den Schwanz einer Kuh zu halten. Der Junge ist so in die Aufgabe vertieft, dass er das Hinterteil noch in der Hand hat, als der Mediziner bereits mit seinem Auto auf dem Weg zum nächsten Dorf ist. Die Vorstellung, die das Kind von der Wirklichkeit hat, kollidiert mit der Realität des Erwachsenen. „Cross-Mapping“ bedeutet in diesem Fall, dass Gerhards Atlas der Empfindungen mit dem praktischen Sinn konfrontiert wird, den der Arzt von seinem Beruf besitzt. Der Humor, der dadurch erzeugt wird, gehört zur Komik der Groteske.
Dies hängt wiederum mit Alexander Kluges Vorstellung vom „Antagonismus des Gefühls“ zusammen; die Kraft der Literatur liegt für ihn in der Beschreibung von Situationen, bei denen sich die Emotionen der Menschen gegen ihre geschichtliche oder soziale Situation richten. Folgt man den Überlegungen von Michail Bachtin in seinem Buch „Rabelais und seine Welt“, so würde die Geschichte über den Arzt und den Bauernsohn zum Humor der „Volkskultur“ gehören. Kluge geht es in seinem Text aber nicht um eine Abwertung von Gerhard als langsam denkendes Kind der Landbevölkerung; das Halten des Kuhschwanzes ist vielmehr ein Beweis des Vertrauens. Der Junge fühlt sich respektiert durch den „direkten Blick“ des Arztes. Dass der Mediziner in den After des Tieres greift, erinnert bei Bachtin an die groteske Konzeption vom Körper. Kot gehört zum biologischen Abfall, wird eher mit Schmutz und Verunreinigung in Verbindung gebracht.
In Kluges Geschichte „Wie zwei Liebende sich trotz Schwierigkeiten im Winter 1941 näherkamen“ aus dem „Buch der Kommentare“ geht es um einen deutschen Soldaten, der Fronturlaub hat und aus Finnland zu seiner Frau nach Hause kommt. Die Zuneigung, welche die beiden füreinander empfinden, wird gebremst durch eine gemeinsame Darmkolik. „Sein Körper, einst mit dem Begriff Stattlichkeit konnotiert, wirkte in improvisierter Unterhose grotesk“, heißt es in dem Text. Das Glück der Liebe wird unterbrochen durch die ständigen Gänge zur Toilette. Der Ausdruck „Cross-Mapping“ bezieht sich in diesem Fall auf die Diskrepanz zwischen Seele und Körper. Die groteske Ästhetik, mit welcher Kluge mentale Zustände auf den Darmbereich bezieht, findet sich auch in anderen Geschichten. Ein Bomberpilot in der Erzählung „Absichtsloses Glück“ verfehlt das Gebäude mit der Hochzeitsgesellschaft, weil er sich vorher in die Hose macht. Ein Mann („Der Taucher“) holt eine Kaurischnecke für eine Frau aus dem Meer, flüchtet allerdings vor einem großen Fisch und entleert daraufhin seinen Darm. Eine Frau will sich in dem Text „Blechernes Glück“ umbringen, stürzt sich vom Mailänder Dom und landet auf einem Auto. Sie überlebt, sieht aber auf dem Dach des Fahrzeugs „auf groteske Weise beschädigt“ aus.
Michail Bachtin weist in seinem Buch auf den Ursprung der Groteske in der italienischen Renaissance hin. Dabei ging es um die Decken- und Wandmalereien in dem römischen Palast Domus Aurea, den Nero in der Antike erbaute. Ende des 15. Jahrhundert wurde das zugeschüttete Gebäude wiederentdeckt; da die Malereien unter der Erde lagen, wurden sie als Grotesken bezeichnet, abgeleitet von dem italienischen Wort für Höhle: „grotta“. Dies wiederum erinnert an Alexander Kluges Geschichte über Andrej Tarkowski mit dem Titel „Die Brunnen der Götter“. Der russische Regisseur schlägt darin vor, eine Wasserquelle in der Nähe von Neapel aufzusuchen, die von einer christlichen Kapelle überbaut worden sei. In geringer Entfernung befände sich ein Landhaus, durch dessen Keller man zum Brunnen gelange, der wiederum in die Unterwelt führen würde.
Bei den Grotesken des antiken Palastes in Rom handelt es sich vor allem um Ornamente, bei deren Ausgestaltung die Maler den Bereich der sinnlich erfahrbaren Realität erweiterten. Die Bilder wirkten übertrieben, erregten schon früh die Kritik der Zeitgenossen. Die Überzeichnung und Übersteigerung der wirklichen Verhältnissen korrespondiert auf literarischer Ebene im antiken Rom mit der Gattung der Satire. Die Hyperbel, also die Übertreibung, ist in Alexander Kluges Büchern ein häufiges rhetorisches Mittel. Dabei geht es um die Eigenschaft der Naivität, wodurch die Figuren sympathisch wirken. Ein deutscher Schriftsteller („Kleists Reise“) will ¬-1803 die französischen Soldaten am Ärmelkanal von den Büchern Immanuel Kants überzeugen und wird als Träumer entlarvt. Die Lehrerin Gabi Teichert, die in dem Film „Die Patriotin“ auf dem Parteitag der SPD die Geschichte verändern will, besitzt den Charme der Leichtgläubigkeit. In allen Fällen spielt die Idee der „Degradierung“ eine Rolle, über die Michail Bachtin in seinem Buch schreibt. Heinrich von Kleist und Gabi Teichert hätten es besser wissen können; sie besitzen die Fähigkeit, komplexe Situationen zu verstehen. Kluge zeigt in seinen Texten und Filmen, wie anfällig für Täuschungen und Irrtümer intelligente Menschen sind. Es fällt ihnen schwer, die sozialen und historischen Räume zu lesen, in denen sie sich befinden. Sie nehmen Fehler in Kauf, um ihre Wünsche und Hoffnungen auszudrücken.