Von einem langjährigen Freund habe ich vor kurzem eine dunkelbraun-schwarze Bohne geschenkt bekommen, die er aus seiner Hosentasche gekramt hat und mir mit den Worten überreichte: Das ist eine Glücksbohne. Dabei lächelte er verschmitzt und ein bisschen so, wie man es von Menschen kennt, denen der Schalk im Nacken sitzt. Mehr noch aber war das Geschenk wirklich liebevoll und aufmunternd gemeint, der Freund hatte von einem Kummer erfahren, der mich plagte, und die Glücksbohne sollte ich also nun an seiner statt in die Hosentasche stecken und bei mir führen, bis mir das Glück wieder hold sein würde. Ich steckte die Bohne ins Münzfach meiner Geldtasche, die ich seltener wechsle als meine Hosen, und trug die Bohne, wie mir geheißen, ab diesem Tag nun bei mir.
Erst nach ein paar Tagen ist mir aufgefallen, wieso mein Freund so gegrinst hatte beim Überreichen der Bohne, die er am Strand gefunden hatte: Sie war nämlich aus Stein. Ein dunkles, mattes, abgerundetes Steinchen in der Form einer Bohne. Wie witzig die Natur oft sein kann mit ihren nebensächlichen Scherzen über die Ähnlichkeit der Dinge, dachte ich. Und ich musste nun grinsen, dass mir das nicht sofort beim Entgegennehmen, auch am Gewicht, aufgefallen war. Die Bohne war ein Stein.
In den folgenden Tagen setzte ich die steinerne Bohne scherzhaft da wie dort ein. Am Postschalter hatte ich Porto zu bezahlen und öffnete das Münzfach, um dem Postangestellten die Bohne anzubieten statt der Münzen. Natürlich wollte ich die Bohne nicht loswerden, eher war sie ein Anlass zur Plauderei, also auch eine Art von Währung. Ich bekam bei jedem neuen Versuch, die Bohne für etwas einzusetzen, ein Lächeln, eine Frage, ein Gespräch über Steine, Bohnen und Münzen als Gegenwert geboten. Ich habe sie nicht eingetauscht, niemals. Aber hat die Glücksbohne mir denn auch Glück gebracht?
Überraschend brachte sie bald tatsächlich, was man sich wünscht für ein gutes Jahr: Konzertbesuche, Abendessen mit Freunden, Kaffee, Gespräche, Arbeitspausen. Nachmittage in der Bibliothek, lange Spaziergänge. Angebote, Begegnungen, Liebe gar. Sobald sich das Glück bei mir sattsam eingerichtet haben wird, schrieb ich noch Mitte Februar, werde ich die Bohne auch weiterreichen müssen. Schon wurde ich übermütig und großzügig mit meiner Glücksbohne!
Dann aber kam diese ganze leidige Sache mit dem Virus, plötzlich war alles, was gerade noch so schön gewesen war, verboten, und ich sagte mir, ich behalte die Bohne besser doch noch ein wenig bei mir in der Tasche. Sicher ist sicher. Was noch übrig geblieben war auf meiner Liste vom möglichen Glück, waren die langen Spaziergänge. Ich habe dabei, aus Mangel an Attraktionen, regelmäßig die Anzahl meiner Schritte gemessen. Pro Tag waren das oft zehntausend. Das sind in etwa acht Kilometer durch die Stadt, von einem ruhigen Bezirk zum nächsten, von einem stillen Platz zum nächsten, von einer leeren Straße zur nächsten. Wenn man weit genug geht, dachte ich dann, kommt man irgendwann an den Strand. Und dort einmal angekommen, muss man gar nicht mehr knausrig sein. Denn die Glücksbohnen liegen ja wie Steine am Ufer, man muss sie nur finden und sie in die eigene Hosentasche stecken.
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