Ein Feature der deutschen Ausgabe des Manager Magazins widmete sich vor einigen Jahren Unternehmern und Managern, die literarisch schreiben. Einige der Autoren wie Ernst-Wilhelm Händler oder der ehemalige Rechtsanwalt und zeitweise Verlagsleiter Georg M. Oswald wissen beide Sphären zu vereinen, andere haben der Wirtschaft ganz den Rücken zugekehrt. Die Motivationen sind unterschiedlich, neben dem Überdruss an der „fremdgesteuerten Existenz“ eines Managerdaseins steht die Hoffnung, mit dem Traum einer anderen Tätigkeit oder gar Existenz ernst zu machen und statt des Berufs einer Berufung zu folgen. Über die neuen Gehaltsabrechnungen macht sich keiner der Renegaten Illusionen. Um es auf den durchschnittlichen Jahresverdienst eines „bescheidenen Managergehalts von, sagen wir, 125.000 Euro zu bringen“, rechnet Eva Buchhorn im Jahr 2012 vor, müssen Romane geschrieben werden, die sich bei einem Ladenpreis von 19,80 Euro mindestens 68.900 Mal verkaufen. In der Branche gelte das als Erfolg. Bereits ab 20.000 Verkäufen darf der Titel eines „Bestsellers“ reklamiert werden, versichert das Blatt einer Leserschaft, die einen anderen Umgang mit Zahlen pflegt, als dass sie sich von diesen beeindrucken ließe. Dass der Artikel dennoch nicht peinlich ausfällt, ist auch durch die Bildstrecke sichergestellt: Sie zeigt sieben Männer im reifen Alter, großteils mit Jackett und Hemd, nicht anders kleidet man sich in Unternehmen. Selbst die stereotypen Statussymbole fehlen nicht. Ernst-Wilhelm Händler schaut aus seinem „schwarz glänzenden Audi A6“, in einer Hand sein Diktiergerät, „dunkelgrauer Anzug, Krawatte, Aktentasche“. Utz Claassen sieht aus, wie er immer aussieht, nur der Kontext ist ein anderer, statt für die EnBW tritt er als Krimiautor in eigener Sache auf. Die Inszenierung der Managerautoren überspielt die mageren Verdienst- und Absatzzahlen der neuen Branche, die ganz niedrigen fehlen aber eh. Wer wissen will, was literarisches Schreiben in den Niederungen der Statistik bedeutet, wird aus dem Manager Magazin nicht schlau.
Professionell Schreiben
Regelmäßige Zahlen über die Einkommen von Autorinnen und Autoren veröffentlicht die Künstlersozialkasse (KSK) – und zeichnet darin die Karriereaussichten all jener vor, die sich anders als die Managerautoren von vornherein für den Weg des Schreibens entscheiden, indem sie sich etwa an einem der Literaturinstitute in Leipzig oder Hildesheim bewerben. Die KSK vertritt und subventioniert den Schutz von derzeit 185.000 selbstständigen Kunst- und Kulturschaffenden, die in die drei übergreifenden Sparten Wort, Bild und Musik aufgeteilt sind. Die Rubrik Wort kann immerhin die höchsten durchschnittlichen Jahreseinnahmen für sich verzeichnen, am 1.1.2018 lag die Summe über 20.000 Euro, ab 30 verdienen Frauen erheblich weniger als Männer, im Schnitt beträgt die Differenz 6.000 Euro. Andere Zahlen, die in diversen Radio- und Zeitungsbeiträgen der letzten Jahre im Umlauf sind, werden mit Beträgen um 10.000 bis 15.000 Euro Jahresgehalt veranschlagt, ohne dass die Herkunft und Aufschlüsselung der Daten offengelegt wäre. Die Differenz mag auch daher resultieren, dass unter der Rubrik Wort mehrere Berufsgruppen wie Lektoren, Journalisten und Übersetzer geführt werden.
Außer Zweifel steht nur, dass mit Buchverkäufen allein kaum Existenzen bestritten werden können. Astrid Vehstedt, ehemalige Vorsitzende des Berliner Landesverbands für deutsche Schriftsteller, erklärt 2017 in Deutschlandradio Kultur: „Nach den Zahlen, die ich zur Verfügung habe, können überhaupt nur 5 Prozent der Autoren von ihren Büchern leben. Ich hab’ auch noch eine andere Zahl, wenn man 3000 Bücher in zwei Jahren verkauft, dann hat man einen Stundenlohn von 1,54 Euro.“
Bei Vehstedt fallen nicht nur andere Zahlen als im Manager Magazin, auch die Übersetzung der Verkaufszahlen in Stundenlohn wirft mit dem lächerlichen Betrag eine andere, grundsätzliche Einkommensfrage auf. Aber lässt sich das Schreiben überhaupt mit einer regulären Lohnarbeit vergleichen? Klassisch, wie in Kants Kritik der Urteilskraft, wird die Kunst vom Handwerk unterschieden. Während das Handwerk eine „Lohnkunst“ bildet, muss die Kunst als freie nicht in den Warentausch eintreten. Kunst hat für Kant „mehr Wert, weil sie keinen ökonomischen Wert hat“.¹
Kants Werturteil mag sich heute nicht mehr so leicht aufrechterhalten lassen, Literatur und Kunst sind warenförmig geworden. Zudem bedingen sich ökonomischer Erfolg und ästhetische Wertschätzung gegenseitig, in der bildenden Kunst noch weit stärker als in der Literatur. Dennoch verträgt sich Kants Bestimmung nach wie vor mit dem Recht. Finanzamt und KSK behandeln Schriftsteller als Unternehmer und lassen in dieser Figur die bürgerlichen und künstlerischen Werte der Unabhängigkeit und Freiheit verschmelzen. Die KSK kann das schriftstellerische Unternehmertum daher über eine Geringfügigkeitsgrenze regulieren: Professionell zu schreiben heißt prosaisch 3.900 Euro im Jahr zu erwirtschaften.
Wenn der Verdacht, dass Schriftsteller letztendlich doch Lohnarbeit leisten, periodisch wiederkehrt, dann liegt das nicht nur an geringen Einkommen, sondern auch an den Vorschüssen, mit denen sie in ein Kredit-, und das heißt ein Schuldenverhältnis, mit Verlagen eintreten. Schulden, so der Ethnologe David Graeber, bedeuten „die Übereinkunft zwischen Gleichen, nicht mehr gleich zu sein.“²
Einige Autoren des 20. Jahrhunderts von Robert Musil bis Wolfgang Koeppen oder Thomas Bernhard bekamen die Vorschüsse von ihren Verlagen über Jahre wie regulären Lohn, der mitunter nachverhandelt wurde, monatlich ausgezahlt. Nicht selten häuften sie derart Schuldenkonten an, die insbesondere dort, wo die Produktion stockte, wie im Fall von Musil oder Koeppen, zu Lebzeiten nie mehr beglichen werden konnten. Während die genannten Autoren die Auseinandersetzungen über die Bezahlung in ihrer Korrespondenz mit den Verlegern privat ausfochten, prangerte Heinrich Böll die Situation öffentlich an: Schriftsteller seien letztlich nichts anderes als „tarifgebundene Mitarbeiter einer Großindustrie“, die honorarbasierte Entlohnung komme einem Ausbeutungsverhältnis gleich. Autoren mögen sich für „feine Leute“ halten; indem sie Honorare beziehen, verkaufen sie sich angesichts eines Buchmarkts, der Millionen umsetzt, faktisch als „sehr feine Idioten“. Seine Rede „Ende der Bescheidenheit“ hält Böll 1969, unmittelbar bevor der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegszeit erste Risse zeigt. Die Situation hat sich seither, mit der Umgestaltung des Kapitalismus seit den Siebziger- und Achtzigerjahren, verschärft.
Die Künstlerin ist als Kreativsubjekt zu einer Norm für das prekäre Existenzmodell einer Kultur- und Kreativbranche geworden, die sich nach dem Monitoringbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2017 „ähnlich wie die deutsche Gesamtwirtschaft entwickelt“ und mit über 1 Million Kernerwerbstätigen und einem Jahresumsatz von 150 Milliarden Euro einen dominanten Faktor der deutschen Wirtschaft bildet, und darin in scharfem Kontrast zu den Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnissen der Beschäftigten steht. Die angebliche unternehmerische Freiheit des Kreativsubjekts stellt sich als Zwang dar, der gegenüber einer regulären Lohnarbeit in einer gesteigerten Selbstausbeutung resultiert.
Schreiben am Markt
Die Geringfügigkeitsgrenze der KSK deutet an, dass sich trotz Veränderungen im Urheberrecht, Einrichtungen wie Verwertungsgesellschaften, in Deutschland die Buchpreisbindung sowie die Einrichtung der KSK in den letzten 200 Jahren offenbar wenig an der allgemeinen finanziellen Situation von Schreibenden geändert hat. Wenn Verlage nach wie vor Honorare und keine Löhne zahlen, dann ist das Vergütungssystem ein Erbe aus dem 18. Jahrhundert.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts treten Autoren mit dem Manuskript alle Rechte an den Verleger ab und erhalten ein Honorar, das auf keinem Tauschwert, sondern auf Anerkennung basiert, es ist dabei eine von drei Formen standesmäßiger Anerkennung. Zum Geld des Verlegers kommt „der Beifall der Kenner“ und „die Sicherung oder Verbesserung der beruflichen Existenz durch die Huld der Mächtigen“.³
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts werden die feudalen Strukturen zunehmend durch marktförmige abgelöst, indem Verleger das Honorar an den Absatz koppeln. Besonders die Literatur kann sich an eine rasch wachsende Leserschaft richten, es ist die Zeit, in der in Deutschland (später als in England) der professionelle Schriftsteller erstmals die Bühne betritt. Lessing, Klopstock und Wieland gehören zu den ersten, die unter den neuen ökonomischen Bedingungen schreiben, frei von den Zuwendungen eines Fürsten oder Adligen – und scheitern: „Nimm meinen brüderlichen Rat, und gib den Vorsatz ja auf, vom Schreiben zu leben“, legt Lessing 1768 seinem Bruder nah.⁴ Nach zehn Jahren gibt er den Kampf auf und nimmt eine Stelle als Bibliothekar an. Für die nächste Generation, zu der Goethe, Schiller und Karl Philipp Moritz gehören, sieht es kaum besser aus.
Möglich wird das Modell des professionellen Schriftstellers neben neuen Reproduktionstechniken wie Papiermaschine und Schnelldruckpresse vor allem durch die bis dahin ungekannte „Lesesucht“ eines neu erschlossenen Publikums sowie die Beteiligung der Autoren am Absatz durch transparente und verhandlungsfähige Honorare. Dies führt zu einer Umwertung, das Honorar fällt nun zunehmend mit der Entlohnung zusammen und wird darin „zugleich Gradmesser und Index des Erfolgs.“⁵
Dass dies auch trotz gewisser Erfolge am Markt nicht funktioniert, liegt auch an den unregulierten Marktbedingungen. Bevor das Urheberrecht in Deutschland 1834 überregional kodifiziert wird, ist aufgrund der Nachdrucke (bzw. der sogenannten Raubdrucke) auch ein ökonomischer Erfolg am Markt kein Garant für ein sicheres Einkommen. Verlässlich ist nur das Honorar, das sich bei Vertragsabschluss nach der Anzahl der Druckbögen richtet, was in erster Linie heißt, dass viel geschrieben werden muss.
Einen besonders hohen Output erzielt Karl Philipp Moritz, der stets an drei oder vier Projekten gleichzeitig arbeitet. Bereits Karl Friedrich Klischnig hält in seinen Erinnerungen (1794) an den Freund fest, dass niemand die Kunst des Selbstplagiats so gut wie Moritz beherrscht habe, der ganze Passagen gerne mehrfach verwendete.
Dass die klassischen Autoren zu notorischen Vielschreibern werden, entspringt dem banalen Marktdruck, der für die Autoren nur allzu bewusst in direktem Widerspruch zu ihrem selbstgesetzten Kunstanspruch steht: „Überdem zwingt ja das deutsche Publikum seine Schriftsteller, nicht nach dem Zuge des Genius, sondern nach Speculazionen des Handels zu wählen“, hält Schiller fest.⁶
Der Markt fordert und produziert aber nicht nur Quantität statt Qualität, und das in einem Bereich, der sich mit seinen ästhetischen Werturteilen maßgeblich über Qualität definiert. Die Autoren der Klassik bedienen zudem die populären Genres, die anders als die „hohe Literatur“ tatsächlich über die engen Kreise der Gelehrten hinaus gelesen und gekauft werden. Moritz verfasst Reiseberichte; Schillers Der Geisterseher oder seine Historienstücke werden auch von den neuen Marktgesetzen und deren Nachfrageökonomie motiviert und diktiert.
Die Ökonomisierung gestaltet das Schreiben auf vielschichtige Weise um. Die Fiktion des liberalen Marktes als Ort der Freiheit, an dem gleiche Individuen in eine Tauschbeziehung zueinander treten, wie sie Adam Smith in Wohlstand der Nationen formuliert (die erste Auflage erscheint 1776 gleichzeitig mit Schillers allerersten literarischen Veröffentlichung), erweist sich von Anfang an als Illusion. Wenn sich das Honorar als Vergütungssystem trotz
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