Buddenbrooks, chinesische Variante

Warum Pearl S. Buck den Nobelpreis für Literatur verdient und nicht verdient hat. Von Norbert Mayer. (Aus der Serie „Zu Recht vergessen“.)

Online seit: 20. Februar 2024

Ein unerwartetes Wiedersehen nach gut fünfzig Jahren: In der nächstgelegenen Bücherbox stehen zwei elegante Bände mit schwarzen Lederrücken, darauf die Titel in geschwungener, goldener Schrift: Die verborgene Blume und Die Mutter. Ihre Einbände zeigen ein altes chinesisches Pflanzenbild sowie eine häusliche Szene aus der Sammlung Preetorius, einst bedeutend für ostasiatische Kunst. Genau diese beiden Bücher hat es doch auch in unserem Regal gegeben! (Damals war es für die Elterngeneration noch üblich, Mitglied eines Leserings zu sein.) Diese Romane von Pearl S. Buck sowie eine Trilogie von ihr gehörten meiner Mutter. Sie standen neben Werken von Ernest Hemingway, Gwen Bristow oder John Steinbeck und wurden auch von meinen Tanten eifrig gelesen. Die verschlangen Das Haus der Erde wahrscheinlich mit ebensolcher Begeisterung wie Wem die Stunde schlägt, Kalifornische Sinfonie oder Jenseits von Eden.

Nach der Vergabe des Nobelpreises führten Stockholms Preisrichter eine Nachdenkpause für übereifrige Juroren ein, von Böswilligen „Lex Buck“ genannt.

Einem Pubertierenden wie mir schien diese Autorin in den Siebzigerjahren allerdings nicht interessant genug. Ihre Bücher galten als Frauenliteratur. Ein kurzer Blick auf die ersten Sätze der deutschen Übersetzung von The Mother (1934) schien mir damals zu genügen, um meine vorgefasste Meinung bestätigt zu wissen: „In der Küche des kleinen, strohgedeckten Bauernhauses saß die Mutter auf einem niedrigen Bambusstuhl hinter dem Lehmherd, in dessen Öffnung sie flink Grasbüschel warf.“ Langweilig! Von unserem Deutschlehrer, der uns auch beherzt zum Dichten anstiftete, waren wir bereits davor gewarnt worden, allzu leichtsinnig mit Adjektiven umzugehen. Hatte diese Amerikanerin noch nichts von der Schönheit des längst in Mode gekommenen sparsamen Umgangs mit der Sprache gehört? Sie müsste das doch gewusst haben. Hatte sie doch als eine von wenigen Frauen an der Eliteuniversität Cornell einen Master of Arts in englischer Literatur gemacht und dieses Fach als Professorin in Nanking unterrichtet. Außerdem war Charles Dickens ihr erklärtes Vorbild, ein Weltmeister des Sentiments und der fantastischen Charakterzeichnung in der viktorianischen Ära. Mit ihm teilt Buck das Mitgefühl für die Benachteiligten dieser Erde und den klaren Blick einer Reporterin auf soziale Verhältnisse. Seine ironische Schärfe und seine poetische Vielschichtigkeit erreicht sie jedoch bei Weitem nicht.

Schlichter Erzählstil

Was sagt der große Brockhaus über Pearl Sydenstricker Buck? 19 Zeilen Text hat dieses Lexikon in 24 Bänden für die Bestsellerautorin übrig: „Ihre Werke sind in schlichtem Erzählstil geschrieben und geben ein Bild des chin. Alltagslebens, wobei der Konflikt zw. Tradition und Moderne zum Tragen kommt.“ Sie wird als „Mittlerin zw. China und dem Westen“ bezeichnet.

Sie hatte vor allem wegen dieser Rolle Renommee, wegen ihres Werbens um Verständnis für die vielfältige ostasiatische Gesellschaft. Wahrscheinlich erhielt sie 1938 auch deshalb als erste Amerikanerin den Nobelpreis für Literatur. Ein starker Hauch von Exotik umgab die Vielschreiberin. Die 1892 in West Virginia geborene Tochter presbyterianischer Missionare wuchs seit ihrer frühesten Kindheit in China auf. Ihre erste Sprache, die sie bald fließend beherrschte, war Mandarin. Ihre Eltern setzten auf Integration, sie spielte mit den chinesischen Nachbarskindern. Die chinesische Kinderfrau erzählte der kleinen Pearl Märchen. Erste Schriftsprache wurde dann allerdings doch Englisch. Aber China, wo sie später, so wie ihr erster Mann ebenfalls, in der Mission tätig war, wurde zu ihrem Leibthema. Sie behandelte es in zahlreichen Romanen, Kinderbüchern, Biografien, in den Genres Drama, Drehbuch, Essay und Tagebuch. Insgesamt dürften es beinahe hundert Titel sein. Für The Good Earth erhielt sie 1932 – vor allem wegen der darin genau beobachteten Zustände im vorrevolutionären China – den Pulitzer-Preis.

Faulkner, der elf Jahre später den Nobelpreis bekam, soll erwogen haben, die Auszeichnung nicht anzunehmen, weil ihn die Bevorzugung der als minder eingeschätzten Kollegin kränkte.

Immerhin. Die zufällige Begegnung in der Bücherbox hat entschieden: Im reifen Alter lasse ich mich noch einmal auf die Lektüre ein. Bucks alte, gebundene Bücher werden gegen zwei Taschenbücher eines noch lebenden chinesischen Autors getauscht, eines passionierten Erzählers, der die Mythen und Bräuche seiner Heimat genau kennt: Die Knoblauchrevolte und Die Schnapsstadt von Mo Yan. Er ist ebenfalls ein Nobelpreisträger, als erster Chinese erhielt er den Preis 2012, eine Entscheidung, die wie einst jene für Buck kritisiert wurde. Zu angepasst ans Regime in Peking schien er manchen Dissidenten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ob der Tausch für mich ein Gewinn war? Ich sehe erst einmal nach, was die Literaturgeschichte meint. Keine einzige Zeile über Buck im US-Band der Penguin History of Literature. Ein wenig schmeichelhafter Absatz in The Cambridge Guide to Literature in English. Wahrscheinlich noch mehr Demütigung in den achthundert Seiten über Amerika im vielbändigen Pelican Guide to English Literature: Sie kommt dort ohne irgendeine Wertung oder Bemerkung bloß in einer bibliografischen Fußnote vor: „Buck, Pearl Sydenstricker (1892–1973)“ – vier Romane und eine Übersetzung aus dem Chinesischen werden kommentarlos aufgelistet.

Tiefschläge

Auf die deutsche Literaturpflege ist dagegen Verlass. In Kindlers allumfassendem Weltliteraturlexikon werden fünf Romane ausführlicher vorgestellt: Das Debüt East Wind – West Wind von 1930, die darauffolgende Trilogie The House of Earth, bestehend aus The Good Earth, Sons und A House Divided, sowie The Patriot aus dem Kriegsjahr 1939. Zusammenfassend heißt es dazu: „Die meisten der im schlichten Erzählstil geschriebenen Werke der Autorin vermitteln ein anschauliches Bild vom damaligen Leben in China … Einer tiefergreifenden, gesellschaftskritischen Analyse weicht die Autorin freilich zumeist aus. Ihre Menschen sind bei allem Naturalismus der Darstellung häufig allzu gefühlsbetont, aus gewollt optimistischer Sicht gezeichnet.“ Als einigermaßen positiv wird hervorgehoben, dass sie „die Beziehungen der Geschlechter, insbesondere das Problem der Gleichberechtigung der Frau“ behandle. „Diese Thematik und ihr unterhaltsamer, flüssiger Stil sicherten ihren Romanen vor allem unter der weiblichen Leserschaft bis heute weite Verbreitung.“

Was für ein Tiefschlag! Das könnte doch glatt von einem elend misogynen Skribenten geschrieben worden sein. Lob bekommt Buck im Kindler nur für Die gute Erde, den ersten Band ihrer Trilogie. Das sei ihr bester Roman, sie habe damit „weite Leserkreise erstmals an die Alltagsprobleme des fernöstlichen Landes herangeführt“. Dafür habe sie auch den Nobelpreis erhalten. Dessen Komitee hatte als besonders positiv die „kraftvollen und wahrhaft epischen Schilderungen des bäuerlichen Lebens in China“ hervorgehoben sowie ihre biografischen „Meisterwerke“. Die Folgebände von The Good Earth hätten jedoch nicht mehr dessen Geschlossenheit und Aussagekraft, heißt es im Kindler.

Wie schätzte sie selbst ihr Schreiben ein? In der Dankesrede in Stockholm sagte sie 1938, dass sie zwar durch Geburt und Herkunft Amerikanerin sei, dass sie aber ihr frühestes Wissen von Geschichten, wie man sie erzähle und schreibe, in China erhalten habe. Dort „hat der Romancier nicht die Aufgabe, Kunst zu schaffen, sondern zu den Menschen zu sprechen“. Ihr Ehrgeiz sei nicht auf „die Schönheit der Buchstaben oder die Anmut der Kunst“ ausgerichtet. Sie denke an ein Massenpublikum, nicht an wenige Leser.

Geben wir der Autorin also eine weitere Chance. The Hidden Flower (1952): „Der Garten war ruhig. Jenseits seiner Mauern übertönte kein Echo von Schritten das Plätschern des Wasserfalls. Die Stille war geplant und vorgesehen, wie alles in diesem Garten geplant und vorgesehen war, obwohl die Anlage den Eindruck erweckte, von der Natur selbst geschaffen worden zu sein.“ Der Text plätschert dann dahin wie ein Heimatroman, nur eben nicht auf der Alm oder den Hügeln von West Virginia, sondern irgendwo in China. Wie hört solch eine Story auf? „Und mit einem triumphierenden Lächeln tätschelte sie Lennies Rücken und schaukelte ihn sanft auf ihrem Schoß.“

Fremdenhass im Reich der Mitte

Auch ein noch späterer Schmachtfetzen, Letter from Peking (1957), wird rasch beiseitegelegt: Der Sohn eines Amerikaners und einer Chinesin beschließt, seine Frau Elisabeth und ihren gemeinsamen Sohn in die USA zu schicken, weil China in der Zeit der kommunistischen Revolution für Fremde zu gefährlich geworden ist. Fremdenhass im Reich der Mitte. Und schon verliert Elisabeth den zurückgebliebenen Gatten an eine Chinesin. Er nimmt diese zur Frau, um sein Leben nicht zu gefährden, heißt es. Das ist erst der Anfang diverser kultureller Konflikte, für die es nur eine jenseitige Lösung gibt, wie der deutsche Titel höchst paulinisch signalisiert: Über allem die Liebe.

Das Vorurteil verfestigt sich: Eine Kitsch-Produzentin hat versehentlich den Nobelpreis gewonnen. Wahrscheinlich nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der damals einflussreiche schwedische Geograf und Asien-Kenner Sven Anders Hedin vehement für sie eingesetzt hatte. Ein Kritiker namens Pearson (im Gegensatz zu Buck weitgehend vergessen) schrieb: „Gott sei Dank gibt es niemanden, der das ernst genommen hat.“ William Faulkner, der elf Jahre später zu Nobelpreisehren kam, hat das offenbar auch so empfunden. Angeblich soll er erwogen haben, die Auszeichnung nicht anzunehmen, weil ihn die Bevorzugung der als minder eingeschätzten Kollegin kränkte. „Mrs. Chinahand Buck“ nannte er sie abwertend. Dabei musste er doch bemerkt haben, warum sie in den USA vor allem in den Dreißigerjahren so erfolgreich war. Es herrschte die Große Depression, die vor allem in seinen Romanen einmalig anschaulich gemacht wurde. Auch Buck beschrieb sie, mit ihren bescheideneren stilistischen Mitteln und in fremdes Umfeld versetzt – als Chinas Elend.

Faulkner war nicht der einzige sarkastische Autor, der sie verächtlich machte. Literarisch wertlos sei ihr Werk, Trivialliteratur, meinten viele einfluss-
reiche Stimmen. Ihr Predigt-Ton, der mangelnde Humor und die durchsichtig simple Didaktik fielen selbst jenen auf, die ihr gewogen waren. Stockholms Preisrichter reagierten darauf, indem der Nobelpreis danach nur noch an jene gehen konnte, die mindestens einmal zuvor dafür nominiert worden waren. Sie führten also eine Nachdenkpause für übereifrige Juroren ein, von Böswilligen „Lex Buck“ genannt. Das ergibt Sinn. Zwar hat Buck Verständnis für eine fremde Kultur zu vermitteln versucht, die sie in wirklich interessanten Zeiten (Bürgerkrieg, Revolution) bis 1934 hautnah erlebte. Doch 1938 haben noch Virginia Woolf und Robert Musil gelebt! Jorge Luis Borges hatte bereits seine geniale Komplexität demonstriert. Anna Achmatowa reizte die Grenzen des Sagbaren aus.

Schwergewichte der Weltliteratur in die Waagschale zu werfen ist in diesem Fall aber eigentlich verfehlt. Nach dem Willen des Stifters Alfred Nobel sollte seinen Preis erhalten, wer „das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen hat“. Auch darin wäre Buck heutzutage jedoch problematisch. Eine weiße Amerikanerin, die Einfühlung in Schicksale einer völlig fremden Kultur zum Hauptmotiv ihres Schreibens macht? Nennt man das nicht neuerdings abfällig „kulturelle Aneignung“? Das hat einst bereits Chinas Großschriftsteller Lu Xun bemerkt, als seine US-Kollegin in den Dreißigerjahren auch in China mit Bestsellern reüssierte. Er meinte reserviert, man sollte es doch lieber den Chinesen überlassen, über ihr Land Romane zu schreiben. Buck kenne es doch gar nicht wirklich. Sie habe dieses Reich zwar als ihre Heimat bezeichnet, aber „ihr Werk sagt uns, dass sie nur eine weibliche Priesterin war, die in China lebte“.

Versuchen wir abschließend wenigstens, Verständnis für das Frühwerk von Buck zu finden: Her mit dem Romandebüt Ostwind – Westwind. Der Text besteht aus einer Art Tagebuch, das eine imaginäre Leserin ins Vertrauen zieht: „Dir kann ich diese Dinge sagen, meine Schwester. So wie zu dir könnte ich nicht einmal zu einer Frau meines Volkes sprechen, denn sie würde die fernen Länder nicht verstehen, in denen mein Gatte gelebt hat.“ Damit ist fast schon alles gesagt. Verstand und Gefühl ringen miteinander im fiktiven Buck-Land. Kwei-Ian, die als Erzählerin fungiert, wurde streng traditionell erzogen, ihr chinesischer Mann hat in den USA Medizin studiert und will mit ihr ein aufgeklärtes, nach westlichem Muster ausgerichtetes Leben führen. Als ihr Bruder von seiner Familie verstoßen wird, weil er eine Amerikanerin heiratet, beginnt bei der Diarium-Schreiberin ein Prozess der Loslösung. Die endet dann so: „Und wenn ich an diese beiden denke, an meinen Sohn und dessen Vetter, dann weiß ich, dass mein Gatte recht hat – immer recht!“ Oh Gott!

Aus der Sicht eines Bauern

Letzte Chance. Der Buck-Klassiker Die gute Erde, aus dem Amerikanischen übersetzt von Robby Remmers, 2008 neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen vom kenntnisreichen Schriftsteller Tilman Spengler. Kapitel I: „Es war Wang Lungs Hochzeitstag. Als er im Dunkel seiner Bettvorhänge die Augen öffnete, wusste er nicht gleich, warum die Dämmerung ihm heute anders erschien als sonst.“ Die Erzählperspektive war für 1931 ganz zeitgemäß. Aus der Sicht dieses einfachen Bauern, aber nicht in Ich-Form, sondern personal, wird der Kampf ums Überleben erzählt, Wangs Aufstieg aus der Armut, während zugleich ein großes Haus verfällt. Wang Lung heiratet eine Sklavin aus dem Haus des reichen Grundbesitzers Hwang. Diese O-lan ist äußerst fleißig und bis zur Selbstaufgabe ihrem Manne untertan. Mit ihrer Hilfe kann er sein Projekt durchführen: Hart arbeiten und sparen, um den Hwangs Grund abzukaufen. Stück für Stück gute Erde, schließlich auch das herrschaftliche Haus in der Stadt. Am Ende, nach Hungersnot, Flucht in den Süden, um zu überleben, und viel Gewalt, ist Wang Lung der Reiche. Neben der fleißigen Frau, die ihm fünf Kinder geschenkt hat, nimmt er eine zweite, das Teehaus-Mädchen Lotus, eine Prostituierte. Später wird eine weitere Sklavin den Haushalt bereichern: Pfirsichblüte. Man ahnt an der Entwicklung der Kinder, dass jedem Aufstieg irgendwann der Abstieg folgt. Es dräut bereits die Revolution, auch der westliche Einfluss auf uralte Traditionen ist zu spüren. Fazit: Buddenbrooks in einer chinesischen  Variante, ohne die fein gesponnene Genialität eines Thomas Mann. In einfacher, archaisch anmutender Sprache, in einer Serie von Wiederholungsmustern, wird Exotisches serviert, das jedoch unterschwellig auch eine gehörige Portion Amerikanismus enthält. Bucks Bibelfestigkeit ist nicht zu überhören.

Das also war das Beste, was Buck zu bieten hat? Was sagt Tilman Spengler zu diesem Roman? Er bezeichnet ihn als groß und lobt das Völkerverbindende, das die Autorin bewirkte: „Zum ersten Mal kam die chinesische Literatur vor einem großen Publikum zur Sprache, als nämlich die Nobelpreisträgerin in ihrer Dankesrede über deren historische Höhepunkte sprach.“ Der Erfolg ihres Buchs soll „nicht unerheblich dazu beigetragen haben, dass sich in Amerika und in dem nicht von den Nazis unterworfenen Europa das Feindbild des schurkischen Chinesen verflüchtigte“. Kritisch fragt sich Spengler zwar, warum alle im Roman gestalteten weiblichen Figuren so „schonungslos traditionell ihren Rollen verbunden“ seien. Käufliche Frauen. Still duldende Frauen. „Waren, anders gefragt, die Chinesen und auch die Chinesinnen, die Pearl S. Buck beschreibt, nicht doch ein wenig so, wie das westliche Urteil von jeher vermutete?“ Sein Gesamturteil spricht für die Vielgeschmähte: Wer sich so viele Gegner zugezogen habe wie sie, müsse eine Menge richtig gemacht haben. „Vielleicht war ihr das Geheimnis offenbart worden, auf krummen Zeilen gerade zu schreiben.“

Also gut. Lassen wir das Krumme gerade sein. Aber ein Buch von ihr sollte genügen. Und dann lesen wir zum Ausgleich noch einmal Wu Cheng’ens Die Reise in den Westen, einen Klassiker aus der Zeit der Ming-Dynastie, oder Jung Changs Wilde Schwäne. Die Frauen meiner Familie von 1991 oder vielleicht gar eine kritische Mao-Biografie.

 

Norbert Mayer, geboren 1958 in Fürstenfeld, studierte Sprach- und Literaturwissenschaften in Graz, London und New York. Er war ab 1984 als Journalist tätig, zuletzt als leitender Feuilleton-Redakteur der Wiener Tageszeitung Die Presse. Seit seiner Pensionierung in diesem Jahr ist er freier Autor.

ZU RECHT VERGESSEN
Die Serie „Zu Recht vergessen – die besten schlechten Dichter aller Zeiten“ widmet sich dem Phänomen der Berühmtheit zu Lebzeiten, die durch keinerlei ästhetische oder poetologische Qualität gerechtfertigt ist. Der zu Recht vergessene, einst aber bekannte und gefeierte Autor ist mentalitätsgeschichtlich grundsätzlich interessanter als das zu Lebzeiten verkannte Genie, das „seiner Zeit vor-aus“ war. Im Unterschied zum „allzeit gültigen“ Werk des Klassikers stellt sich am Beispiel der Produktion des schlechten Autors oder der schlechten Autorin die Frage nach der historischen Kontingenz ästhetischer Werte und Wertungen. Oder, mit Karl Kraus gesagt: „Nicht alles, was totgeschwiegen wird, lebt.“ – Daniela Strigl, Karin S. Wozonig