Neulich las ich „Vaterhaus“ von Bea Dieker

Von Andreas Maier.

Online seit: 26. August 2020

Neulich las ich Vaterhaus von Bea Dieker und traf auf eine Stelle, in der das Kind in eine Besenkammer gesperrt wird. Ich begann über Besenkammern nachzudenken. Ich werde öfter gefragt, wie Erinnerung funktioniert. Das Eigentümliche an Erinnerung ist, dass man sie nicht nachprüfen kann, ohne sie zu verändern. Denn dann ginge sie von einer Erinnerung mit all ihren Möglichkeiten in Wissen über. Dem Wissen fehlt im Gegensatz zur Erinnerung aber der Möglichkeitsraum. Eine Erinnerung dagegen ist beweglich und hat eine Geschichte.

In unserem Haus gab es eindeutig keine Besenkammer, das heißt, ich konnte nicht in eine solche eingesperrt worden sein. Die kleinsten Räume in unserem Haus waren die beiden Gästetoiletten, aber ich kann mich nicht erinnern, jemals in einer solchen eingesperrt worden zu sein. Meine Eltern können mich nicht eingesperrt haben.

Jedoch habe ich so ein gewisses, wie soll ich sagen, Erinnerungsgefühl. Ich sehe etwas Weißes vor mir, wohl eine weiße Tür, und eine Treppe. Vielleicht eine Kammer unterhalb einer Treppe. Zugleich ist es luftig. Irgendwo ist Grün.

Ich weiß nicht, wie oft sich die Großfamilie traf, alle waren stolz auf diese Großfamilie, ich verstehe so etwas ja bis heute nicht, sehe ich Fotos von damals, wird mir noch heute übel.

Im Haus in der Uhlandstraße, in dem mein Onkel mit seiner Mutter lebte, gibt es eine solche Kammer. Man kann darin stehen, sich aber nicht umdrehen, und wenn man aus ihr etwas herausholen will, betritt man sie nicht eigentlich, sondern bleibt auf der Türschwelle stehen und greift hinein. Erleuchtet wird sie von einer niedrig hängenden Glühbirne in bloßer Fassung.

Hier muss ich allerdings sagen, dass ich zum einen diese Kammer Jahre meines Lebens selbst als Besenkammer benutzt habe, auch noch, als ich die Ortsumgehung begann, mir aber nie die Erinnerung an ein dortiges Eingesperrtsein zur Kindheitszeit kam. Es ist da auch nichts luftig, die Kammer hat kein Fenster. Ich habe zeitweise in meinem Leben viel geputzt. Immer, wenn alles in meinem Leben in Unordnung war, habe ich angefangen, das Haus zu putzen, von oben bis unten, was etwa zwei komplette Tage gebraucht hat. Ich hatte einmal Russinnen zu Gast (solche, denen man den Sekt einschenken muss, weil sie sich niemals selbst einschenken würden, und die sich beschweren, wenn die Würstchen nicht gepellt sind), und sie konnten