Aus dem Wörterbuch des Unmenschen: Der Begriff „Kulturschaffende“

Bei den Nazis war der Begriff ebenso beliebt, wie später in der DDR. Heute scheuen auch die politisch Korrekten nicht vor seiner Verwendung zurück. Michael Buselmeier über die Lieblingsvokabel aller Kulturlobbyisten.

Online seit: 14. Mai 2020

Ich habe das Wort „Kulturschaffende“, das nun fast täglich in Zeitungen wie im Internet völlig unkritisch auftaucht, immer verabscheut und gemieden, lange bevor ich um seine dubiose Herkunft wusste. Es kam mir extrem grob, spießig und bürokratisch vor und ließ sich allenfalls ironisch verwenden. Warum spricht man nicht einfach von Künstlern, Autorinnen, Malern? Und weshalb benutzen gerade Leute, die sonst streng auf politische Korrektheit achten und mit Gender-Sternen oder groß gestelltem I jeden Text verunstalten, einen historisch so belasteten Begriff ohne nachzudenken?

Zweifellos zählte das ominöse Wort zum Vokabular der Nazis. So erschien etwa 1934 im Völkischen Beobachter ein „Aufruf der Kulturschaffenden“, in welchem die Unterzeichner, darunter Wilhelm Furtwängler und Ernst Barlach, dem Führer ewige Treue gelobten. Konsequenterweise wurde der Kampfbegriff bald nach 1945 von W.E. Süskind, Dolf Sternberger und Gerhard Storz in das Wörterbuch des Unmenschen aufgenommen, galt fortan als „Unwort“. Doch im totalitären System der DDR kam es wieder zu Ansehen. So applaudierte die große Mehrheit der dortigen „Kulturschaffenden“ 1976 der Ausbürgerung Wolf Biermanns. Auch im Westen tauchte der Begriff in den 70er Jahren im Rahmen der Kulturpolitik der Deutschen Kommunistischen Partei und des von ihr zeitweise unterwanderten Schriftstellerverbands unhinterfragt immer häufiger auf.

Mit solch martialischen Vokabeln versuchen sich Künstler und besonders deren Funktionäre bei den politisch jeweils tonangebenden Kollektiven anzubiedern.

Mit solch martialischen Vokabeln versuchen sich Künstler und besonders deren Funktionäre bei den politisch jeweils tonangebenden Kollektiven anzubiedern. Sie nähern sich den „Werktätigen“ als „Geistestätige“, als ebenso „Werte-Schaffende“ wie die Industriearbeiter. Als selbsternannte „Arbeiter der Stirn“ mogeln sie sich „Seit an Seit“ neben die „Arbeiter der Faust“ und marschieren zumindest virtuell mit ihnen. Soll heißen: Auch wir sind „solidarisch“ mit allen sozial Guten im Land, auch wir sind „Kollegen“, also „gewerkschaftsfähig“, „Genossen“ gar und keine elitären Einzelgänger mehr, auch wir sind bereit, zuzupacken und innerhalb des Systems bestimmte Aufgaben zu übernehmen, etwa schädliche Elemente im Bereich der Kultur zu eliminieren.

Ich lege Wert darauf, kein „Kultur- oder Kunstschaffender“, kein „Geistestätiger“ und kein „kreativer Kollege“ zu sein, auch kein überbraves Rädchen in irgendeinem Kulturapparat, der mich, wenn ich nur lieb genug war, vielleicht auch ein wenig finanzieren und mit virtuellen Lesungen im Internet versorgen wird.

Aktuell wird der kontaminierte Begriff, so mein Eindruck, eher phrasenhaft und gedankenlos eingesetzt. Er taucht, speziell in der Corona-Krise, überall dort auf, wo es um die Interessenvertretung der Branche geht. Er ist die Lieblingsvokabel aller Kulturlobbyisten, die sich als „Kreative“ missverstehen: Literaturgrüppchen, freie Kunst- und Theatervereine, Rundfunkredakteurinnen, Musiker, aber auch die für Kunst zuständigen Funktionäre der Grünen, der