Der gespiegelte Blick

Melanie Hartlaub, Hanne Knickmann und Matthias Weichelt im Gespräch über den Historiker und Schriftsteller Felix Hartlaub, der an Hitlers Kriegstagebüchern mitschrieb und im April 1945 spurlos verschwand.

Online seit: 18. November 2021
Felix Hartlaub © Archiv Melanie Hartlaub
Felix Hartlaub auf einem vermutlich um 1936 entstandenen Foto.
Foto: Archiv Melanie Hartlaub

HANNE KNICKMANN Einen so unbestechlichen Blick wie von Felix Hartlaub, schrieb Hans Magnus Enzensberger 2019, habe es in der Literatur nach 1945 nicht mehr gegeben. Das Leben dieses gerade einmal 31 Jahre alt gewordenen, bei Kriegsende verschwundenen Autors ist inzwischen gut dokumentiert, es gibt Editionen, Ausstellungen, Forschungsliteratur, sogar eine Hartlaub-Gesellschaft. Trotzdem liegt immer noch ein Geheimnis über Biografie und Werk, der Name ist vielen Leserinnen und Lesern nicht geläufig. War die bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Bedeutung und Unkenntnis dieses Autors, der zuletzt an Hitlers Kriegstagebüchern mitschrieb, der Anlass für Ihr Buch Der verschwundene Zeuge. Das kurze Leben des Felix Hartlaub?

MATTHIAS WEICHELT Felix Hartlaub ist tatsächlich so etwas wie ein bekannter Unbekannter der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Wer sich für die dreißiger, vierziger Jahre sowie die Nachkriegszeit interessiert, dem begegnet dieser Name immer wieder. So ging es auch mir. In der Literaturzeitschrift Sinn und Form, für die ich arbeite, haben wir 2014 den frühen Aufsatz „Plato und der Staat“ gebracht sowie Karl Corinos Gespräch mit Geno Hartlaub, der Schwester. Später kamen Briefe an die Familie aus Italien dazu. Damals habe ich angefangen, Hartlaub intensiver zu lesen, und meine Faszination für diese ganz einzigartige, ganz eigenständige Stimme ist immer mehr gewachsen. 2018 gab es dann die Gelegenheit, im Oldenburger Karl-Jaspers-Haus einen Vortrag zu halten, bei dem ich mir das Thema aussuchen durfte. Dafür habe ich mir Hartlaubs Berliner Jahre vorgenommen, woraus