Marie-Luise Scherer und „Die Bestie von Paris“

Von Martin Mosebach

Online seit: 24. Juli 2024

Man könnte meinen, dass Unauffälligkeit bis zur Unscheinbarkeit die ideale Eigenschaft eines investigativen Reporters sei – dass man am besten gar nicht richtig wahrnehme, dass er anwesend sei, während er die Ohren spitzt und notiert, was alles getan und gesagt wird, als gäbe es keine Zeugen. Aber so sollte man sich Marie-Luise Scherer nicht vorstellen. Wo sie auftrat, war sie unübersehbar. Ihre Eleganz war klassisch und wurde noch gesteigert durch ihre wilde Mähne, die weit entfernt davon war, eine „Frisur“ zu sein. Augenblicklich begann sie zu reden, wie es Leute tun, die andere Menschen nur als Publikum betrachten, aber wer glaubte, er sei von ihr nicht wahrgenommen worden, der täuschte sich. Es war, als wolle sie mit ihrer geräuschvollen Anwesenheit die andern nur davon ablenken, dass sie sich längst auf dem Prüfstand befanden. Von dem, was um sie herum vorging, hatte sie alles, aber wirklich alles gesehen, klassifiziert und gespeichert.

Was heute unter Journalisten „Haltung“ heißt, hätte gegen das Arbeitsethos der Marie-Luise Scherer verstoßen.

Rudolf Augstein hatte sie als junge Frau der Redaktion des Spiegel vorgestellt: „Sie ist völlig ungebildet, aber gucken kann sie.“ Das war flott formuliert, jedoch unvollständig. Dass sie „gucken“ konnte,