Bettys Monolog.

Von Marlene Streeruwitz.
Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur

Online seit: 5. März 2021
Marlene Streeruwitz © Heribert Corn
Marlene Streeruwitz. Foto: Heribert Corn

Wohnzimmer. Der Teddybär sitzt auf der Couch. Der Couchtisch ist an die Wand geschoben. Die Gymnastikmatte liegt an seiner Stelle vor der Couch. Betty spricht mit dem Teddy.

Betty sitzt auf der Gymnastikmatte.

„Ich mag nicht. Ich kann nicht. Ich will nicht. Ich muß nicht. Ich darf nicht. Ich soll nicht. Ja. Schau nicht so. Ich weiß. Ich bin. Was bin ich denn. Ein Festungshäftling. Das bin ich nicht. Ich bin eine Festungshäftlingin. Eine Gefangene. Ich bin eine politische Gefangene des Hygienestaats.“

Betty läßt sich zurückfallen und spricht zur Decke.

„Alles zurückgedreht. Die Naziärzte würden jubeln. So wollten die das doch. Ein Gesundheitszeugnis, das über die Existenz bestimmt. Der Körper dein Schicksal. Es gibt nichts mehr. Du kannst dein Leben gestaltet haben. Meinetwegen sogar zum Heil der Gesellschaft. Wurscht. Du wirst eingesperrt. Barbarisch. Das ist barbarisch und es ist mir ganz wurscht, daß die Barbaren gar nicht barbarisch waren. Wahrscheinlich. Und warum will ich jetzt heulen? Und das geht gar nicht. Teddy. Du mußt mich retten. Warum rettest du mich nicht. Teddy.“

Betty steht auf und beginnt auf und ab zu gehen.

„(lachend) Du weißt gar nicht, was das für ein Glück ist, sich an jemanden wenden zu können. Spontan. Weißt du. Jemanden im Zimmer wissen. So. Einfach so. Sich umdrehen und etwas sagen. Dabei bin ich gerne allein. Das weißt du. Aber nicht gezwungen. Ich will nicht gezwungen werden. Auch nicht zu meinem Besten.“

Betty geht zum Fenster. Schaut hinaus.

„Wie könnte man da heraus kommen. Teddy! Du hörst jetzt weg. Obwohl. Teddybären sind Transferobjekte. Die helfen einer aus der Elternabhängigkeit herauszukommen. Nein. Wenn ich es mir recht überlege. Du bist die beste Adresse für eine Revolution. Du warst der erste Schritt. Und ist es nicht scheußlich, wie sehr es alle diese Peinlichkeiten in sich hat. Die Peinlichkeiten der Reinlichkeitserziehung. Diese Situation. Da geht es wieder um den Körper. Um die schmutzigen Ausscheidungen. Die Heimlichkeiten hinter verschlossenen Türen. Vorgänge, von denen du nichts wissen darfst. Wie damals. An die Hand genommen. Diesmal per Regierungsverordnung. Damals. ‚Ist sie schon sauber?‘ war gefragt worden und von da an der Kindergarten. An der Hand hingeführt. Aber jetzt. Dieselbe Blindheit. Vom Weg in den Kindergarten. Alles außerhalb und keine Verbindung zu mir. Alles nur Außenwelt und weit weg. Jeden Tag war das so gewesen. Jeden Tag erneut der Gang in die Welt der Erziehung. Katholisch. Klosterschwestern. Ich bin in Masochismus trainiert worden. In Masochismus eingegrenzt. Und hilft mir das jetzt. Wenn ich mich doch jetzt daran erinnern kann. Dann hilft mir das. Eigentlich. Ich kann diese Situation wieder erkennen. An der Hand genommen und in eine Welt der Erziehung abgeführt. Weißt du. Da wird dann immer von Zurichtung gesprochen. Und irgendwie ist das schon eine gute Bezeichnung. Aber dann eigentlich gar nicht. Zurichtung. Das tut so, als wäre eine nur das Material. Aber es ist von Anfang an der Schmerz da. Das ist die vierte Dimension der Person. Und die wird benutzt. Der Schmerz. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Teddybär, der du bist. Wie der Schmerz als immer noch-größer-möglich unsere Vernunft beherrscht. Wir setzen uns in Wartezimmer und warten auf die Quälerei bei der Zahnärztin. Und das ist eine Errungenschaft. Aber jetzt wird diese Errungenschaft gegen uns eingesetzt. Verstehst du. Jetzt ist unsere selbstfürsorgliche Vernunft verstaatlicht worden, und wir müssen ein Reinlichkeitstraining absolvieren. Hospitalisierung beginnt damit. Reinlichkeit. Daß dein Körper nach den Regeln anderer funktioniert. Daß du die Gestalt annimmst, die die Macht dir vorschreibt. Daß du lebst, aber nicht lebendig bist. Es ist die Lebendigkeit, die dir abgewöhnt wird. Und. Das ist der Vorgang jetzt. Und ich bin müde davon. Erschöpft. Es ist nicht einmal mehr Gegenwehr. Es ist ein Überlebenskampf. Und das ist der Grund, warum die Gymnastikmatte in der Badewanne liegt. Da hast du beim Fenster hinausgeschaut. Nicht einmal mein Teddybär wäre dabei gewesen. Ja. So ist das. Ich bin noch einmal aus der Badewanne herausgeklettert. Du hast ja gar keine Ahnung, wie schwierig es ist, aus einer leeren Badewanne herauszukommen. Ich habe die Gymnastikmatte geholt und in die Badewanne gelegt und mich drauf. Wenn ich schon sterbe, habe ich gedacht. Wenn ich schon sterbe, dann soll es nicht zu grauslich werden und habe mich in die Badewanne gelegt. Ich würde ja lange nicht gefunden werden, und ich habe in einer Vorlesung für Kriminologie so eine lange nicht gefundene Leiche einmal gesehen. Uns ist allen schlecht geworden. Damals.

Das Herzrasen hat dann aufgehört und mir ist kalt geworden. Aber kurz. Da ist mich ‚der Schiach angekommen‘. Und. Ich ginge niemandem ab. In dieser Verbannung. Es wird sich ja herausstellen. Der lockdown wird aufgehoben werden und manche Wohnungstüren werden nicht mehr aufgehen. Und wir werden nichts gewußt haben. Vom Leid der anderen. Künstlich auseinandergehalten und jede Menschlichkeit still gestellt. Dabei hasse ich dieses Wort. Menschlichkeit. Mensch. Ich bin eine Person. Mensch. Das ist doch so eine Anleitung. Mensch. Das ist ein Wort wie ein Schaubild für das Aufschneiden von Schlachttieren. Mensch. Das wäre das, was zurückbleibt von mir. Wäre ich gestorben. Heute Nacht. In der Badewanne. Der Mensch an mir wäre zurückgeblieben. Das ist das, was stirbt an einer Person. Ich bin eine Person. Ich bin nicht nur das Material von mir. Und wenn ich jetzt etwas weiß, dann das. Nur leben. Das reicht nicht. Ich will lebendig sein. Und das ist Bewegung.

Und bitte. Wie komme ich dazu, Weisheiten aus dem 18. Jahrhundert herunterbeten zu müssen? Wie kommen wir dazu, in einen Hygienekrieg verwickelt zu werden? Und ist das alles nicht genauso wie vor dem Ersten Weltkrieg. Einzelstaaten gegen einander. Aber bitte. Wie geht Revolution im Lager. In der Quarantäne. Im Kinderheim.

Also. Zuerst möchte ich diesen Kanzler klagen. Ich habe den nicht gewählt. Die, die ihn gewählt haben, die müssen seine Politik ertragen. Aber ich habe den nicht gewählt. Wieso soll ich die Vernichtung meiner Existenz dann so klaglos hinnehmen. Demokratie ist keine Geiselhaft. Ich werde den Staat auf Gewährleistung verklagen. Auf Schadensersatz. Aber das ist noch keine Revolution. Das ist nicht Revolution. Das ist ein Vorgang des Rechts und bleibt im Rahmen. Aber wie ist das. Der Staat hat auf Befehl dieses Kanzlers meinen Körper festgesetzt. Ich bin in Festungshaft genommen und damit unsichtbar gemacht worden. Es ist dann doch meine Pflicht, mich gegen diese autoritäre Maßnahme zur Wehr zu setzen. Meine demokratische Pflicht ist das. Ich bin vom politischen Subjekt zum Objekt der staatlichen Hygiene gemacht worden. Ich bin in manipulierte Statistiken gestopft worden, weil dieser Kanzler die Krone des Hygienekaisers aufsetzen will. Europäischer Kaiser aller Hygiene. Aber will ich zur Märtyrerin werden?

War das nicht eines der Ziele, nie wieder den Körper für eine Ideologie bereit zu halten? Und ist nicht dieser Überfall deshalb so perfide? Der Staat rettet meinen Körper und vernichtet meinen Geist? Es ist also der Geist, der diesem Zugriff entzogen werden muß. Also wieder 18. Jahrhundert. Da ging es um das Brot für den Körper. Jetzt geht es um die Nahrung des Geists. Es geht also um die eigentliche Revolution. Und wie soll das gehen? Gegen diese allumspannende Übermacht? Gegen diese allesbeherrschende Datenbürokratie? Wenn die Staatsdruckerei schon an einem neuen Gesundheitspaß arbeitet? Wäre dann nicht das Beste, dem Staat die Daten zu entziehen? Sollten wir nicht alle das Handy eine Woche an ein und derselben Stelle liegen lassen und so in einer Datensphäre nicht mehr existieren? Keine Handybewegungsdaten mehr? Ein Volk stellt sich still? Was wird da aus dem Staat?

Oder sollten wir alle in Gefängniskleidung aus unseren Wohnungen treten? Wenn wir das wieder dürfen. Sollten wir nicht eine und einer aussehen wie einer oder eine. Sollten wir diese Zwangsgleichheit im Verdacht gegen unsere Körper nicht darstellen? Sollten wir nicht als die Lagerinsassen auftreten, die wir sind? Und wenn ich an heute Nacht denke. Dann könnte ich sogar das Vorhaben aufgeben, mich nicht in den Dienst einer Ideologie nehmen lassen zu wollen. Es ist mein Geist, der vernichtet wird. Ich. Ich werde vernichtet. Und es ist gezielte Vernichtung. Es muß andere Wege gegeben haben. Wir werden das alles aufklären. Wenn wir es schaffen. Wenn ich es schaffe. Wir sollten. Wir sollten uns alle gehen lassen und als Fettknödel wieder auf der Straße erscheinen. Wir sollten es aufgeben, uns in Form zu halten. Wofür denn. Für die ruinierte Existenz. Da müssen wir nicht mehr gut aussehen und für die Videokonferenzen reicht eine einzige Jacke. Wir dürfen uns doch ernähren. Wir sollten uns ernähren. Und deswegen. Wir sollen diese kleine Freiheit zu einer großen Freiheit aufblähen und uns vollfressen. Und riesige, scheußliche Fettknödel werden. Wir sollten riesige, scheußliche Fettknödel sein, und social distancing wäre dann wirklich unsere natürliche Lebensform. Durch unser Fett wären wir meterweit voneinander getrennt. Und dann gehen wir vor das Kanzleramt und stellen uns dahin. Alle. Wir alle. Und dann bleiben wir da stehen. Und stehen. Im richtigen Abstand. In der richtigen Form. Wir wären die Kinder, die alles richtig gemacht haben und nun genau dafür bestraft werden müssen. Aber wir wären als die Kinder dieser schwarzen Pädagogik sichtbar. Das Elend unserer Existenz wird in den Fettpölstern erzählt, und wir haben unsere Gesundheitspässe nicht dabei. Weil die Staatsdruckerei erst einmal an Rußland geliefert hat. Ausweislos. Bewegungslos. Die Vermassung wörtlich genommen. Der lockdown ins Fett gefaßt. Diese Vorstellung, daß wir nur ein Körper sind, der sauber gehalten werden muß. Diese Vorstellung. Die wäre dann umgesetzt. Wir müßten alle vor diesem Kanzleramt stehen. Der Heldenplatz gefüllt mit den Lockdownverfetteten. Weithin nur diese fetten Personen, die nur noch Menschen sind und keine Personen. Weithin also die Menschenkörper. Die Leiber, über die das Urteil des Hygienestaats gefällt wurde. Der Heldenplatz wäre dann auch wieder seiner Bestimmung zugeführt. Aufmarschplatz der Objekte der Politik. Wie damals. Nur wir müssen stumm bleiben. Unsere Wahrheit ist nicht der Schrei ‚Heil Hitler‘. Unser Schrei ist das Schweigen der Angeschrieenen. Es ist ja vorgeblich unser Heil und nicht das eines Führers, um das es geht. Wir sind in ein Heil verstrickt worden, das uns alles kostet. Wir sind zum Heil gemacht, das in Statistiken über uns verfügt. Und dann. Sie müßten uns alle niedermachen. Niederschießen. Vor dem Behelfsparlament auf dem Heldenplatz. Reihe um Reihe. Wir würden ja auf den Platz scheißen müssen. Es würde wieder an der Ausrüstung fehlen und nicht genug Mobilklos vorhanden sein. Und. Wir würden auch nicht in die Psychiatrie passen. Und wenn der Staat eine psychotische Institution geworden ist, was können die Psychiatrien dann sein? Nein. Die gehorsamen Kinder müssen sauber zurück in die Sicherheitsverwahrung genommen werden. Dahin, wo der psychotische Staat sie haben will. Verwahrt. In sichere, saubere Verwahrung genommen. Und. Sind am Ende nicht Särge das Sicherste? Das Allersicherste. Und Verbrennen dann das Sauberste? Hygienischste? Allersauberste! Und da schau einmal! Die Geschichte! Sie hat uns wieder.“

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Marlene Streeruwitz. Freie Autorin und Regisseurin. Lebte in Wien, London und New York. Derzeit lockdown in Wien.

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„Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” ist ein Gemeinschaftsprojekt von Gerhard Ruiss, Thomas Keul und Claus Philipp und den beitragenden Autorinnen und Autoren. Die Texte der Serie erscheinen wöchentlich, jeweils am Freitag, und können auch als Newsletter abonniert werden. „Hier und Heute – Positionen österreichischer Gegenwartsliteratur” wurde auf Initiative von Claus Philipp durch Spenden für den Lesemarathon Die Pest von Albert Camus des Wiener Rabenhof Theaters und des ORF-Hörfunksenders FM4 im Frühjahr 2020 ermöglicht. Die Reihe wird von der Stadt Wien aus Mitteln der Literaturförderung unterstützt.