„Stendhal hätte es mit einem Agenten vermutlich leichter gehabt“

Marcel Hartges im Gespräch mit Angelika Klammer über das Geschäft der Literaturagenten, Veränderungen im Verlagswesen und Kräfteverschiebungen im Literaturbetrieb.

Online seit: 18. Oktober 2016
Marcel Hartges © Mandy Brendel
Marcel Hartges: „Die Interessen der Verlagseigentümer ließen sich nicht ohne Weiteres ignorieren.“
Foto: Mandy Brendel

ANGELIKA KLAMMER Als Sie von DuMont zu Piper wechselten, haben Sie über den Neustart gesagt, es gebe „keine Zeit, die aufregender und schöner wäre“, weil „man noch ganz frei von Routinen agieren kann und alles neu gedacht werden muss“. Nun haben Sie Piper verlassen und sich als Literatur- und Filmagent selbstständig gemacht. Was denken Sie jetzt neu?

MARCEL HARTGES Im Grunde gilt das, was ich damals gesagt habe, jetzt noch mehr. Ich habe ja nicht nur den Verlag gewechselt, sondern auch die Seite, die ganze Perspektive auf den sogenannten Literaturbetrieb. Auch wenn ich in meinen Verlagsjahren viel mit Agenten zu tun hatte, nach dieser Zäsur fühlt sich für mich fast alles neu und frisch an. Bei allem Hintergrundwissen und aller Verlagserfahrung tue ich ja jetzt vieles zum ersten Mal oder zumindest mit anderen Vorzeichen. Neuland zu betreten, ist ja etwas, was Kräfte freisetzt und inspiriert. Es kann ja nicht darum gehen, alles so zu machen wie die anderen, die es schon gibt, sondern darum, etwas Eigenes zu entwickeln, eine eigene Haltung, eigene Herangehensweisen.

KLAMMER Die Seiten zu wechseln war offensichtlich eine schnelle Entscheidung.

HARTGES Mich hat die Selbstständigkeit schon immer gereizt, daher musste ich tatsächlich nicht lange überlegen. Es war auch die Aussicht, wieder näher an den Autoren zu sein, ohne die unsere herrliche Branche ja gar nicht existieren würde. Bei allem Respekt für die Arbeit der Verlage, die Bücher – das ist vielleicht nicht jedem hinreichend klar – werden andernorts geschrieben.

KLAMMER Hat sich die Verlagsarbeit im Laufe der Jahre zu stark verändert?

HARTGES Für mich persönlich ja. Angefangen habe ich als Lektor bei Rowohlt, da war ich naturgemäß näher am Manuskript, näher am Autor, fokussierter auf das Einzelne. Mit jeder Beförderung und jeder neuen Verantwortung wuchsen mir dann zwar viele Gestaltungsmöglichkeiten zu, aber Gestaltungsmöglichkeiten sind innerhalb eines Unternehmens strukturell ja auch immer Gestaltungszwänge. Zuletzt habe ich ein Programm von mehr als fünfhundert Büchern im Jahr verantwortet, da blieb nicht mehr viel Zeit für eine intensive, wägende und reflektierende Lektüre oder gar detaillierte Arbeit am Text. Aber auch abgesehen von meinem persönlichen Werdegang habe ich den Eindruck, dass sich der Literaturbetrieb in den letzten fünfundzwanzig Jahren mehr und mehr durchökonomisiert hat. Je schwieriger das Verkaufen von Büchern geworden ist, desto mehr dreht sich in den Verlagen alles nur noch darum. Die Bestsellerliste ist das Mantra, das rauf und runter gebetet wird. Das mag psychologisch vielleicht plausibel sein, aber besonders spannend ist es nicht.

KLAMMER Was halten Sie für Ihre wichtigste Aufgabe als Agent?

HARTGES Als Agent bin ich der Vertraute, der Anwalt, der Interessenswahrer, der Berater meiner Autoren. Ich setze mich in umfassender und professioneller Weise dafür ein, dass sie die bestmöglichen Rahmenbedingungen für ihr Schreiben bekommen. Dazu zählen, durchaus an prominenter Stelle, die finanziellen Angelegenheiten, aber ich kümmere mich auch um viele Dinge, die sich nicht in allgemeiner Form beschreiben lassen. Autoren haben sehr unterschiedliche Belange und Bedürfnisse. Mit manchen tausche ich mich beinah täglich aus, von anderen würde ich monatelang nichts hören, wenn ich mich nicht gelegentlich meldete. Auch als Verleger habe ich mich sehr ernsthaft bemüht, nah an den Interessen der Autoren zu sein, aber es gab gleichzeitig die Interessen der Verlagseigentümer, die sich nicht ohne Weiteres ignorieren ließen, und manchmal stehen die legitimen Interessen des Autors und die, wie ich durchaus finde, ebenfalls legitimen Interessen des Verlages gegeneinander. Als Agent bin ich erfrischend klar positioniert: Da bin ich auf der Seite der Autoren und niemandem sonst Rechenschaft schuldig.

KLAMMER Sie vertreten jetzt Ferdinand von Schirach, den Sie zu Piper geholt und dort groß gemacht haben. Nach Ihrem Ausscheiden geht auch er, und zwar zu Luchterhand. Wie lief das Gespräch zwischen Ihnen, haben Sie gesagt: Also, hör mal, Ferdinand, beim Verlag, da wär noch viel mehr drinnen gewesen, aber als Agent hol’ ich das alles für dich raus. War es so?

HARTGES Sehr witzig. Die wahre Geschichte ist