Literarizität qua Verdunkelung

Von Tex Rubinowitz

Online seit: 25. Januar 2018
Text Rubinowitz
Tex Rubinowitz: Ich weiß nicht, woher dieses dünkelhafte Ressentiment und die Verachtung gegenüber branchenübergreifendem „Arbeiten“ stammt.

Kann ich schreiben? Oder soll ichs bleiben lassen? Und mit Schreiben meine ich nicht die Aneinanderreihung von Buchstaben, Wörtern und Sätzen, die wie bestellt und nicht abgeholt nebeneinander stehen, sondern dass ich etwas zu sagen habe. Habe ich etwas zu sagen? Ich hab es nicht, es ist alles nicht der Rede wert, ich kann nur, nun ja, Worte nebeneinander stellen, einem von mir nicht bewusst gesteuerten Instinkt folgend, geplant ist da gar nichts, es passiert, ich laufe gewissermaßen aus, und am Ende steht da vielleicht ein unförmiger, gar anmaßender Text, eben etwas Ausgelaufenes, so wie Konstabler Odo. Das ist der Sicherheitsoffizier und Formwandler auf Deep Space Nine: Alle achtzehn Stunden muss er für eine gewisse Zeit in seine flüssige Form zurückkehren. Zu diesem Zweck hat er in seinem Quartier einen Eimer, in den er sich verflüssigt. Vielleicht könnte man es, wenn man disziplinierter ist als ich, etwas in Form bringen, aber würde das etwas verändern? Zweifel sind schlimmer als Zahnschmerzen. Aber Bescheidenheit ist ein fadenscheiniger Mantel. Und Metaphern sind überhaupt das Letzte.

Als ich meinen ersten Roman schrieb, Ramses Müller, in sportlichen zehn Tagen war ich damit fertig, jeden Tag 30.000 Zeichen, schickte ich ihn der Lektorin, die ihn bestellt hatte. Sie meinte, dass sie und ihr Verlag ihn in dieser Form nicht publizieren könnten, es tue ihr leid, sie könne nicht weiter ins Detail gehen, aber er sei von vorne bis hinten eine unstrukturierte Suada, und ich wolle, wie es ihr schien „Literarizität qua Verdunkelung erzeugen“.

Ich fand ihn gar nicht so schlecht, wegschmeißen wollte ich ihn nicht, also holte ich mir von einem anderen Lektor eine gute Expertise, nicht mal gegen seine Überzeugung, er mochte die Geschichte wirklich. Er war gerade arbeitslos geworden, weil der Verlag, für den er arbeitete und für den ich vorher schon ein paar Geschichten in Anthologien veröffentlicht hatte, gerade in Konkurs gegangen war. Ich schrieb selbst noch zwei andere gute Voten unter Tarnnamen sowie als Gegengewicht ein negatives, damit es nicht so auffiel, und schickte alles einem anderen Verlag, dem das Zeug offenbar gefiel – ob beeindruckt durch die Expertisen ließ sich nicht herausfinden. Sie veröffentlichten Ramses Müller, er verkaufte sich halbgut (etwa 4.000 Exemplare), aber kurze Zeit später ging auch dieser Verlag in Konkurs.

Neulich las ich aus dem Buch in Wien. Der mich Einladende, ein alter Freund, der es nicht nötig hat, mich mit Samthandschuhen anzufassen, stellte mein Buch als das schlechteste vor, das je erschienen sei. Ich bin relativ entspannt was Kritik betrifft, einer der wenigen Vorteile des Alters, aber diese Kritik war nicht sachlich, sondern polemisch, sie sollte mich über den Gegenstand hinaus provozieren. Mein Fehler war wohl gewesen, ihm vorher zu erzählen, wie schnell ich das Buch geschrieben hatte, und dass der Verlag nun nicht mehr existierte, ich glaube, er wollte meinem Pragmatismus eine lustige, superlativistische Krone aufsetzen, plump wollte er mir zu verstehen geben: Du bist Laie, Autodidakt, noch dazu aus einer anderen Branche kommend (Witzzeichner), du kannst das nicht, du kannst keine Bücher schreiben, das darfst du gar nicht, das bist du nicht, also bist du auch immun gegen Schelte, du kannst so einen Schlag leicht wegstecken, weil es ja für das Buch keine Berechtigung gibt. Ich glaube aber, er ist nur neidisch, dass mir etwas leicht fällt, was er vielleicht auch gerne könnte, und dass ich schon zwei Verlage gewissermaßen in Schutt und Asche gelegt habe, wenn auch nicht ursächlich.Ich weiß nicht, woher dieses dünkelhafte Ressentiment und die Verachtung gegenüber branchenübergreifendem „Arbeiten“ stammt. Ich vermute, es kommt von den vielen Musikern, die nebenher noch malen (Ron Wood), und den musizierenden Schauspielern (Kevin Costner); man weiß, was man davon in der Regel halten soll. Warum machen die das? Weil sie unterfordert sind? Weil sie glauben, eine Disziplin zu beherrschen reiche aus, um spielend in anderen auch zu reüssieren? Weil sich niemand traut, ihnen zu erklären, wie schrecklich alles ist, dass es besser wäre, es sein zu lassen (Motto: Schuster bleib bei deinen Leisten)? In meinem Fall kommt natürlich noch dazu, dass man einem Witzzeichner gar nichts zutraut. Für einen Tischler wäre vielleicht alles einfacher. Harrison Ford war Tischler, Edmund de Waal Keramiker, bevor sie als Schauspieler beziehungsweise als Autor erfolgreich wurden, sie sind aber nach wie vor noch Handwerker. Wie aber würden wir ihre Tische und Vasen beurteilen, wenn sie erst nach Han Solo und dem Hasen mit den Bernsteinaugen damit begonnen hätten? Als Anerkennung für Fords Einsatz für die Umwelt wurden eine Ameisenart (Pheidole harrisonfordi) und eine Webspinnenart (Calponia harrisonfordi) nach ihm benannt. Würde man eine Ameise nach einem Tischler benennen? Wohl kaum. Den einzigen Multibegabten, den ich, losgelöst von seinem Werk, schätze, auch wenn ich glaube, dass er ein Idiot ist, ist Bruce Dickinson. Er ist Sänger von Iron Maiden, er kann eine Boing 757 fliegen, er besitzt einen Zeppelin, er war mal in der britischen Fechtnationalmannschaft, er hat mehrere Bücher verfasst, von denen The Adventures of Lord Iffy Boatrace das bekannteste ist (40.000 verkaufte Exemplare). Bruce sagt: „I always fancied the idea of writing a book, and I was bored on the road, so I sat down and started at page one! About halfway through you suddenly realise what it is you’re writing about.“

Auch wenn ich weder fechten noch fliegen kann, nur in einer Band singe, die aber etwas anders klingt als die von Bruce, so erscheint mir sein unprätentiöser Pragmatismus das Schreiben betreffend zwingend logisch. Einfach so auf Seite 1 beginnen (wo sonst?), und dann mal abwarten, wie sich die Geschichte entwickelt. Ist das nicht wie mein Auslaufen? Klingt Bruce nicht immun gegen Kritik? Macht ein Zeppelin, ein Florett oder eine Ameise, die so heißt wie du, nicht immun gegen so manches? Ja, hau mich nur in die Pfanne, ich hab immer noch meinen Zeppelin und was hast du?

Also kann ich nun schreiben? Ich sags mal so: Ich kann schreiben, weil du es nicht kannst. Oder weil du es nicht machst. Einer muss es doch tun.

Ich bin eben der mit der Verdunkelung, hier kommt die ägyptische Verdunkelung („Ophthalmia aegyptiaca“), Sammelname für verschiedene Augenkrankheiten, deren gemeinsames Symptom ein eitriger Katarrh der Bindehaut ist; auch Schleimhauttripper genannt, überzieht den sichtbaren Teil des Augapfels; ist direkt übertragbar (durch Blicke), kann unheilbare Blindheit bewirken. Zuerst bei den französische Truppen 1798-1801 in Ägypten beobachtet, ich kenne sogar einen finnischen Architekten (Herman Walentin Schalin), der blind war, seine Häuser sehen zwar merkwürdig aus, aber sie stehen.

Bitte versteht mich doch, ich kann und will nicht anders, und will es auch nicht lassen müssen, ein Wasserhahn ist nun mal da, dass man ihn auch dann und wann aufdreht. Man kann einen ehrlichen Mann nicht auf die Knie zwingen, und man kann keine Literatur schreiben, wenn man Literatur schreiben will.

Tex Rubinowitz, geboren 1961 in Hannover, lebt in Wien als Cartoonist, Musiker, Reisejournalist und Schriftsteller.

Quelle: VOLLTEXT 2/2014 (20. Juni 2014).

Online seit: 25. Januar 2018