In der zweiten Hälfte von Gabriele Tergits Roman So war’s eben fällt ein Satz, der programmatisch für ihr Lebenswerk ist: „Natürlich, man will doch der Historie zusehen.“ Auf die Frage, ob sie in Deutschland bleiben wolle, scheint es für die junge Journalistin Grete zu diesem Zeitpunkt keine andere Antwort zu geben. Es ist Anfang März 1933, wenige Tage zuvor hat der Reichstag gebrannt. In der Redaktion der liberalen Berliner Rundschau findet Grete weder den Chefredakteur noch einen ihrer Kollegen vor. Obigen Satz sagt Gabriele Tergit selbst in einer ähnlichen Situation zu Carl von Ossietzky, dem damaligen Herausgeber der Berliner Zeitschrift Weltbühne. Ihren letzten Besuch in der Redaktion beschreibt die Autorin in ihren autobiografischen Erinnerungen Etwas Seltenes überhaupt. Nahezu wortgleich ist die Äußerung, allerdings wählt Tergit statt „will“ das Wort „muss“. Anfang März 1933 erscheint die letzte Ausgabe der Zeitschrift. Ossietzky wird verhaftet, Tergit flieht zunächst in die Tschechoslowakei. „Wird man wirklich der Historie zusehen können? Warum habe ich nicht gesagt, gehen Sie weg, nix wie raus?“, schreibt die Autorin in ihren Erinnerungen.
„Der Historie zusehen“ – diese Formulierung trifft den Kern dessen, was das Werk der 1894 in Berlin geborenen Gabriele Tergit ausmacht. Sie ist eine Chronistin ihrer Zeit, ihre Gerichtsreportagen und Feuilletons sind symptomatisch für die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Weimarer Republik. Wie eine Chronik mutet auch der in fünf Teile gegliederte, knapp sechshundert Seiten umfassende Roman So war’s eben in seinem Aufbau an. Die Zeitspanne erstreckt sich vom Ende des Kaiserreiches in den 1890ern über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis zur Nachkriegszeit. Tergits Roman ist das Panorama einer wechselvollen Epoche, die am Beispiel mehrerer Familien geschildert wird.
Da sind die bürgerlichen Juden im Osten Berlins, die Familien Stern und Mayer, und die Juden aus dem Tiergartenviertel im Berliner Westen, darunter die reiche Fabrikantenfamilie Markus. Die deutsche Oberschicht repräsentiert die Familie von Rumke. Anhand dieser Konstellation und dank einer vielschichtigen Figurenzeichnung zeigt Tergit auf, wie komplex die gesellschaftlichen und politischen Strukturen jener Zeit waren. Nach dem Ersten Weltkrieg droht die Revolution von rechts ebenso wie die Revolution von links. Am deutlichsten wird dies bei den von Rumkes: Wo bei der älteren Generation noch die preußischen Tugenden der Kaiserzeit gelten und schon früh antisemitische Stimmungen zu beobachten sind, schlagen die vier Kinder ganz unterschiedliche Wege ein. Tochter Freia heiratet einen Juden und entfernt sich von der Familie. Ihr Bruder Jürgen schließt sich den Kommunisten an, der zweite Sohn, Friedrich Wilhelm, wird zum angesehenen Publizisten und verbreitet nationalsozialistisches Gedankengut. Um diese gegensätzlichen Familien gruppieren sich „Zeitungsmenschen“, „Rote“ und einige Nebenfiguren.
Politische Bühne
Schon bei Tergits erstem Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm spielt das Umfeld der Zeitungsredaktion eine zentrale Rolle. Mit Käsebier landet die bis dahin vor allem als Gerichtsreporterin bekannte Autorin 1931 einen großen Erfolg. Nur ein Jahr später wird die Satire über den mediengemachten Aufstieg des Volkssängers als eines der „Bücher des Jahres“ ausgezeichnet – zusammen mit Kästners Fabian und Falladas Kleiner Mann – was nun? Nach dem Vorbild des Berliner Tageblatts, für das sie ab 1925 Gerichtsreportagen schreibt, gestaltet Tergit in ihrem dritten Roman So war’s eben die Redaktion der fiktiven Berliner Rundschau (Chefredakteur Stefan Heye ist dem Tageblatt-Chefredakteur Theodor Wolff nachempfunden). Unterschiedliche Meinungen treffen hier aufeinander, im kleinen Rahmen wird diskutiert, was sich auf den großen politischen Bühnen abspielt. Der längste, die Weimarer Republik umfassende Teil des Romans spielt sich größtenteils in diesem Rahmen ab und zeichnet die wachsende Macht der Nationalsozialisten nach. Heye sticht aus dem Kreis der Journalisten und Künstler besonders heraus. Er, der seit mehr als zwanzig Jahren an einer historischen Abhandlung über die Entstehung des Weltkriegs arbeitet, hält bis zuletzt an der demokratischen Idee fest. Neben dem liberalen, den Ideen der Aufklärung verpflichteten Heye ist die junge Journalistin Grete eine der wichtigsten Figuren im Roman. Sie besucht die von Alice Salomon gegründete Soziale Frauenschule und wird danach Journalistin. Im letzten Teil des Romans begleitet man Grete durch das Londoner Exil und in die neue Welt Amerika. Es ist eine „neue alte Welt“, so lautet eine Kapitelüberschrift. Hier trifft sie auf „alte“ Freunde und Bekannte, die es geschafft haben, sich aus dem alten Leben in ein neues zu retten.
Raddatz lehnt ab
Wie ihre Figur Grete lebt Tergit nach 1933 im Exil. An den Höhepunkt ihrer journalistischen Karriere in den Zwanziger- und Dreißigerjahren kann sie nicht mehr anknüpfen. Die Suche nach einem Verlag für ihren zweiten, größtenteils im Exil entstandenen Roman Effingers erweist sich als schwierig. Häuser wie Rowohlt und Springer lehnen den Text ab, 1951 erscheint der Roman schließlich im Verlag Hammerich & Lesser. Ähnlich ergeht es der Autorin, als sie Mitte der 1960er einen Verlag für So war’s eben sucht. Das Ablehnungsschreiben von Fritz J. Raddatz, der zu diesem Zeitpunkt Lektor beim Rowohlt Verlag ist, wird im Nachwort der vorliegenden Ausgabe zitiert. Er glaube nicht, „daß man […] in einer solchen Zeit einen Roman noch so konzipieren und schreiben kann“, so Raddatz. Liest man den Roman heute, kann man dieses Argument durchaus in Frage stellen. Die Nähe zu ihren früheren Texten ist unverkennbar – treffende Dialoge wechseln sich ab mit prägnanten szenischen Beschreibungen, dazwischen journalistische Einschübe, die dem Stil von Tergits Reportagen entsprechen. Ist der Roman deshalb unzeitgemäß? Vielleicht ist ein größerer Abstand nötig, um den neusachlichen Stil der Weimarer Zeit als im positiven Sinne zeitlos werten zu können.
„Wird man wirklich der Historie zusehen können? Warum habe ich nicht gesagt, gehen Sie weg, nix wie raus?“
Dass schon damals ein sorgfältiges Lektorat kleine Unstimmigkeiten und unnötige Wiederholungen getilgt hätte, ist nicht zu bestreiten. Wie Herausgeberin Nicole Henneberg in ihrem ausführlichen Nachwort erklärt, sind die Lektoren allerdings nicht gerade umsichtig vorgegangen, sodass in den verschiedenen Fassungen mitunter ganze Familien und Szenen gestrichen sind. Die vorliegende Ausgabe basiert auf Tergits erstem Typoskript einschließlich ihrer handschriftlichen Korrekturen. Es ist gerade die Fülle der Details, die viel über die Lebenswelt der Figuren, über ihren sozialen Status, geltende Werte und gesellschaftliche Konventionen aussagt. Das fängt bei der detaillierten Beschreibung der wechselnden Wohnsituationen an. Eine „ganze Generation bekommt zum erstenmal anständige Wohnungen“, heißt es bei einer Einweihungsfeier im Januar 1933. Nicht nur die Einrichtung – hellgraue Seide und Stahlmöbel statt dunkelrotem Samt und Plüschsessel – entspricht einem neuen Zeitgeist. Man diskutiert aktuelle politische Entwicklungen, Friedrich Wilhelm von Rumke schwingt sich zum national-patriotischen Redner auf, spricht von „Zersetzung, Fäulnis, Untergang“. Die Vorzeichen sind da. Ein Anruf für Chefredakteur Heye und die Nachricht, dass Adolf Hitler Reichskanzler geworden ist, wird von den Anwesenden registriert, man wendet sich dem nächsten Thema zu. Der Roman würde an Authentizität verlieren, wenn Szenen wie diese gekürzt oder Details gestrichen werden.
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